Eine bunt durchmischte Staffel geht zu Ende und nach den vorherigen Folgen habe ich auch sehr gemischt Gefühle. Hoffentlich bringt das Finale der sechsten Staffel ein verdientes Ende. Und scheinbar hat jemand im Writers Room seine gesamte Energie gespart und diese grandiose letzte Folge gesteckt.
Wir steigen direkt dort ein, wo uns die zwölfte Folge entlassen hat. Die bewaffneten Wachen von MCC haben die Erlaubnis bekommen Litchfield zu stürmen. Und diese Wachen sind nicht zimperlich. Mit Tasern und Knüppeln ausgerüstet prügeln sie auf alle Insassinnen ein, die nicht bei drei an der Wand stehen oder auf dem Boden liegen. So brutal die Szenen in dem Moment auch sind, es musste so kommen. Wer die Staatsgewalt herausfordert, kann nicht ungestraft davon kommen. Taystee bekommt noch einen letzten Moment der Erkenntnis. Sie bleibt weiter für die fehlgeschlagenen Verhandlungen verantwortlich und so wohl die größte Leidensgestalt der ganzen Staffel. Ihr Einsatz in den Verhandlungen mit MCC und die Gerechtigkeit für Poussee’s Tod sind ihr hoch anzurechnen, am Ende wird aber der rohe Alltag der Rechtsstaatlichkeit keine Rücksicht auf sie nehmen.
Gloria sitzt mit Luschek fest. Ihr Ziel zu ihrem Sohn zu kommen scheint zerstört. Tragisch vor allem deshalb, weil ihre Entscheidung die gefangenen Wärter der Freiheit näher zu bringen schlussendlich zur finalen Erstürmung beigetragen hat. Hatte es am Ende keinen Sinn und ihre Bemühungen waren schlicht umsonst? Sie muss sich, wie auch Taystee, in der kommenden Staffel auf jeden Fall mit einer Teilschuld plagen. Priorität hat in diesen Momenten aber weiterhin das Wohlbefinden ihres Sohnes. Hat er die Operation überlebt oder wird sie ihn nie wieder sehen? Glück im Unglück und sie wird von Zirconia befreit. Ironischerweise mit einem Messer, was sie gegen Glorias Handy getauscht hat. In Litchfield ist das Schicksal also immer zweischneidig. Gloria ist zwar wieder frei, aber der Kontakt zu ihrem Sohn noch nicht hergestellt. Luschek gibt ihr noch einen Hinweis mit auf den Fluchtweg, sie soll sich in Healy’s Büro unter dem Tisch verstecken und das Telefon benutzen. Luschek hat sich über die Staffeln als kleiner sympathischer treudoofer Wärter entwickelt und obwohl er wirklich als Geisel von den Insassinnen geplagt war und als Letzter übrig geblieben ist, hilft er Gloria. Guter Junge. Auch wenn mich Gloria’s Geschichte nicht sonderlich bewegt hat, war ihr abschließendes Telefonat doch ein wenig rührend. Sie schafft es noch ihre Mutter zu erreichen und die gute Nachricht von der erfolgreichen OP ihres Sohnes zu hören. Er lebt. So bekommen ihre Unternehmungen aus den letzten Folgen noch einen positiven Schwenker.
Nicky findet die zerstreute Lorna auf dem Boden der Apotheke und versucht sie mit zum Pool zu holen. Lorna hat aber mit dem Fliehen abgeschlossen. Als sie Nicky das Schubfach mit den benutzten und positiven Schwangerschaftstests zeigt ist klar, sie hat keine Lüge erzählt. Nach vielen Selbstzweifeln und Betrügereien hat Lorna durch den Aufstand zu sich selbst gefunden. Ein paar Minuten noch zu zweit mit Nicky, bevor die Wachen kommen, ist alles, was Lorna noch will. Ein schöner Ruhemoment in der Hektik der nahenden Wärter.
Taystee kommt von einem tragischen Moment direkt in den nächsten. Sie findet Cindy an Suzanne’s Bett. Das unregelmäßige Atmen von Crazy Eyes macht ihr Sorgen und scheinbar steht ihr Leben auf der Kippe. Vorwürfe werden ausgeteilt. Cindy und Taystee hätten sich vernachlässigt. Beide fühlen sich überfordert und von den anderen im Stich gelassen. Beide sind aber auf ihre Art mit den Problemen des Aufstands umgegangen. Auch Cindy hat sich für ihre Freunde eingesetzt, wie auch Taystee. Und so führt der Notfall um Suzanne die beiden wieder zusammen. Improvisieren können die Knasties schon immer gut und so schnappen sich die beiden kurzerhand den Rollstuhl des toten Humphrey und schieben Suzanne gen Rettung. Hier war auf jeden Fall für mich der Moment, an dem ich Suzanne schon abgeschrieben habe. Wie sollen die Mädels diese Situation nur retten? Der kurze Ausflug in die Apotheke hilft nicht und die prügelnden Wärter kommen immer näher. Spannend bis aufs letzte inszeniert und in einer kleinen Pulp Fiction Hommage als Höhepunkt beendet. Cindy schießt mit der Hilfe von Frieda Suzanne eine Adrenalinspritze ins Herz und sie ist wieder ganz die Alte. Puh. In dieser Staffel hätte ich wirklich mit allem gerechnet, aber Suzanne auf der Opferliste hätte mich schon sauer gemacht.
Auch bei den stürmenden Wärtern wird wieder auf das fatale Polizeisystem in den USA angespielt. Die Wärter sind jung, unerfahren und schießwütig. Gefühlt auch primär weiß. Viele Szenen bleiben im Kopf hängen und sind wohl bezeichnend für die Kritik der Autoren am US System. Die Stürmung der Kapelle und das Einprügeln auf die weinenden Frau. Verwirrt bittet sie nicht geschlagen zu werden, doch die Wärter machen genau das. Der Übergriff auf Soso, die friedlich am Gedenkplatz von Poussee protestiert und mit roher Gewalt abtransportiert wird. Die jungen Wärter sind schießwütig und wollen ihre Waffen nutzen. Es kommt zwar der Hinweis, sie sollen die Pfefferbombenwaffen nur nach oben richten, denn die Geschosse können tödlich sein, aber wirklich ernst nimmt es keiner der jungen Einsatztruppen.
Einen recht amüsanten Part in der Folge bekommen die White Power Mädels in Ko-Op mit Ouija und Pidge. Die Gruppe zieht sich in den Schlafsaal zurück und bastelt in MacGyver Manier kleine Fallen und Bomben um die nahenden Truppen zu überfallen. Matratzen als Türstopper und Batteriebomben. Dass die Frauen keine Chance gegen die gute gerüsteten und gepanzerten Wärter haben ist von Anfang an klar, aber die Sequenz in der die beiden Fronten aufeinander treffen sorgt für einen amüsanten Höhepunkt der Folge und ist abstrus und schön anzusehen.
Wie auch der letzte Vlog von Maritza und Flaca. Beide nehmen ihre letzten Schönheitstipps auf und werden just im Moment des Live-Streams überrumpelt. Ein Wärter schießt im Eifer eine Pfefferbombe an die Decke und erwischt Maritza’s Augen. Rot und mit Tränen gefüllt. Als die beiden nach draußen geführt werden, zeigt sich aber der Erfolg ihres Vlogs. Fans haben sich vor Litchfield gesammelt und begrüßen die Schönheitsqueens mit Schildern und Fangesängen. Verdient!
Chang, die immer mal wieder in der Serie eine kleine Humoreinlage bekommt, verabschiedet sich von Litchfield. Sie nutzt das Loch im Zaun und schleicht sich unbemerkt davon. Ein Blick zurück und der Kommentar „See you later, motherfuckers.“ reichen aus. Das könnte gut und gerne auch der Abschluss für diesen Charakter in der Serie sein.
Vor Litchfield müssen sich die abgeführten Gefangenen aufreihen. Auch MCC Linda ist aus ihrer Gefängnisrolle noch nicht heraus gekommen. Zusammen mit Boo kniet sie auf dem Vorplatz. Ein Moment der Gerechtigkeit trifft sie, als sie einem Officer sagt, sie arbeite bei MCC. Wären nicht die anderen Insassinnen die munter ebenfalls rufen, sie arbeiten alle bei MCC. Tja Linda, wer sich mit den falschen Leuten anlegt. Für sie wird die Flucht von Chang auf jeden Fall zum Verhängnis, denn so wird MCC bei der finalen Zählung auf die korrekte Personenzahl kommen und sie weiterhin als verrückte Verurteile einstufen. Apropos Personenzahl. Bei der Zählung merken die Wärter, dass zehn Insassinnen noch fehlen. Caputo kommt gleich der ehemalige Pool in den Sinn. Bevor er jedoch den Tipp an die Einsatztruppen gibt erfährt er, dass der Gouverneur grünes Licht für tödlichen Waffeneinsatz gegeben hat und entfernt sich vom Einsatzgelände. Er war und ist der Sympathisant von Litchfield. Am Ende war er auch ein Leidtragender der Einsparungen von MCC. Verarscht von Linda, der Firma und leider auch in keinem guten Licht bei den Insassinnen. Die kurze Intimszene mit Fig hätte auch nicht sein müssen.
Finaler Handlungsort. Das Versteck der übrigen zehn. Neben Red und Friedas Gruppe, haben mittlerweile auch Gloria, Cindy, Taystee und Suzanne letzten Schutz im Pool gesucht. Frieda’s Gruppe hat sich im Lauf der Stürmung schon ein wenig reduziert, aber Piscatella ist weiter in der Gewalt der Frauen. Taystee ist beim Anblick von Piscatella natürlich außer sich. Sie ist fertig mit sich und der Welt und greift zu Frieda’s Pistole. Gestresst von den Ereignissen droht sie Piscatella zu erschießen. Keine gute Idee. Auch wenn es nachvollziehbar ist und sie vor allem durch ihre falsche Entscheidung bei den Verhandlungen jetzt nach einem anderen Schuldigen sucht, der tödliche Schuss würde alles andere als zu Taystee passen. Die Spannung ist bei diesen Szenen richtig am kochen. Es passiert in den letzten Minuten so viel und man hält nur noch den Atem an. Taystee kommt natürlich noch zur Besinnung und lässt die Waffe fallen.
Die letzten Minuten der finalen Folge bekommen eine musikalische Untermalung, die emotional nochmal alles raus holt und thematisch einfach ideal passt. Die Klänge von To Build A Home vom Cinematic Orchestra setzen ein. Ein Bildmontage mit allen Folgen des Aufstands. Draußen die wieder verhafteten Frauen. Alle werden langsam in verschiedene Busse geführt. Viele werden voneinander getrennt und das Ziel ist unbekannt. Ein dramatischer Dialog gibt Ausblick auf die kommende Staffel. Als Maritza und Flaca getrennt werden sagt ein Officer kalt „Glaubt ihr ernsthaft, dass wir euch nach all dem wieder da rein lassen?“. Mit da ist sicher Litchfield gemeint. Und so kommt es, wie es in der Staffel wohl oft auch in Frage gestellt wurde. Sollte der Aufstand erfolglos sein, werden die Insassinnen nicht in ihr gewohntes Gefängnisleben zurückkehren. Der „Tausch“ wird kein guter sein. Vielen Charakteren wurde dieser Fakt gegen Ende der Staffel auch langsam bewusst, schlussendlich sitzen alle in einem Boot (oder Zelle). Das Cinematic Orchestra spielt weiter. Es gibt noch einige Tränenmomente. Lorna und Vinnie, der ein letztes Mal zu ihr rennt. Pennsatucky, die bei Coates für einen kurzen Moment ein normales Zuhause genießen kann und Maria, die ihr kleines Kind noch einmal in ihren Händen halten darf. Richtiges Emotionsfeuerwerk und die Frauen werden wohl ihr „Zuhause“, wie sie es gekannt haben, so nicht wieder sehen.
Damit noch nicht genug. Red hat Erbarmen mit Piscatella und lässt ihn laufen. Er soll gehen und niemals wieder eine der Frauen anfassen. Stillschweigend willigt er ein. Beide haben ihre Fehler erkannt und kommen zumindest zu einer Art von Abschluss untereinander. Für Red war es eine harte Staffel. Der Abschluss tut ihr gut und bringt ihre falschen Entscheidungen aus den vorherigen Folgen noch in eine gute Richtung. Die Einsatztruppe trifft im Flur auf Piscatella. Er hat nur Zeit für ein kurzes „Hey“ als der junge Wärter ohne Überlegen schießt. Direkt ins Gesicht. Piscatella hat sein Ende gefunden, aber nicht aus den Reihen der Insassinnen, sondern durch ein unerfahrenes schießwütiges Einsatzkommando. Das sitzt hart und düster.
Die Pool-Gruppe hört den Schuss und sie wissen, dass sie entdeckt wurden. Alle sind unsicher, was sie tun sollen. Frieda gibt einen Hinweis: bewahrt eure Würde. Und so stehen die zehn übrig gebliebenen Aufständlerinnen in einer Reihe, Hand in Hand. Sie warten auf ihr Schicksal. Die Tür explodiert und das Bild wird Orange. Wow. Was für ein Ende und Cliffhanger.
Die Folge widmet sich exzellent dem Abschluss aller offenen Handlungsstränge und nimmt sich trotz den nahenden Wärtern die Zeit, um jeden Charakteren in Litchfield noch gerecht zu werden. Ein wenig kommt zwar die Frage auf, warum die Einsatztruppen an manchen Stellen so lange brauchen, die kritischen Gedanken verschwinden bei dem schnellen Erzählfluss aber auch wieder. Der Aufstand ist fatal zu Ende gegangen. Das hätte ich in der Form nicht erwartet und hat der Staffel noch die nötige Spannung gegeben. Es gab keine Stelle, an der die Folge einen Hänger hatte. Es gab Adrenalinmomente und auch Taschentücher sind nicht trocken geblieben. Mit diesem Finale kann ich auch über die nicht so guten vorherigen Folgen hinwegsehen. Bravo und bitte mehr davon. Ich habe richtig Lust auf die siebte Staffel.
Bilder: netflix
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