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Herzliche Piraterie

Review: Our Flag Means Death – Staffel 1

18. Mai 2022, 17:44 Uhr
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Nach meinem detaillierteren Review zur Erstfolge Anfang März möchte ich euch an dieser Stelle nochmal einen Spoiler-armen Blick auf die gesamte erste Staffel der neuen Piraten-Comedy „Our Flag Means Death“ (Trailer) werfen. Die Serie hat sieben Wochen in Folge an der Spitze der US-amerikanischen Streaming-Charts gethront und binnen kurzer Zeit eine gewaltige Fanbasis für sich gewinnen können. Hier in Deutschland warten wir dagegen noch vergeblich auf eine reguläre Ausstrahlung – nicht mal ein Starttermin für ein mögliches Angebot über Sky, was als am wahrscheinlichsten für eine Übernahme der HBO-Max-Produktion gilt, ist bisher bekannt. Ein Trauerspiel, wenn man die Originalität der Sendung betrachtet.

Stede Bonnet, der etwas andere Pirat…

Die Grundgeschichte ist schnell erklärt: Stede Bonnet ist ein reicher Brite, der von Abenteuern auf hoher See träumt. Also lässt er sich ein Schiff bauen, heuert eine kunterbunte Crew an und versucht sein Glück als Piratenkapitän! Nur doof, dass er davon eigentlich gar keine Ahnung hat. Der „Gentleman Pirate“ agiert alles andere als souverän, gerät in lauter missliche Lagen und ist für einige plumpe Momente gut. Vor allem hat er aber eines: Herz. Das erinnert nicht zuletzt aufgrund der aufgebauschten blonden Tolle an Guybrush Threepwood aus dem Videospiel „Monkey Island“.

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Genau diese Herzlichkeit ist es, die teilweise ein bisschen nervt. Natürlich spielt „Our Flag Means Death“ mit der Abstrusität der Situation und lässt bewusst das raue und erbarmungslose Piratenleben auf das in feinem Saum gekleidete Aristokraten-Leben mit Tee-Service und Bücherregal treffen. Darin liegt auch jede Menge Potenzial für Komik, vor allem, wenn mit Blackbeard einer der berüchtigsten Piraten aller Zeiten auftaucht. Aber nach der sehr gelungen Einführungsfolge hat die Serie meiner Meinung nach ihre Probleme, in Gang zu kommen. Das erste Drittel der Staffel hat Höhen und Tiefen, plätschert aber ein bisschen daher, fühlt man sich gerade zum uncoolen Stede noch nicht recht angenähert. Das ändert sich mit der Zeit und vor allem im Zusammenspiel mit genanntem Blackbeard blühen die Figuren aber auch die Hauptdarsteller Rhys Darby und Taika Waititi gehörig auf.

Kunsterbunter Cast

Stedes Crew ist bereits voller interessanter Charaktere – sowohl, was die Figuren anbelangt, als auch hinsichtlich der Schauspielenden. Sei es der von Joel Fry („Game of Thrones“) gespielte Frenchie, der gerne mal ein Liedchen trällert, der mysteriöse Jim (Vico Ortiz oder der durchgeknallte und kaum verständlich daher redende Buttons (Ewen Bremner). Außerdem sind noch Leute wie Kristian Nairn (Hodor in „Game of Thrones“), Matthew Maher („Mozart in the Jungle“), Nat Faxon („Friends From College“), Samson Kayo („Truth Seekers“) oder auch Guz Khan („Taskmaster“) mit dabei.

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Auch im weiteren Cast lassen sich einige bekannte Gesichter erblicken. Allen voran die bezaubernde Claudia O’Doherty („LOVE“, „Killing It“) als Stedes Frau, als Gaststars sind zudem unter anderem Fred Armisen „Moonbase 8“), Kristen Schaal („Last Man on Earth“) und Will Arnett („Arrested Development“) zu sehen. Und der (mir zumindest) unbekannteren Con O’Neill gibt mit dem verschrobenen Izzy Hands eine der charakterstärksten Rollen. Ach, und übrigens: Showrunner David Jenkins ist in der ersten Folge als „Officer Shaw“ zu sehen.

Insgesamt hat mir der Cast gut gefallen, da gab es eigentlich keine wirklichen Ausfälle, eher einige überraschende Entwicklungen im Laufe der Staffel. Auch fühlte es sich so an, als sei da keine Figur (abseits der offenkundigen Statist:innen), die nicht durchdacht und in irgend einer Weise einen Zweck erfüllt hat.

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Inszeniertes Piratenleben

Vor zehn Jahren wäre eine Serie wie „Our Flag Means Death“ wohl noch nicht möglich gewesen. Das ambitionierte Vorhaben hätte man entweder auf einen Film gekürzt oder aber für nicht umsetzbar erachtet, da schlicht zu teuer. Mittlerweile ist technisch so viel möglich, dass ein Leben auf hoher See einfach digital inszeniert wird. Natürlich wird an einigen Ecken und Enden der Serie deutlich, dass es sich um eine eben solche handelt und man begrenzten Spielraum hat. Entgegen meiner Befürchtungen handelt es sich aber keineswegs um ein Kammerspiel mit aufwendiger Kostümierung. Immer wieder bekommen wir auch Szenen abseits des Schiffes zu sehen. Und insgesamt sieht das alles andere als klein und billig aus. Natürlich ist das auch kein noch nie dagewesenes Spektakel, von dem man seinen Enkeln erzählen wird, aber wer den ersten „Fluch der Karibik“ gut fand, wird hier kaum Probleme haben.

Ein Beispiel für die detailreiche Arbeit in Sachen Inszenierung ist die Inschrift, die zu Beginn einer jeden Folge zu sehen und jedes Mal aufs Neue anders präsentiert wird:

Moderne Probleme in altem Gewandt

Hervorzuheben ist auch, wie „Our Flag Means Death“ es schafft, Geschichte und Moderne zu vereinen. Im Grunde genommen erleben wir mit Stede Bonnet einen weißen Mann in seiner Midlife-Crisis. Schnell noch dem einen Traum hinterher jagen, ein neues Hobby suchen, sich selbst finden. Neben derart großen, psychischen wie emotionalen Themen greift die Serie aber auch in Sprache und Witz aktuelle Dinge auf. Da wird höchstens mal mit Klischee-Phrasen oder in Momenten „historisch piratisch“ gesprochen, wenn es sich gerade anbietet. Man könnte das als fehlende Authentizität auslegen, aber darum geht es der Serie überhaupt nicht. Auch gibt es etliche Logik-Fehler in der Serie, die aufgrund des Comedy-Daseins und der kompromisslosen Durchführung beinahe egal erscheinen. Vor allem das zielgenaue und utopisch schnelle Reisen von Figuren sei hier angebracht.

„Now THAT‘s a fuckery!“ (Stede)

Vor allem beweist die Serie aber auch Mut. Die zweite Hälfte der Staffel schöpft das Potenzial aus, das man sich mit der ersten Hälfte erarbeitet hat. Gekonnt wird konterkariert, wofür Piraten im Allgemeinen stehen. Etliche Figuren sind uns ans Herz gewachsen und vor allem die Chemie zwischen Rhys Darby und Taika Waititi ist hervorragend anzusehen. Einzig wirkt es in einigen Szenen plump überzeichnet, als befänden wir uns gerade in einem Sketch bei „Saturday Night Live“, ich wüsste jetzt aber auch nicht, wie man das ändern könnte. Dass einige der Figuren homosexuelle Vorlieben hegen und wir somit eine schwule Piraten-Serie zu sehen bekommen, ist einfach grandios! Vor allem, weil das ohne vorab angekündigten, großen pinkten Farbaufsatz sondern einfach so nebenbei passiert.

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Ursprünglich wollte ich auf 3,5 Kronen gehen, weil ich das Gefühl hatte, dass bei der ersten Folge noch die Frische der Idee und Produktion mitschwang und es insgesamt etwas niedriger anzusiedeln ist (und ich nicht einfach nochmal die gleiche Wertung abgeben wollte…). Aber beim Schreiben dieses Beitrages ist mir aufgefallen, dass es eigentlich gar nicht so viel zu bemängeln gibt und sich dreieinhalb Kronen als zu wenig anfühlen. Natürlich hat die erste Staffel von „Our Flag Means Death“ auch ihre Probleme. Es könnte lustiger sein, die Serie hat ihre Längen (vor allem in den ersten Folgen) und manchmal wirkt die Story schon arg zurechtgebogen. Aber je mehr man von der Serie sieht, desto mehr wachsen einem die Figuren ans Herz und man merkt, wohin die Serie eigentlich will. Und gerade diese Reise ist ein Abenteuer in sich, das aufzeigt, dass Piratengeschichten nicht immer gleich sein müssen. Sie können auch liebevoll gestaltet und voll verrückter Charaktere sein!

„Our Flag Means Death“ ist eine richtig gut besetzte Comedy mit interessanten Figuren und abstrus wirkenden Geschichten, die erstaunlich viel Ableitungspotenzial für das echte Leben besitzen. Wer Piratenfilme nicht mag, sollte dieser Serie dennoch eine Chance geben. Denn ja, Piraterie-Fans kommen auf ihre Kosten, insgesamt ist das aber auch einfach nur eine Dramedy-Produktion, in der mit ein paar Klischees gespielt wird, die aber auch genauso gut in einer Kanzlei des 21. Jahrhunderts spielen könnte. Naja, fast zumindest…

2. Staffel von „Our Flag Means Death“?

Noch ist leider nicht offiziell bestätigt, dass es eine zweite Staffel geben wird. Das Ende der ersten lässt inhaltlich eine Fortsetzung zu und auch Show Creator David Jenkins will unbedingt eine zweite Staffel umsetzen – notfalls bei einem anderen Streaming-Anbieter, sollte HBO Max im Zuge aktueller Übernahme-Geschehnisse das Interesse an der Sendung verlieren (oder kein Geld mehr haben). Die Abenteuer von Stede und Ed sollten also weiter gehen!

Bilder: HBO Max

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Mittwoch, 18. Mai 2022, 17:44 Uhr
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