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"Who are you?"

Review: Severance S01E01 – Good News About Hell

18. Februar 2022, 11:05 Uhr
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Heute ist die neue Apple-Serie „Severance“ gestartet, die mich ob ihres Setups sowie der namhaften Beteiligten direkt bei der ersten Teaser-Veröffentlichung sehr angesprochen hatte. Auch der nachfolgende offizielle Trailer wusste zu überzeugen, so dass ich mit Freude in den Auftakt eingeschaltet habe. Zunächst möchte ich hier meinen Eindruck zur ersten der zwei zum Start veröffentlichten Folgen schildern, vermutlich wird es dann am Ende der Staffel nochmal ein abschließendes Gesamtreview geben. Aber wer weiß, vielleicht wage ich mich auch an Einzelfolgen-Reviews, mal schauen.

Work-Life-Severance

„Severance“ bedeutet so viel wie „Trennung“ im Deutschen. Ausgangspunkt dafür ist die seit Jahrzehnten im Arbeitsbereich beschrieene „Work-Life-Balance“, also eine möglichst ausgeglichene Verteilung zwischen Arbeit und Privatleben. Wer hier direkt dran denkt, dass dieser Begriff auch nur eine Erfindung des Kapitalismus ist, dürfte beim Apple Original genau richtig sein. Denn wie mir scheint, bietet die Serie allerlei Kritik am Arbeitsleben. Hier geht es aber um eine strikte gedankliche Trennung, können Personen, die sich der Severance-Prozedur unterzogen haben, im Büro nicht an ihre Privatleben erinnern und umgekehrt. Aber der Reihe nach…

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Alles beginnt mit einer vermeintlich einfachen Frage. „Who are you?“. Die Antwort ist aber gar nicht einfach zu geben. Zumindest nicht für die Frau, die gerade auf einem Konferenztisch liegend aufgewacht ist. Über eine kleine Gegensprechanlage bekommt sie einen kurzen Fragebogen aufgebrummt. Trotz bzw. gerade wegen ihrer Unwissenheit erhält die Konferenztisch-Dame die volle Punktausbeute.

„5 questions.“ – „What do I get in the end?“ – „Depends on your answers.“ (Mark & Helly)

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Direkt zu Beginn wird offensichtlich, welch großen Wert „Severance“ der Cinematography beipflichtet. Der Rundgang um den Tisch wurde gekonnt mit der zentral positionierten Kamera mitgenommen, das extrem breitgezogene Bildformat weiß in etlichen Situationen gekonnt ausgenutzt zu werden und vor allem imponieren mir die vielen Shots aus der Vogelperspektive sowie das gute Auge für Symmetrie in der Bildkomposition. Sehr schön! „The Beauty Of“ kann alleine aus dieser ersten Folge ein Video erstellen.

Nachdem die Stimme des Befragers Fans von „Big Little Lies“ oder vor allem „Parks & Recreation“ bereits aufgefallen sein dürfte, bekommen wir jetzt Hauptfigur Mark (gespielt von Adam Scott) persönlich zu sehen. Weinend in seinem Auto auf dem Betriebsparkplatz. Als Jemand, der das Grundprinzip der Serie bereits vorab kannte, frage ich mich direkt, ob sein Privat-Ich derart unzufrieden mit der gedanklichen Trennung ist…? Nach der Ablage sämtlicher privaten Gegenstände wird visuell gekonnt im Zuge der Fahrstuhlfahrt der „Hirn-Reset“ dargestellt. Mark tritt direkt souveräner auf. Und findet ein Taschentuch in der Hose. Mein Kopf beginnt direkt zu rattern: Handelt es sich hierbei um eine geheime Botschaft, die sein Privat-Ich ihm geschrieben hat? Oder liegt es an der im Büro rumgehenden Erkältung? Oder war lediglich ein Überbleibsel vom Auto-Weinen? Vorerst werden wir das nicht mit Sicherheit erfahren, da Mark das Taschentuch wegwirft. Aber zum einen zeigt diese Szene, dass „Severance“ es schafft, neugierig zu machen und Gedanken anzuregen, aber eben auch, dass eine gewisse Durchlässigkeit zwischen den Welten existiert.

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Der Eintritt in die Arbeitswelt ist sehr sonderbar inszeniert. Alles wirkt irgendwie Retro und doch Sci-Fi. Man nimmt sich Zeit. Der Gang zum Büro war so lang wie die Monitore tief. Allgemein scheint die Firma Lumon wie ein Labyrinth aufgebaut zu sein und die Arbeit im „Macrodata Refinement“, bei der man scheinbar willkürlich Zahlenmuster in Ordner verschiebt, wirkt so seltsam wie die kleine Cubicle-Insel im weitläufigen Großraumbüro, indem sie verrichtet wird.

Im Zuge eines ebenso seltsam anmutenden Mitarbeitergespräches wird Mark befördert und nimmt den Posten seines aus dem Unternehmen geschiedenen „Büro-Freundes“ Petey ein. An dieser Stelle wird klar, dass es sich um einen Zeitsprung handelt, bekommen wir jetzt die eingangs gezeigte Befragungsszene nochmals aus anderer Perspektive zu sehen.

„Did you grow me as food and that’s why I don’t have memories?“ (Helly)

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Gefallen hat mir der Umgang mit altbackener Bürokratie als Mark in einem Leitfaden-Dokument nach vorgeschriebenen Phrasen und Gesprächsfäden sucht. Interessant wird es jedoch dann, wenn die befragte Helly sich entscheidet, zu gehen. Eine Labyrinth-Ewigkeit später geht sie ins Treppenhaus – und wieder zurück. Was wie Magie erscheint, ist letztlich nur die Perspektive des Arbeits-Ichs von Helly, das mit dem Schritt raus auf „privat“ umstellt, sich dort – bewusst ihres Severance-Status – wieder dazu entscheidet, rein zu gehen. Eine wunderbare Szene, die nicht nur bei ihr sondern auch dem Publikum erstmal eine gewisse Verwirrung stiftet und sehr effektvoll eingefangen worden ist. In einem an sich selbst gerichteten Video erklärt Helly sich selbst und den letzten Zuschauer:innen, die es noch nicht wussten, wie genau das mit der Severance-Prozedur abläuft.

„So, I can never leave here?“ – „You can leave at Five.“ (Helly & Mark)

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Ich finde, dass alles ein bisschen creepy wirkt. Also, auf der Arbeit. Diese langgezogenen Phasen, diese Leere, das Verhalten der Charaktere – alles wirkt steril und charakterlos. Und hell! Im kompletten Gegensatz dazu wird uns eine größtenteils dunkle Freizeit-Welt geboten. Die Folge scheint dabei eine gewisse strukturelle Work-Life-Balance zu befolgen, spielt doch ziemlich genau die Hälfte der Episode auf der Arbeit, die andere im Privatleben.

Dabei gefallen mir die vielen Details. Beim Austausch seiner Wertgegenstände bemerkt Mark, dass er wohl eine neue ID-Karte von der Arbeit besitzt, diese ist jedoch ohne jegliche Information gestaltet, so dass er gedanklich nicht weiter bedrängt wird. Der Brief an Mr. Scout auf seiner Windschutzscheibe ist nicht etwa ein mysteriöser Kommunikationsversuch um das System zu brechen, wie ich erst annahm, sondern eine vermeintliche Erklärung für die eigentlich durch deinen Lautsprecher-Wurf verursachte Kopfwunde.

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Ob Mark nun aufgrund verlorener Lebenslust, der wissenschaftlichen Prozedur oder schlichter Lustlosigkeit einen abendlichen Termin vergessen hat, sei dahingestellt. Vermutlich Letzteres, denn die philosophischen Einordnungen beim Abendessen mit der Schwester scheinen ihm ebenso wenig gefallen zu haben wie das nicht vorhandene Essen. Wir erhalten jedoch ein paar interessante Informationen im Verlaufe dieses Aufenthaltes. Lumon scheint bereits seit dem 19. Jahrhundert zu existieren und eine nicht für alle greifbare Mixtur aus teilgeheimen Dingen zu erschaffen.

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Bezüglich Mark wurden auch einige Dinge angestoßen. Er war Geschichts-Professor und ihm wurde der Gedanke des „anderen Ichs“ eingepflanzt, an den er manchmal denken könne. Vor allem scheint er jedoch an seine ehemalige Frau zu denken, die entweder verstorben ist oder ihn verlassen hat. Jedenfalls scheint sie nicht nur der Grund seiner Trauer mit verbundenem Alkoholkonsum sowie einer angestrebten Therapie zu sein, sondern auch für das Severance-Verfahren, muss er so doch acht Stunden weniger am Tag an sie denken.

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„Your voice is different here. It’s worse.“ (Petey)

Am Ende kommt dann ordentlich Bewegung in das eigentlich operativ statische Leben des Mark. Der vielbesprochene Arbeits-Freund Petey taucht auf und sucht das Gespräch mit ihm, aufzeigend, dass man das eigentlich als unumkehrbar geltende Severance-Verfahren irgendwie umgehen kann. Ich tippe eher darauf, dass Petey noch immer im Arbeits-Modus steckt, als dass er wirklich wieder der Alte ist, aber wer weiß.

„I’m your best friend! You’re my very good friend.“ (Petey)

Während ich mich noch über einige nette Random-Dinge freue, wie das viel zu kleine Kinderbett und die Drei-Betten-Theorie oder die Geburtstagskarte für die „fucking awesome niece“, kommt es zur zweiten Überraschung: Marks Chefin ist die Nachbarin, die ständig mit den Mülltonnen durcheinander zu kommen scheint. Im Zuge der Szene selbst kam das wenig überraschend, so wie das am visuell eingeleitet worden ist. Die Frage, die sich stellt ist nun aber, ob sie auch nichts von der Arbeitsbeziehung weiß, oder in einer überwachenden Funktion tätig ist? Vielleicht sind ja alle Angestellten in einem Wohnviertel ansässig? Es gibt noch vieles Aufzuarbeiten!

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Das hat mir sehr gut gefallen! Meine ursprünglich Angst, dass wir hier einfach „nur“ eine Art „Black Mirror“-Abklatsch zu sehen bekommen, hat sich als komplett unbegründet herausgestellt. „Severance“ fährt eine komplett andere Ausrichtung, ist deutlich mysteriöser und vor allem atmosphärischer aufgezogen. Chapeau an dieser Stelle auch an Ben Stiller, der nicht nur als einer der Executive Producer an „Severance“ mitarbeitet, sondern bei dieser Folge (wie bei insgesamt sechs der neun von Staffel 1) Regie geführt hat. Die Folge sah einfach wunderbar aus, wobei das nicht einfach nur selektives Eye-Candy des Eye-Candy wegen war. Die Inszenierung ist durchgängig stimmig, weiß gekonnt zwischen wechselnden Einstellungen zu tauschen und sich der inhaltlichen Gegebenheiten anzupassen. Alleine die Unterscheidung zwischen Arbeits- und Privat-Welt, schlägt sich auch im zu sehenden Bild sowie zu hörendem Ton wieder. Schnitt, Einstellungen, Farbgebung – alles ist anders und weiß so direkt kontrastierende Welten zu zeichnen.

Vor allem aber reizt mich das angerissene Mysterium. Eigentlich ist durch das erklärte Prozedere ja bereits alles klar und doch so wenig! Die private Hintergrundgeschichte Marks, die „nichts ist, wie es scheint“-Andeutung von Petey, die Chef-Nachbarin – da gibt es etliche Elemente, die Lust darauf machen, direkt weiter zu schauen. Zum Glück liegt Folge Zwei direkt bereit!

Insgesamt war das genau das, was ich mir erhofft hatte. Ein sehr moderner, schön anzuschauender und mysteriös angehauchter Ansatz, der zudem massig Potenzial für Kritik am modernen Arbeitssystem und zusätzlich erstaunlich viel Fantasie besitzt.

Bilder: Apple TV+

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Freitag, 18. Februar 2022, 11:05 Uhr
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