Ich weiß, an vielen Stellen geht die Angst um vor der Marvelisierung des Film- und Serienbusiness‘. Tatsächlich dominieren Marvel-Produktionen die Serien- und Kinocharts. „Avengers: Infinity War“ legte jüngst den besten Kinostart eines Films hin, Netflix bastelt weiter munter an den eigenen Marvel-Serien, und parallel zum Marvel Cinematic Universe (MCU) wird auch das X-Men-Universum munter weiter ausgebaut. Derweil man mit den bisherigen Realserien vor allem das erwachsene Publikum bedient und für den Superhelden-Nachwuchs verschiedene animierte Formate im Programm hat, tat sich im Teenager-Bereich bislang noch eine Lücke auf. Klar ist diese Zielgruppe auch von den Avengers begeistert, aber serientechnisch sind Formate wie „Marvel’s Jessica Jones“ oder „The Punisher“ dann doch etwas zu erwachsen. Mit „The Gifted“ schickte man deswegen eine erste Teenager-Serie ins X-Men-Universum, jetzt folgt mit „Marvel’s Runaways“ eine weitere Serie im MCU. Kann das funktionieren?
Die Ausgangslage ist gut: Das MCU bietet eine großartige Basis. Alles ist verbunden, mit tollen Geschichten und Charakteren, die jede Menge Potenzial bieten. Darauf bin ich ja bereits in meinem Kommentar zum qualitativen Unterschied zwischen DC und Marvel eingegangen, und auch in unserem Superhelden-Podcast haben wir das zuletzt thematisiert. Runaways könnte ein weiterer solider Baustein sein. Und damit kommen wir zum Serienauftakt.
Kurzüberblick: Darum geht’s in Marvel’s Runaways
Die Story in „Marvel’s Runaways“ dreht sich um eine Gruppe von Teenagern, die den Verlust der gemeinsamen Freundin Amy verschmerzen muss. Über den zu Beginn noch etwas nebulös gehaltenen Tod scheint die Gruppe zerbrochen und hat aus einer Gemeinschaft sechs Individuen geschaffen. Zum Jahrestag von Amys Tod kommen sie wieder zusammen und machen eine schockierende Entdeckung: Ihre Eltern sind nicht Teil einer wohltätigen Organisation, sondern gehören einer Art Geheimbund an, der offensichtlich nichts Gutes im Sinn hat.
Kritik
„Marvel’s Runaways“ stellt nicht nur Teenager in den Mittelpunkt, sie scheint wie gesagt auch als Teenager-Serie konzipiert zu sein. Nicht umsonst hat man mit Stephanie Savage und Josh Schwartz Drehbuchautoren verpflichtet, die schon mit „The O.C.“ und „Gossip Girl“ entsprechende zielgruppenorientierte Serien an den Start gebracht haben. Doch beim ersten Schauen der Auftaktfolge merkt man gleich: Hier könnte mehr dahinter stecken. Klar bedient man hier einige Klischees, spielt auf die aktuellen Medien(probleme) der Zeit an – und das ist leider auch einigermaßen platt: Jeder auf dem Campus hat beispielsweise ein Smartphone in der Hand, natürlich gibt es auch einen ersten viralen Mobbingvorfall, und dass es Schminktipps bei Youtube gibt, wird auch mal eben erwähnt (wenn auch an der entsprechenden Stelle ganz amüsant platziert). Auch die Hauptcharaktere sind stereotypisch angelegt, es gibt den Nerd, das Goth-Girl, die Außenseiterin, die Aktivistin, den Durchtrainierten und die Schöne. Aber anders als beispielsweise bei „The Gifted“ fühlt sich das hier in Ordnung an. Die Figuren sind nicht so darauf angelegt, dass sie diese Stereotype betonen oder platt verstärken, sondern sie werden mitunter auch karikiert oder mit einer gewissen Tiefe gezeichnet. Also keine Abziehbilder, bloß um alle Ausprägungen irgendwie mitzunehmen.
Mir gefällt, wie sich die Serie gleich zu Beginn Zeit nimmt, um uns die Charaktere näher zu bringen. Nacheinander werden die Hauptfiguren vorgestellt, Schritt für Schritt entfaltet sich auch das Netzwerk zwischen diesen Figuren. Selbst die Umgebungen der Personen werden mit einbezogen und entsprechend gestaltet: Die weiße, strahlende Welt von Karolina Dean, die elitäre Umgebung des Sportlers Chase Stein, das Alternative bei Molly und Gert Yorkes oder das durchgestylte Ambiente bei Nerd Alex Wilder. Nur bei Nico Minuro passt das alles noch nicht zusammen. Klar, sie gehörte auch nicht zur ursprünglichen Gruppe, sondern vielmehr ihre Schwester Amy. Sie gibt ein bisschen das schwarze Schaf der Gruppe, ist auch ihrem Outfit und ihrem Verhalten nach erst einmal die Rebellin. Aber sie hat auch eine andere Seite, was vor allem beim Aufeinandertreffen mit Alex deutlich wird (ganz cool gemacht, wie sie erst auf den Kopfhörer deutet, als hätte sie nichts von Alex‘ sentimentalen und ehrlichen Worten verstanden, dann aber nur für sie und uns hörbar die Musik erst dann startet, als sie sich von Alex wegbewegt). So lernen wir die ganze erste Folge erst einmal nur die Figuren kennen und erfahren ihren gemeinsamen Hintergrund. Und erst ganz zum Schluss bekommen wir die Grundlage dafür präsentiert, was sich wohl die restliche Staffel über entwickeln wird.
Bis dahin überzeugt „Marvel’s Runaways“. Die Auftaktfolge ist gut, überraschend gut sogar. Man hätte befürchten können, dass man hier eher leichte Unterhaltung vorgesetzt bekommt, doch schon jetzt zeigt die Serie einige Ecken und Kanten, setzt offensichtlich auf Charakterentwicklungen und ausführliche Auseinandersetzungen mit Problemen, die die Jugendlichen bewegt: Konflikte mit ihren Eltern, aber auch untereinander, der Verlust einer Freundin, die Bedeutung von Freundschaften und vieles mehr. Ich finde die Figuren auch überzeugend besetzt. Und bis auf zwei kurze Aussetzer bei Molly merkt man auch nicht, dass wir uns hier in einer Superhelden-Serie bewegen. „Marvel’s Runaways“ setzt bislang praktisch gar nicht auf den Superhelden-Faktor, sondern versucht, eine Geschichte zu erzählen. Könnte klappen.
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