Ey, Netflix, hast du neuen Stoff für mich? Ich leide unter kaltem Entzug. Hatte ich Freitag drei Folgen von dir bekommen und Samstag drei weitere geschaut, hast du mir plötzlich den Zugang abgedreht, als ich gerade ordentlich drauf war. Fies! Aber dass ich nach den sechs Episoden der ersten Staffel „How to Sell Drugs Online (Fast)“ möglichst schnell mehr sehen möchte, ist ja an sich schon einmal nicht das schlechteste Zeichen, was die Qualität des Kicks anbetrifft. Aber springen wir ein Stück zurück.
Im Oktober 2018 wurde im Rahmen einer deutschen Netflix-Produktions-Offensive das damals noch „Don’t Try This At Home“ betitelte Format unter der folgenden Kurzbeschreibung angekündigt:
„Aus seinem Kinderzimmer heraus startet ein Schüler mit seinem besten Freund Europas größten Online-Drogenversand, um die Liebe seines Lebens zurückzugewinnen.“
Hm, ja. Okay. Klingt „nett“, könnte man meinen. Hoffnung hatte mir gemacht, dass die für das „Neo Magazin Royale“ zuständige bildundtonfabrik erstmals das Wagnis Serie angeht. Dann kam beim ersten Teaser auch noch der von mir sehr geschätzte Bjarne Mädel („Stromberg“, „Der Tatortreiniger“) dazu und DANN auch noch der wirklich vielversprechende Trailer zur Serie. Freitag ist sie dann auf Netflix gestartet. Und, für was für einen Höhenrausch taugt das mittlerweile deutlich besser betitelte „How to Sell Drugs Online (Fast)“ nun? Das erkläre ich euch möglichst spoilerfrei.
Worum geht es in „How to Sell Drugs Online (Fast)“?
Moritz Zimmermann (Maximilian Mundt) ist der Nerd der Schule und bester Freund von Lennard „Lenny“ Sander (Danilo Kamperidis). Die beiden 17-Jährigen wollen eigentlich einen Online-Shop für Videospiel-Items aufmachen, durch diverse Umstände wird daraus aber „MyDrugs“, eine Drogenverkaufs-Plattform im Darknet. Dabei treffen sie nicht nur auf den örtlichen Dealer Buba (Bjarne Mädel), sondern erweitern ihr Netzwerk, so dass die Konsequenzen ihres Handelns immer größer werden. Und das alles irgendwo wegen der Liebe.
Ein bisschen erinnert die Grund-Entwicklung der Serie an „Breaking Bad“. Ja, ein hoher Vergleich, ich weiß, es geht hier auch gar nicht um die eigentliche Serienqualität, denn „How to Sell Drugs Online (Fast)“ ist deutlich leichter, nicht nur, was die Episodenlänge anbetrifft (die sechs Episoden habt ihr in unter drei Stunden durch). Es geht humorvoll zu, wer in Schubladen denkt, darf die neumodische „Dramedy“-Ebene öffnen. Nein, mir geht es um die Grundhandlung. Aus irgendwo nachvollziehbaren Gründen rutscht ein eigentlich smarter Mann in eine Drogenszene rein und rutscht und rutscht, bis sich die Ereignisse überschlagen und er letztlich selbst das Dunkle seiner neuen Umgebung angenommen hat. Ganz so weit geht btf im Netflix Original nicht, auch wird sich nicht so viel Zeit genommen, wie bei der Ikone der modernen Serienwelt. „How to Sell Drugs Online (Fast)“ ist eher der schnelle, bildgewaltige Rausch, das Tempo und die Machart deutlich jünger.
Deshalb ist „How to Sell Drugs Online (Fast)“ sehenswert
Und genau das ist einer der Gründe, weshalb ihr die Serie schauen solltet (so noch nicht geschehen). Die Macher haben ihre im Late Night TV erprobte Experimentierfreude in die serielle Fiction übertragen bekommen. Von kleinen Videospiel-Sequenzen über das Einblenden von Smartphone-Inhalten in Form von Overlays oder schnell geschnittene Drogen-Einnahme-Geschichten – die visuelle Erzählform wird nie langweilig und ist voller kleiner Überraschungen. Nicht alle sitzen perfekt und die ein oder andere Animation (Stichwort: Igel) ist jetzt nicht zu 100 Prozent perfekt geraten, aber größtenteils ist das recht nahtlos eingebunden.
Auch gefällt mir als nicht mehr gaaaanz so jungen Menschen die Darstellung und teils „kritische Würdigung“ der „Jugend von Heute“. Ich musste an mein Nokia 3210 denken, als in der Serie eine Reihe Schüler nachmittags vor dem Rektorenzimmer Schlange stehen, um ihre Smartphones zurück zu bekommen, die einkassiert worden waren. Auch wird das Thema Lebensplanung Jugendlicher in Verbindung mit dem Aspekt Großstadt/Kleinkaff-Leben immer mal wieder beinahe philosophisch anmutend berührt. Und vor allem schafft die Serie es auch, das knallebunt präsentierte Thema Drogen immer mal wieder mahnend bis informierend einzuordnen. Dabei hilft auch einer der Gaststars, die immer mal in kleinen Rollen zu sehen sind (ich will die Überraschung jetzt mal nicht nehmen).
So unterhaltsam „How to Sell Drugs Online (Fast)“ auch sowohl im geschriebenen Dialog als auch in der visuellen Überbringung ist, so gibt es auch ein paar kleine Makel zu bemängeln. Zum einen – das ist leider eher trauriger Standard – waren viele der wirklich lustigen Szenen bereits im Trailer zu sehen. Und auch der wechselnde Gebrauch zwischen englischer und deutscher Schreibweise ist nicht immer konsequent gewählt (wenn die beiden deutschen Hauptfiguren den international gewählten Titel bei Google eingeben, wirkt es etwas unpassend, auch wenn man weiß, wieso sie das tun). Schlimmer als diese Kleinigkeiten finde ich, dass es den einen oder anderen Logikfehler gibt, oder sagen wir mal lieber Ungereimtheiten, die dann doch sehr banal begründet werden. „XY war eigentlich für die Adressen zuständig, der hat das wohl übersehen“ – klar doch. Auch wurden einige Figuren etwas arg platt überzeichnet dargestellt, allen voran Moritz‘ Vater, der eine Art supernaiver Dorfsherriff sein soll. So wirkt dann auch die eigentlich gute Story zu schnell überbracht. Der schmale Grad zwischen dynamischer Erzählweise und sich selbst überholender Entwicklung wurde nicht immer richtig getroffen. Und der allergrößte Fehler ist eben, dass nach bereits sechs Episoden Schluss ist. Denn tatsächlich hat man das Gefühl, man würde mittendrin abgewürgt werden und das große Ganz eigentlich gerade erst richtig ins Rollen kommen…
„Also eigentlich ging es da erst richtig los. Da sind die Dinge komplett außer Kontrolle geraten.“ (Lenny)
Denn „How to Sell Drugs Online (Fast)“ weiß durch eine frische Art nicht nur die deutsche Serienproduktionslandschaft gehörig aufzupolieren, sondern auch allgemein als Netflix Original moderner Art zu gefallen. Die Rollen sind gut besetzt und vor allem Bjarne Mädel, aber auch Kamperidis und Mundt wissen schauspielerisch zu überzeugen, wobei Letzterer eine gekonnte Mischung aus Mark Zuckerberg, Sam Gardner (Keir Gilchrist) aus „Atypical“ und einer Prise vom Sänger der Band „The Wombats“ (Matthew Murphy) darstellt. Besonders gefallen hat mir auch die Meta-Ebene, die die Serie einzieht, indem uns Moritz als vermeintlich portraitierter Drogenboss aus dem Off erzählt, wie Netflix halt gerade eine Serie über ihn macht. Obwohl oder vielleicht auch weil die Serie sich um Drogen handelt, ist es schon irgendwie was für die ganze Familie. Okay, vielleicht nicht gerade für Kinder (die Serie hat die FSK 16-Einstufung erhalten). Aber ansonsten dürfte sich jeder gut unterhalten fühlen können. Ich suche mir dann jetzt mal eine Ersatzdroge, bis es hier weiter geht…
Bilder: Netflix
Sehe es ähnlich. Sehr entspannte, kurzweilige Unterhaltung, die gefällt. Nichts, was ewig im Gedächtnis bleibt, aber einfach sehr unterhaltsam.
Alles geil bis auf eine Sache: Man hätte keine Igel töten müssen . Die Serie ist bei mir von 100% auf 1% im Ansehen dadurch gesunken. Schämt Euch dafür.
Wurde ja kein(echt)er getötet. :)
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