Der Name der Serie und auch das Titelbild kommen euch irgendwie bekannt vor? Das mag daran liegen, dass „Love, Victor“ der Serienableger des Bestsellers „Love, Simon“ (oder „Simon vs. the Homo Sapiens Agenda“) und des gleichnamigen Films ist. Die bei uns über Disney+ empfangbare Serie spielt einige Jahre nach den Geschehnissen in Buch und Film, weist aber Parallelen in Handlung und Gestaltungsweise auf. Jedoch ist es meiner Meinung nach nicht zwingend notwendig, den Film gesehen zu haben, um die Handlung der Serie zu verstehen. „Love, Victor“ gibt uns genügend Infos und Einblicke in die Welt von „Love, Simon“, sodass wir uns problemlos auf Victors Geschichte konzentrieren können. Für alle, die den Film noch nicht gesehen haben, hier ist ein kleiner Vorgeschmack, der hoffentlich Lust auf mehr macht. Denn ich kann sowohl den Film, als auch das Buch herzlichst empfehlen. Wenn ihr jedoch „Love, Victor“ und „Love, Simon“ schauen wollt, dann solltet ihr mit dem Film beginnen, da ihr euch sonst selbst spoilert.
Simon ist Victors Blue
Ein Aspekt, der mir an der Serienadaption sehr gefallen hat, ist dass die Struktur des Buches teilweise übernommen wurde. Im Buch ist jedes zweite Kapitel eine Konversation via E-Mail zwischen Simon und Blue. Das gibt dem ganzen eine gute Struktur. Ein Kapitel Handlung wird so durch die E-Mails gut abgerundet. Eben diesem Prinzip folgen auch die einzelnen Episoden bei „Love, Victor“. Victor kommuniziert via Textnachrichten mit Simon. Zu Beginn jeder Episode schreibt Victor ihm eine Nachricht, über die Dinge, die in seinem Leben gerade passieren. Simon, der unsichtbare Mentor, gibt Victor Ratschläge und hilft ihm mit der ganzen Situation klarzukommen. Die Stütze, die Blue somit damals für Simon dargestellt hat, stellt Simon nun für Victor da. Simon wusste nicht, wer Blue war. Und auch Victor kennt Simon eigentlich nur vom Hörensagen und durch die Nachrichten. Doch trotzdem entsteht eine so innige und vertraute Beziehung, dass Victor Simon einen Einblick in sein Innerstes gewährt und sich ihm anvertraut. In der Episode acht „Männerausflug“ treffen Simon und Victor das erste Mal aufeinander. Victor fühlt sich zu diesem Zeitpunkt in gewisser Weise von Simon hintergangen, da dieser Victors Geschichte und seine Nachrichten mit seinen Freunden geteilt hat. Als Victor dann auf Simon trifft, entsteht für mich eine der schönsten Szenen der ganzen Serie. Simons Monolog ist so wunderbar geschrieben, dass es mir tatsächlich kleine Tränen ins Auge getrieben hat. Dieses Gefühl, dass vermittelt wird, ist das einer großen Community. Die LGBTIQ+ Community ist durch einen starken Zusammenhalt geprägt und dieser Zusammenhalt, der die unterschiedlichsten Menschen zusammenbringt, wird in dieser Episode von „Love, Victor“ wunderbar auf den Punkt gebracht. Simon findet meiner Meinung nach genau die passenden Worte. Außerdem erfahren wir in dieser Szene, wieso Victor eine Jacke besitzt, die genau aussieht wie Simons charakteristische Jeansjacke. Es ist seine.
„Because we’re family.“
Interessante Nebencharaktere
Im Gegensatz zum Film „Love, Simon“ wurde bei der Serie „Love, Victor“ viel mehr auf differenzierte und tiefgründige Nebencharaktere geachtet. Nicht nur die Storyline der Familie Salazar ist äußerst ansprechend gestaltet, auch die Beziehung zwischen Mia und ihrem Vater, Andrew und Mia, sowie die zwischen Felix und Lake reißt die Zuschauer:innen mit. Aber auch die Dynamik zwischen Benji und seinem Freund Derek ist meines Erachtens sehr interessant, auch wenn die beiden vergleichsweise wenig gemeinsame Screentime haben.
Familie Salazar
Was machen Fremdgehen und Geheimnisse aus einer Familie? Und was passiert, wenn man viel zu früh heiratet, ohne „gelebt“ zu haben? Aber vor allem, wie ändert sich nicht nur die Dynamik zwischen den Eltern, sondern in der ganzen Familie, wenn kein Vertrauen mehr vorhanden ist? Was passiert, wenn Kinder und Jugendliche aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen werden? All diesen Fragen wird in der Familie Salazar nachgegangen. Ich muss gestehen, zu Beginn der Serie fand ich Pilar, Victors Schwester, ziemlich anstrengend. Doch dann hat man immer mehr einen Einblick in ihr Gefühlsleben bekommen. Erstens ist sie ein Teenager und die sind sowieso nicht immer einfach. Und zweitens wurde sie von allem weggerissen, was ihr etwas bedeutet hat. Sie musste ihre Freunde, ihren Freund und ihre Heimat verlassen, als sie dann auch noch den Grund erfährt, reagiert sie meines Erachtens verständlicherweise wütend. Pilar macht für mich eine interessante Entwicklung während der Serie durch, aber aber vielleicht macht man auch als Zuschauer:in eine Entwicklung durch. Schön finde ich jedenfalls die aufkeimende Freundschaft zwischen ihr und Felix und hoffe, dass davon in Zukunft mehr zu sehen sein wird. Auch, wenn die Beiden auf den ersten Blick nicht gerade wie die besten Freunde zu wirken scheinen, denke ich, dass in dieser Beziehung viel Potential steckt und würde mich über mehr gemeinsame Screentime der Beiden freuen.
Felix und Lake
Da wir schon bei Felix sind: Er ist irgendwie ein liebenswerter Trottel und irgendwie auch nicht immer so trottelig (falls das irgendwie Sinn für euch ergibt). Ich glaube einen Freund wie Felix wünscht sich jede:r. In der ganzen Serie ist Felix für mich mit großem Abstand der sympathetischste Charakter von allen. Soll natürlich nicht heißen, dass die anderen Charaktere es nicht sind. Felix jedoch schafft es einfach nochmal eine Schippe draufzulegen. Es ist schon verdammt süß, wie vernarrt er in Lake ist. Aber er gibt ihr auch einfach Halt und gerade in der Szene, in der er sich bei ihr unterm Bett verstecken muss, als ihre Mutter kommt, beweist Felix mal wieder, wie feinfühlig er ist. Aber ich kann auch gut verstehen, wie sehr Lake von ihrer Mutter unter Druck gesetzt wird, perfekt zu sein und den Äußeren Schein zu waren. Umso schöner finde ich den ganzen Prozess, den sie bis Ende der Staffel durchmacht, wenn es um sie und Felix geht. Von einer geheimen Affäre, zu einer Liebschaft von der ihre beste Freundin Mia weiß bis hin zu einem mehr als öffentlichen Bekenntnis zu Felix. Sie wächst und bildet ihren eigenen starken Charakter aus; sie ist nicht mehr ganz so unsicher und sucht auch nicht mehr so extrem nach Bestätigung anderer. Sehr gerührt hat mich auch die Szene, in der Felix Lake mit zu sich nach Hause nimmt. Das zeigt, wie sehr er ihr vertraut und auch wie viel sie ihm bedeutet. Wie bereits gesagt, Felix ist einfach ein wirklich gut geschriebener Charakter. Die Szene, in der er jedoch am meisten glänzt, ist die, als Victor sich vor ihm outet.
Mia, ihr Vater und Andrew
Ich kann gar nicht aufhören es zu betonen: die Nebencharaktere sind wirklich vielschichtig und gut durchdacht. Die gesamte Story um Mia, ihre Mutter, die abgehauen ist und ihren Vater mit seiner neuen Frau, würde schon Stoff für eine weitere Serie bieten. Mia hat mit viel zu kämpfen und dann ist da auch noch Andrew, der sich in sie verguckt hat. Mia jedoch sieht das alles als Fehler an und so bleibt Andrew nichts anderes übrig, als eifersüchtig auf Victor zu sein und Mia aus der Ferne heraus zu bewundern. Andrew an sich ist auch ein sehr interessanter Charakter: Er ist der typische Highschool-Jock. Der Macho und gleichzeitig irgendwie der beliebteste Typ der Schule. Doch hinter der taffen Fassade verbirgt sich in gewisser Weise eine Unsicherheit. Zum Ende der Staffel merkt man deutlich, wie sich etwas in Andrews Kopf tut und er realisiert, dass er mit seinem Verhalten nicht so weitermachen kann, wenn er Mia für sich gewinnen möchte. Als er dann auch zufällig derjenige ist, der mitbekommt, dass Victor Benji geküsst hat, dies aber nicht Mia erzählt, zeugt das für mich von Charakterstärke. Endgültig meine Meinung über Andrew habe ich aber in der Szene danach geändert. Er begleitet Mia, welche vollkommen aufgelöst ist, nachdem sie gesehen hat, wie Benji und Victor sich küssen, wie ein Gentleman nach Hause. Als sie ihn fragt, ob er mit hereinkommen will, lehnt er ab. Es gibt sie doch noch, die anständigen Teenager! Andrew möchte Mia zeigen, dass sie ihm wichtig ist und nutzt ihre Verletzlichkeit in dieser Situation nicht aus. Das beweist für mich, dass Andrew eigentlich keinen schlechten Charakter besitzt, sondern viel mehr versucht, eine coole Fassade aufzubauen, welche er in Gegenwart von Mia jedoch fallen lässt. Und ich muss echt zugeben, ich finde Andrew passt irgendwie auch zu Mia. Hört sich etwas harsch an, aber ich finde, sie macht ihn zu einer besseren Version von ihm selbst. Und Andrew bietet Mia den Rückhalt, den sie braucht.
Es scheint alles zu stimmen
Anders kann ich die Serie „Love, Victor“ nicht beschreiben. Die Thematik der Serie ist zeitgemäß und zeigt, dass Sexualität nicht schwarz und weiß kennt, sondern aus einem Spektrum an Farben besteht, wie Victor auch selbst erst lernen muss. Außerdem bedeutet Liebe nicht gleich romantische Liebe. Denn ich finde, dass in unserer Gesellschaft der Begriff Liebe viel zu häufig mit dem der sexuellen oder romantischen Liebe gleichgesetzt wird. Wenn ich als Frau sage, dass ich einen männlichen Freund liebe, wird das meistens falsch verstanden. Doch für mich geht diese freundschaftliche Liebe noch viel tiefer, als jede romantische es könnte. Genau das empfindet Victor auch für Mia. Er sorgt sich um sie, er liebt sie tatsächlich; nur auf eine andere Art, als sie ihn liebt. Die Serie ist in gewisser Weise tiefgründig, aber auch leicht und fröhlich zugleich. Sie bringt einen als Zuschauer:in zum lachen, lässt einen aber auch hier und da eine kleine Träne vergießen.
Ich kann hier tatsächlich nicht anders, als fünf von fünf Kronen für diese Serie zu vergeben. Denn ich hatte zu Beginn tatsächlich Bedenken, wie gut eine Serie wird, die an die Verfilmung eines Romans anschließt. Auch wenn der Film „Love, Simon“ wirklich schön ist, so büßt er doch gegenüber dem Buch ordentlich an Zauber ein. „Love, Victor“ jedoch hat diesen Zauber. Vielleicht ist das auch das Zeichen dafür, dass sich nicht jeder Stoff unbedingt als Film umsetzen lässt.
Was mich natürlich nach dem Cliffhanger der ersten Staffel umso mehr freut, ist dass Staffel Nummer zwei bereits bestätigt wurde. Und noch besser: Auf Hulu, dem Original-Sender von „Love, Victor“ wird es die zweite Staffel bereits ab dem 11. Juni diesen Jahres geben! Unklar ist jedoch noch, ab wann sie für uns auf Disney+ empfangbar sein wird. Voraussichtlich jedoch nicht sonderlich viel später.
Bilder: Hulu, Disney+
Kommentiere
Trackbacks