Anfang Oktober hatten wir euch hier sämtliche Informationen zur neuen Miniserie „Pluto“ in einem Sammelbeitrag gezeigt. Der Trailer hatte mein Interesse an der auf einem Manga basierenden Science-Fiction-Geschichte geweckt, die quasi eine Art Spin-off zum 1963er „Astro Boy“ ist. Mittlerweile habe ich die acht je rund einstündigen Episoden angeschaut und kann euch im spoilerarmen Review mitteilen, dass die Serie definitiv sehenswert ist, aber sie auch einige Schwächen besitzt.
Die hochentwickeltsten Roboter aller Zeiten… sterben alle?
„Pluto“ zeichnet eine weit fortgeschrittene Zukunft, in der sich das Weltgefüge gewandelt hat. Tatsächlich werden bis auf Fahrzeuge und Hologramm-Telefoniegeräte jetzt nicht all zu viele innovative Technik-Ideen präsentiert (das hätte gerne mehr sein können), aber man wollte vermutlich nicht unnötig mit Effekthascherei vom eigentlichen Fokus ablenken: den Robotern.
Roboter sind in „Pluto“ kaum noch vom Menschen zu unterscheiden. Zumindest einige von ihnen. Aber gerade diese fortschrittlichsten ihrer Art beginnen plötzlich, nach und nach auf wundersame Weise zerstört zu werden. Nein, man möchte gar schreiben: Sie beginnen, ums Leben zu kommen. Denn tatsächlich schafft man es, die mit KI gesteuerten Metall-Figuren als hochkomplexe Charaktere zu zeichnen, mit denen man mitfühlt. Gerade das Thema Gefühle ist ein großes in „Pluto“, versuchen Roboter doch, in gewisser Weise die Menschen zu imitieren, es gibt aber noch immer Limitationen. So können Roboter nicht lügen und keine Emotionen fühlen. Eigentlich.
Die Serie schafft es meiner Meinung nach gut, die Geschichte nach und nach aufzurollen. So bekommen wir in der ersten Hälfte der Staffel nach und nach die modernsten Roboter der Welt vorgestellt und immer wieder ein bisschen mehr von der Macht zu sehen, die sie nach und nach auszuschalten vermag. Es gelingt, das Bild eines gewaltigen Bösen zu zeichnen, denn was soll bitte so stark sein, dass es gleich mehrere der besten Roboter der Welt zunichte machen kann?!
Gesellschaftsdiskurs statt Action
Allerdings beschränkt sich „Pluto“ glücklicherweise nicht auf reine Action in Form von Roboterkämpfen. Gerade dem Status und der Akzeptanz von Robotern in der Gesellschaft wird extrem viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die wohl größte Stärke der Serie ist es, mit einem vermeintlich distanzierten Setting Missstände unserer modernen Gesellschaft aufzuzeigen. Roboter sind eine Minderheit, die gerade erst einige Grundrechte zugestanden bekommen hat, sich aber noch immer stetig Diskriminierung ausgesetzt sehen muss. Dabei sind sie doch auch nur „Mensch wie du und ich“, möchte man beinahe schreiben, so nah dran am biologischen Leben, wie sie dargestellt werden. Dass dann jemand aus einer Anti-Roboter-Bewegung erscheint, der Adolf heißt, ist vielleicht etwas drüber, aber gesellschaftliche Strömungen und Reibungspunkte werden gekonnt skizziert und sind alles andere als Beiwerk, sondern zentrale Teile der Handlung.
Trotz oder gerade wegen der vielen Roboter-Pro- und Antagonisten ist das Thema Gefühle wie gesagt ein relevantes. Gewaltausbrüche, Überfälle oder gar Kriege werden auf den Hass zurückgeführt. Leider wandelt „Pluto“ diesbezüglich meiner Meinung nach auf einem schmalen Grat. Sicherlich sind die Grundaussagen inhaltlich komplett richtig, aber mir wird das vor allem gegen Ende dann doch zu gefühlsduselig. Da möchte man mit aller Kraft eine Moral durchpeitschen, die leider – zumindest in der erfolgten Form – das zuvor noch konsequent wirkende Pacing ins Rückeln bringt. Allgemein ist das Ende nicht ganz das, was ich mir erhofft hatte, aber da will ich jetzt nicht ins Detail gehen.
„Aus Hass kann nichts Gutes entspringen.“
Intensiv, aber mit Längen
Für eine Animeserie etwas ungewöhnlich ist die Episoden-Laufzeit von je etwa einer Stunde. Das zeigt bereits, mit welcher Intensität „Pluto“ seine Geschichte erzählt. Dabei habe ich jetzt nie wirklich auf die Uhr geschaut, wie lange es noch geht, aber ein paar Längen in der Darstellung gibt es schon. Das betrifft zum einen Dialoge und Darstellungen als solche, die typisch dem japanischen Anime-Kulturell etwas langgezogener dargestellt werden, aber es gibt auch Situationen, in denen man das Gefühl hat, das hätte inhaltlich in der halben Zeit übermittelt werden können. Die detaillierte Darstellung trägt jedoch auch der Authentizität bei. Figuren müssen auch mal nachdenken, bevor sie antworten. Außerdem kann sich so auch Zeit genommen werden für die scheinbar irrelevanten kleinen Dinge, die jedoch zeigen, welch menschengleichen Alltag die Roboter teilweise durchleben und um diese für uns Zuschauende emotional aufzuladen.
Bei der erwähnten schrittweisen Offenlegung ergeben sich jetzt keine gigantischen Twists (da hatte ich Bahnbrechenderes erwartet), aber ein paar Offenbarungen oder Wendungen gibt es durchaus. Leider ist gerade zu Beginn nicht immer direkt deutlich, in welchem Land wir uns gerade befinden, bei den vielen neuen Figuren, die eingeführt werden. Hinten heraus hat sich das zuvor etablierte Kräfteverhältnis für mich nicht mehr ganz stimmig angefühlt. Letztlich kann meine Irritation aber auch daher rühren, dass ich „Astro Boy“ nicht kenne, was von Vorteil (aber nicht notwendig) sein soll. Auch so konnte ich der Geschichte problemlos folgen, jedoch vielleicht den einen oder anderen Kontext nicht ganz wertschätzen.
„Pluto“ hat inhaltlich deutlich mehr geliefert, als ich es zuvor annahm. Die Ableitungs-Potenziale auf unsere reale Gesellschaft sind überraschend stark vorhanden und regen zum Nachdenken an. Der letztliche moralische Appell fällt jedoch etwas arg plakativ aus und bringt den zuvor so stark aufgebauten Spannungsbogen vielleicht zu drastisch zum Einsturz. Auch gibt es hier und da Längen zu beobachten, die aber allesamt noch im Rahmen sind. Dennoch habe ich meine zwischenzeitlich eher bei vier Kronen angesetzte Bewertung letztlich auf dreieinhalb justieren müssen. „Pluto“ ist definitiv eine besondere Animeserie, die ich mit dieser Ernsthaftigkeit und dem emotionalen wie rationalen Gewicht selten zuvor wahrgenommen habe. Dennoch gab es ein paar Elemente, die ich persönlich gerne anders gesehen hätte. Zum Beispiel hatte ich beim Darstellungsstil hier und da meine Probleme mit der Mischung aus klassischer Anime-Zeichnung und aus dem Computer stammenden Elementen mit 3D-Anmutung, die nicht immer vollends harmonisch zusammengepasst haben (genau wie teilweise die wundervoll ausgearbeiteten Backgrounds mit den manchmal eher simpel gehaltenen Charakteren). Das wirkte nicht immer stimmig. Das macht insgesamt eine gute Serie mit vielen tollen Aspekten, aber eben kein absolutes Must-See, das alles überragt.
Bilder: Netflix
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