Am Freitag startete die neue Science-Fiction-Serie „Peripherie“ (Originaltitel: „The Peripheral“) bei Amazon Prime Video. Zwei Folgen wurden zum Auftakt veröffentlicht, wobei ich euch gerne meinen Ersteindruck nach Anschauen der 72 Minuten umfassenden Pilotfolge schildern möchte. Bereit die ersten Trailer zur neuen Serie des Teams hinter „Westworld“ hatten mein Interesse geweckt und auf Großes hoffen lassen, die Geschichte um eine mysteriöse Virtual-Reality-Welt scheint die hohen Erwartungen zunächst zumindest bestätigen zu können.
Heutzutage beinahe ungewöhnlich bekommen wir zuerst das Opening der Serie zu sehen. Die Glitch-Optik sowie die dystopische Atmosphäre gefallen mir insgesamt gut, bei der Einblendung des smart designten Titel-Schriftzuges wird man schmerzlich dran erinnert, dass man die Serie im Deutschen nicht ebenfalls „The Periphal“ genannt hat. Das Intro dürfte eines sein, das ich des Öfteren skippen werde (so es denn überhaupt jedes Mal in voller Länge zu sehen sein wird).
Visuell passt auch der Auftakt in die eigentliche Handlung. Alte Schlachtschiffe? London im Jahr 2099? Ist das bereits eine smarte VR-Technik aus der Zukunft oder befinden wir uns in ihr? Fragen weiß die Serie direkt aufzuwirbeln, so dass es in den Köpfen der Zuschauer:innen zu rattern beginnt. Der mysteriöse Einstieg wird noch dadurch verstärkt, dass uns unbekannte Figuren einen meiner Meinung nach äußerst gelungenen Dialog voller Tiefe und Anspielungen abhalten.
„What are you up to, Aelita?“ – „Saving the world.“ – „Our world is long past saving, I thought that always your point.“ – „I didn‘t say OUR world.“ (Wolf & Aelita)
Als Hauptfiguren werden Flynne und ihr Bruder Burton etabliert, ein amerikanisches Geschwisterpaar, das für die angedeuteten finanziellen Schwierigkeiten (das US-Gesundheitssystem scheint auch in Zukunft nicht besser zu werden…) erstaunlich weiße uns gerade Zähne besitzt. Bei Burton werden zudem auffallende Aderzüge gezeigt, die teilweise bei Steuerungsaktivitäten oder aber auch bei Schmerzen auflodern. Dass er und die erblindete Mutter Tabletten benötigten, setzt eine authentische Motivationsbasis für die Figuren.
Das führt unter anderem dazu, dass die beiden gegen Bezahlung Gamern dabei helfen, höhere Level in VR-Videospielen zu erreichen. Was mir in der schön aufgezogenen Beispiel-Session aufgefallen ist: Die Nazis reden gutes Deutsch! Da hat man nicht einfach Englisch-sprachige Schauspieler genommen, die drei Worte Deutsch in der Schule hatten. Löblich!
Dass wir uns in der Zukunft befinden, wird an vielen kleinen und großen technischen Innovationen gezeigt, die Spaß bereiten, sie zu entdecken. Okay, schwebende Staubsauger-Roboter, die noch immer an Teppichkanten hängenbleiben, sind nicht allzu beeindruckend, aber immerhin beepen die wie R2D2 – Vorbestellung ist raus! Beeindruckender sind da schon Einrad-Rollstühle, die zu Buggy-Sitzen werden oder durch Strampeln aufladbare E-Bikes mit etlichen Kilometern Reichweite.
Der Arbeitsplatz von Flynne wirkt dagegen verhältnismäßig Oldschool, ist sie doch in einem 3D-Druck-Laden tätig, der unter anderem kleine Figuren von Personen herstellt (etwas, das es bereits seit Jahren in unserer Realität gibt). Aber heutzutage gibt es auch noch Plattenläden, muss ja nicht alles erfundener Inhalt sein, nur weil die Serie im Sci-Fi-Bereich einzuordnen ist.
Dort wird jedenfalls ein mysteriöses Gadget geliefert, das der Videospiel-erprobte Burton testen soll. Da Flynne in Wirklichkeit die Begabte ist, die die ganz hohen Level für ihn erreicht hat, übernimmt sie die ersten Testläufe, was zum wunderbaren Kuriosum führt, dass sie im Avatar-Körper von Peripherie-Burton landet. Die Schnitte zwischen ihr im VR-Stuhl und „ihm“ in der virtuellen Realität bieten viel Potenzial für schöne Kontrastmomente.
Direkt von Beginn an beschleicht mich das Gefühl, dass wir hier nicht einfach nur den Beginn eines Videospieles sehen. Zu sehr wirkt als, als würde man random in einen laufenden Prozess geworfen werden – wie in diesem Fall einer Motorradfahrt, wobei diese in London stattfindet (wir erinnern uns an die Eröffnungsszene…). Handelt es sich hier vielleicht um eine Art Fernsteuerung in der realen Welt? Aus Videospielen bekannte Wegweisungs-Pfeile auf den Straßen und eine Befehle erteilende Stimme erwecken dann aber doch den Eindruck, als würde man gerade eine Art Einführungs-Mission in einem Tutorial spielen. Hinzu kommen coole visuelle Effekte, wie das sich auflösende (und die Jacke zurücklassende!) Motorrad oder die erscheinenden Roboter-Figuren (deren Design ich vortrefflich finde!).
„Peripherie“ weiß vor allem in der vermeintlichen VR-Welt mit beeindruckenden Sets zu bestechen. Eine fantasievoll gestaltete Party in edler Kulisse oder auch ein späterer Wasser-Vorhang sind nur einige Highlights einer hochwertigen Gestaltung. Auch hier gibt es technische Finessen zu sehen, wobei hier noch hinzu kommt, dass wir nicht genau wissen, ob es diese auch in der gezeigten Realwelt gibt (wie z.B. QR-Code-artige Nummernschilder) oder es sich um VR-Tricks handelt wie der nützliche Trick von Mariel, Umgebungsgeräusche im Handumdrehen zu unterdrücken. Das hätte ich auch gerne!
„What is this place?“ – „Infinity in the palm of your hand, eternity in an hour.“ (Peripheral-Burton & Aelita West)
Dass wir es hier nicht einfach nur mit einem Spiel zu tun haben, wir klar, als sich die Stimme im Kopf nicht nur als Person sondern die eingangs zu sehende Aelita handelt. Es wird von einem ersten „Polt“ gesprochen, was auf den genutzten Avatar anspielt, sowie von einer in zehn Jahren nicht mehr existenten Realität. Die Anzeichen mehren sich.
Dass „Peripherie“ nicht vor expliziten Darstellungen zurückschreckt, wird beim zweiten Besuch von Flynne in der myteriösen Welt deutlich. Die Augen-Extraktion war widerlich anzuschauen – aber ist ja alles nicht real…
„I mean, you‘re not actually in this body, are you? Can you hear your heart? It‘s like a frightened horse in a burning barn. But none of this is real, is it?“ (Aelita)
Das Auge wurde als Türöffner implantiert, als wäre es nichts. Ein wenig komisch erscheint, dass dieser Sicherheitsfaktor zwar vorliegt, aber augenscheinlich (pun intended) keine ernsthaften weiteren Sicherheitsmaßnahmen wie Videoüberwachung, Drohnen oder Wachleute aktiv zu sein scheinen. Zumindest nicht bis zu dem Moment, in dem Avatar-Burton sein eigenes Auge in einen Strahl halten soll. Dass er sich da nicht physisch wehren kann, okay – aber hätte er nicht sein Auge einfach schließen können?
Der letzte beinahe wörtliche Fingerzeig, den ich brauchte, war das Offenbaren der Roboterhand Peripherie-Burtons. Leider wird das auch bereits von Flynne in der realen Welt erwähnt. Hier hätte ich mir allgemein gewünscht, dass das Mysterium längere Zeit lang noch abstrakter gehalten wird, um Fantheorien mehr Raum lassen zu können. Gut, es gibt direkt eine zweite Episode als Opener der Serie, die ich noch nicht gesehen habe, vielleicht wird es dort noch stärker konkretisiert. Aber meiner Meinung nach wird in dieser Folge bereits erstaunlich viel vorweggenommen, vor allem, wenn man es mit „Westworld“ vergleicht. Hoffentlich hat man da noch genug in der Hinterhand, um nachzuliefern.
Mein Tipp: Das Gerät ist eine Art Fernsteuerung (aus der Vergangenheit?) und Flynne steuert gebaute Roboter-Abbilder, die eine Parallel-Realität (oder eine noch etwas weiter in der Zukunft spielende Realität) beeinflussen soll.
Mir gefällt dabei, dass man die echte Realität Flynnes nicht nur als Ausgangslage nutzt, sondern auch deren Probleme als Bausteine nutzt. So bekommen wir ein paar Tabletten-Bullies und einen ziemlichen Badass namenes Conner zu sehen, vor allem lernen wir aber Corbell Pickett kennen, einen exzentrischen Oberboss, der übrigens von Louis Herthum gespielt wird, der Peter Abernathy in „Westworld“ war.
Aber nicht nur das, die reale „Jetzt“-Realität erhält auch direkt Besuch von der VR-Welt, so dass alles auch abseits des Devices zu überlappen beginnt. Das bringt uns nicht nur Audis mit Tarnkappen-Feature, sondern auch einen an „Stranger Things“ erinnernden Moment, in dem die 3D-Drucker mit Flynne zu sprechen beginnen. Diesen Move mit den sprechenden Elektronikgeräten habe ich sehr genossen. Wilf will jedenfalls vor großer Lebensgefahr warnen, was am Ende auch allen Beteiligten klar zu werden scheint.
„Looks like somebody‘s coming hunting for that nine dollars.“ (Burton)“
Mit Einsatz des zu den Credits spielendem „London Calling“ wird klar, dass man eigentlich direkt dorthin oder zumindest weiterschauen möchte. Die Pilotfolge hat das geschafft, was Pilotfolgen machen sollen: Wir haben eine gelungene Einführung in das Setting und die ersten wichtigen Figuren erhalten. Die gezeichnete Zukunftswelt gefällt mir sehr gut mit all den kleinen und großen kreativen und vor allem glaubhaft wirkenden Ideen. Die visuellen Effekte sowie das Schauspiel sind definitiv Filmreif, was passt, fühlt sich die Folge doch wie die erste Hälfte eines Blockbusters á la „Matrix“ an. Die 72 Minuten Spielzeit sind dennoch erstaunlich schnell abgelaufen, was am guten Pacing und der reizvoll inszenierten Story liegt.
Ein paar Stellen waren mir dann allerdings doch etwas zu direkt ins Gesicht des Publikums gespielt – sei es durch das Schauspiel selbst, das nicht komplett auf der allerhöchsten Höhe war bei sämtlichen Charakteren, oder vor allem den Dialogen, die mir zu viel erklärt haben, statt Zuschauende erstmal im Dunkeln tappen und eigene Schlüsse ziehen lassen. Ich weiß aber wie gesagt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie es weitergehen wird – vielleicht meine ich auch nur, zu wissen, wo der Hase langläuft, aber er schlägt nächste Folge bereits einen gewaltigen Haken und ich sitze verblüfft da.
Insgesamt hat mit der Auftakt zu „Peripherie“ jedenfalls sehr gut gefallen, da er auf so ziemlich allen Ebenen überzeugen konnte. Ich freue mich bereits sehr auf die kommenden Folgen und wenn die Staffel das angedeutete Niveau durchgängig halten kann, haben wir es mit einem der besten Neustarts des Jahres zu tun, das sich neben „Severance“ einreihen kann.
Bilder: Amazon Prime Video
Der fliegende Staubsauger hat mich tatsächlich Mal extrem gestört. Wenn der saugen soll, wie soll er dann gleichzeitig hovern… macht bei Staubsaugern einfach keinen Sinn, die saugen sich ja an und stoßen nicht ab.
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