Aufmerksame Zuschauer dürften direkt zum Start der Episode Hoffnung aufgebaut haben, dass da Großes auf sie zukommen könnte. Die Rückschau auf vorherige Geschehnisse griff auf sehr alte Geschehnisse zurück, dazu die Spieldauer von 56 Minuten und Credits, die ungewohnter Weise direkt zu Beginn starten. Und vor allem – auch dank der eingenommenen Kofferraum-Perspektive – einen ganz besonderen Fokus auf den eher überschaubaren Cast gelegt haben. Und Großes sollte Folgen.
Ein Drama in fünf Akten, um genau zu sein. Und nicht nur diese Akt-Aufteilung hat der Episode etwas im Stile einer Theater-Aufführung gegeben. Es gibt dramatische Streicher-Arrangements, lang(sam)e Schwarzblenden und letztlich bekommen wir nur sechs Figuren und zwei Räume zu sehen. Ein Kammerspiel par excellence!
„I told myself I‘d keep it cool, you know. I told myself I would’nt do no fanboy shit like this, but I‘m sorry dude, I just have so much respect for your ass…“ (Vera)
Inhaltlich setzt es direkt dort fort, wo wir vergangene Woche aufgehört hatten. Zunächst im Kofferraum, dann in Kristas Wohnung. (Charakter) Elliot ist bei (Darsteller) Elliot (Villar, der Vera spielt). Vera erzählt von seiner Vision, absoluter Kingpin von New York zu werden. Während seiner langen Körper-Sekret-Geschichte bekommen wir eine sehr feine Kamerafahrt hinüber zur geknebelten Krista geboten. Nur eine von etlichen sehr gelungenen Shots, die trotz der begrenzten Räumlichkeiten gelangen (Gegenlicht, Bildaufbau, Abwechslung der Shots – stark).
„No one here wants to see no rerun, bruh!“ (Vera)
„What kind of name is ‚Mr. Robot‘ anyway? It‘s Nickelodeon bullshit, man!“ (Peanuts)
Um sein großes Ziel zu erreichen, braucht Vera Unterstützung und will Mr. Robot treffen. Der Moment, in dem dieser das Ruder übernimmt, ist erstaunlich intensiv und gut gespielt. Und ab da wird es nur noch intensiver, von Akt zu Akt. Vera will den Ursprung Mr. Robots erfahren, doch schellt er zunächst an der harten Schale des Beschützer-Alter-Egos ab. Mr. Robot macht Veras Master-Vision in einem Atemzug und leicht sarkastisch zunichte. Zumindest auf dem Papier. Die Dialoge sind vor allem in diesem Segment verdammt griffig und auf den Punkt geschrieben.
„I‘m not someone you push around with a gun – I AM the gun.“ (Mr. Robot)
Zunächst erscheint das Lösung-bringende Ziel dieser Charakter-Konstellation in der Zusammenführung selbst. Der eh geplante Hack soll Vera das nötige Startkapitel beschaffen. Also alles wie immer und es kann weiter gehen? Nicht ganz.
Im dritten Akt kommt es zum dramatischen Höhepunkt. Dachte man. Eher kam es zu einem, bzw. zwei Höhepunkten. Zunächst versucht Elliot mit Tyrells Waffe, die er aufgelesen hatte, seine drei Geiselnehmer zu erschießen. Ohne Erfolg, da ausnahmsweise mal Logik in einer Serie vorhanden war. Dann folgt eine Beinahe-Hinrichtung Kristas, die durch eine kleine Beichte gestoppt werden konnte, die das große Finale einleiten sollte: Elliot braucht sie. Vera schwenkt danach um, weiß, dass nicht er die Fragen stellen muss und Krista mehr als nur eine leere Drohung sein kann.
„I said, keep reading!“ (Elliot)
Beim Vorlesen ihrer Notizen dachte ich zunächst, wir bekämen endlich die angedeutete dritte Persönlichkeit Elliots präsentiert. Aber nicht wirklich. Es geht aber zurück zum Anfang. Zurück zur traumatischen Erzählung, die uns einst den ersten großen Twist in Staffel 1 beschert hatte. Das Fenster.
Rami Maleks Spiel in den Momenten des Erinnerns war bereits dort stark und sollte sich ab dann nur noch steigern. Aber auch die anderen haben ein wahres Feuerwerk abgefackelt, vor allem Richtung Ende. Elliot Villar war als Bösewicht Vera erneut hart, emotional, intensiv und auf eine gewisse Weise faszinierend manisch. Gloria Reuben hat Kristas Verzweiflung und Todesangst bereits fulminant verkörpert, als ihre Figur noch gefesselt und geknebelt war. Das war definitiv eine Episode, die über Emmy Awards entscheiden könnte.
„You didn‘t exist when I was a kid, did you?“ (Elliot)
Es stellt sich heraus, dass Darlene Elliot belogen hat. Und er sich selbst. Er hatte Angst vor seinem Vater, der doch sonst „der Gute“ in der elterlichen Kombo und letztlich in der Projektion Mr. Robots auch seine Beschützer-Seite dargestellt hatte. Die Spannung vor der inhaltlichen Auflösung war greifbar. Und ab einem gewissen Punkt musste Mr. Robot gehen, als er einsah, dass es kein Zurück mehr geben würde.
„I can‘t protect you anymore.“ (Mr. Robot)
Sexueller Missbrauch. Der eigene Vater. Mr. Robot wurde also als Abwehrmechanismus erschaffen, damit er quasi die Pein „übernehmen“ und Elliot davor isolieren kann. Sein erster Blackout von vielen, damit Elliot sich nicht emotional damit befassen muss. Eine Abschottung. Als Elliot zu weinen begann, musste ich beinahe mitweinen (wie alle anderen Figuren auch)…
Mir hat dabei die sehr subtile Kamera-Arbeit gefallen. Je später die Szene war, desto mehr wurde auf Elliot gehalten, auch wenn andere Personen gesprochen haben. Und die Perspektive näherte sich ihm immer weiter an. Schicht für Schicht, die sich in der Offenbarung ergab und die er persönlich von der verborgenen Erinnerungs-Decke entfernt hat, kamen wir Schritt für Schritt an ihn heran. Wie er selbst auch.
Im abschließenden Akt wähnt man sich in der zusammenfassenden Ordnung. Die gewaltigen Geschehnisse sollten beruhigt und in den erzählerischen Rahmen eingeordnet werden. Passt ja auch, denn wie angestrebt hat Vera Elliots Psyche zerstört und will ihn jetzt nach eigenen Wünschen neu aufbauen. Einen eigenen Wunsch-Partner schaffen. Und für einen kurzen Moment meint man als Zuschauer gar ein bisschen zu glauben, dass die beiden gar nicht so verschieden sind. Vielleicht wird das ja eine für immer haltende Freundschaft?
Nope. Denn Krista killt Vera. Ein guter Moment, den ich so nicht hatte kommen sehen. Im Gegensatz zu Elliot. Mir war zunächst nur aufgefallen, dass Elliots Haaransatz in Verwunderung zurückgefallen war, danach schaute ich nochmal und seine Augen sind immer wieder an Veras Kopf verbei gesprungen, um die heranschleichende Krista zu beobachten. Und wie im Theater üblich, gehen nach dem letzten Akt die Lichter aus. Ende. Standing Ovations.
Wow. Einfach nur wow. Das war definitiv kein „Nickelodeon shit“… Da ist sie, die zweite volle Fünf-Kronen-Wertung, wobei ich diese Episode noch besser als die eher durch das Konzept-Gimmick künstlerisch überzeugende S04E05 „405 Method Not Allowed“-Episode (Review) fand. Vielleicht war das sogar die beste Folge der ganzen Serie. Eben auch, weil sie so reduziert war. Hatte die letzte Folge bereits viel Dialog-Anteil und konnte sie beweisen, dass Sam Esmail es schafft, Geschichte erzählen zu lassen, ohne zu langweilen, wurde das hier nochmal um mehrere Stufen intensiviert. Was zunächst noch gut bis sehr gut begann, entwickelte eine hervorragende Dynamik. Die auf mehrere Minuten langgezogene Enthüllung am Ende fühlte sich an wie wenige Minuten. Die Stimmung hätte man zerschneiden können, ich wette, viele Zuschauer saßen auf den Kanten ihrer Stühle. Groß!
Und dann sind da noch die Kleinigkeiten, die aus einer richtig guten eine perfekte Folge werden lassen. Die atmosphärischen und uns quasi im Regen stehen lassenden Wassertropf-Geräusche sowie die eingeblendete Hilfehotline gegen häusliche Gewalt im Abspann zum Beispiel. Einziges Mini-mini-mini-Manko war meiner Meinung nach, dass die beiden Gangster-Sidekicks trotz teils lauterer Geräusche nicht wieder in die Wohnung gekommen, bzw. gar nicht erst nur im Nebenzimmer waren, wie ich zunächst annahm. Aber wurscht, dann war es halt so.
Das Schöne ist, dass wir jetzt erst ziemlich genau bei der Halbzeit sind. Sieben von 13 Episoden waren das und die vierte und letzte Staffel „Mr. Robot“ liefert einfach (bis auf kleine Ausnahmen) Woche für Woche verdammt stark ab. Wahnsinn!
Bilder: usa Network
Falsch! Darlene hat Elliot nicht belogen, sie konnte sich selbst nicht an den Missbrauch erinnern. Schließlich war sie zu diesem Zeitpunkt erst 4 Jahre alt.
Von der Art des Kommentars abgesehen, durchaus ein valider Punkt. Es gibt aber Leute, die können sich durchaus an Momente in diesem Alter erinnern und vielleicht wollte sie ihn auch nur schützen.
die gangster side kicks hatte er zuvor „spazieren“ geschickt. also warum sollten sie im nebenzimmer sein?
Naja, „take a walk“ ist auch sprichwörtlich im Sinne von „haut ab“ zu verstehen. Wenn sie es tatsächlich wörtlich genommen haben – okay. Denke aber nicht, dass die Sicherheits-Leute ihn komplett außer Acht lassen. Im Kontext ging es lediglich um die Intimität des Raumes, höchstens noch um die Tatsache, dass sie nicht in Hörweite eines in normaler Lautstärke vorgetragenen Gespräches sein sollten. Sie sollten daher zumindest vor der Wohnungstür parat stehen, sollte was passieren.
ACK. Die Folge ist ein absolutes Meisterwerk und das Review hier trifft voll ins Schwarze!
Bedankt! :)
Klasse Review und absolut geniale Folge… Dialoge, Schnitt, Kamera, Dramaturgie und Schauspielkunst auf höchstem Niveau.
Es lohnt sich, die Folge nochmal anzuschauen. Wie so oft sind es die Details, welche ein sehr gutes Werk in Perfektion verwandelt.
Der erste Versuch von Vera, Elliot wieder nach seinen Wünschen aufzubauen, erfolgt eher auf einer Vater-Sohn-Ebene. Veras Worte und vor allem sein Versuch einer Umarmung lösen in Elliot allem Anschein nach eine Assoziation mit dem Missbrauch aus seiner Kindheit wach. „Don’t touch me!“. Man erinnert sich an Staffel 1, in der Elliots Abneigung gegen Körperkontakt allgegenwärtig war.
Zu eurer Diskussion mit Javi und Peanuts: Wer sagt denn, dass sie nicht noch in der Nähe sind? Einen plausiblen Grund in den Dialog zwischen Elliot und Vera reinzuplatzen, gab es nicht.
Puh! Ich saß gerade nach dieser Folge überwältigt vor dem Laptop und musste auch erst mal verarbeiten. Danke für diesen Artikel. Unglaubliche Folge. Zusammen mit der One-Shot Folge „Run Time Error“ (S3E5) meiner Meinung nach eine der besten.
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