Das finale Problem für Sherlock – was kann das sein, habe ich mich im Vorfeld der 4. Staffel gefragt, als klar war, dass die letzte Folge so heißen würde. Die Folgen 1 und 2 deuteten es dann schon an – es geht um Sherlocks Gefühlswelt. Die hat er ja eigentlich nicht so richtig offen gelegt. Soziale Kontakte waren ihm unwichtig, Rücksicht und Mitgefühl waren Fremdworte für ihn – man denke nur an seine Hochzeitsrede für John und Mary in Staffel 3. In Folge 1 der 4. Staffel gab es dann aber den ganz tiefen emotionalen Einschnitt mit Marys Tod. Das hat selbst Sherlock aus der Bahn geworfen, was wir in Folge 2 nur zu deutlich vorgeführt bekamen. Am Ende muss er sich selbst in Lebensgefahr bringen, um Marys Auftrag zu erfüllen – und John zu retten, indem er ihn rettet. Zurückgelassen wurden wir mit einem Schuss auf John Watson – abgefeuert von Sherlocks Schwester. Also lief also alles auf eine Familien- und Freundschaftsgeschichte in der finalen Folge hinaus.
Und so war es dann auch. Wir kommen relativ schnell rein in das Familiengeflecht der Holmes‘. Zunächst geht’s spaßig los, mit einer Stippvisite von John und Sherlock in Mycrofts Haus, wo sie nicht nur ihm einen gehörigen Schrecken einjagen. Was aber jetzt Gewissheit ist: Offensichtlich gibt es eine Schwester von Mycroft und Sherlock. Die Familiengeschichte der Holmes‘ bekommen wir großartig inszeniert und bebildert vorgeführt – mit Szenen aus der Kindheit der Drei, die aufdeckt, welches komplizierte Gebilde diese Familie eigentlich ist. Die Verknüpfung vom Früher und Heute gelingt durch die Verschmelzung der Figuren, wie sie heute aussehen, und wie sie als Kinder waren. Der erwachsene Sherlock steht vor dem Haus, in dem er aufgewachsen ist, und sieht sich selbst beim Spielen zu. Das gesamte Intro ist wirklich gut gemacht. Letztlich erfahren wir, was mit Sherlocks Schwester passiert ist, die einen – sagen wir mal – gewissen Hass auf Sherlock entwickelt hat. Mycroft erkennt das, sieht aber auch, welches Potenzial in ihr steckt und schließt sie auf einer einsamen Insel weg. Und hier beginnt dann die eigentliche Folge.
Die Einrichtung auf und unter der Insel ist toll ausgestattet, und der Weg von Sherlock, Mycroft und John dorthin ist mit einem gewissen Witz inszeniert. Mycrofts Verkleidung ist natürlich großartig – Sherlocks ‚Verkleidung‘ aber nicht minder ungewöhnlich. Ihm gelingt es schließlich, zu seiner Schwester vorzudringen – die ihn sofort in ihren Bann zieht und den Spieß umdreht. Auf einmal sind Sherlock, John und Mycroft die Gefangenen, die jetzt die Aufgaben erfüllen müssen, die Sherlocks Schwester ihnen stellt. Jetzt steht Sherlock vor dem finalen Problem. Seine Schwester zwingt ihn zu entscheiden, ob sein Bruder oder sein bester Freund jemandem das Leben nehmen soll. Es geht um Leben und Tod in jedem Spiel, auch auf übergeordneter Ebene mit dem drohenden Unheil am Himmel. Auch Molly wird in das Spiel mit einbezogen, und Sherlocks Aufgabe ist es, seine Gefühle zu offenbaren – offensichtlich eine große Herausforderung für unseren Meisterdetektiv. Letztlich führt das zum Gefühlsausbruch, wie wir ihn bei Sherlock selten gesehen haben. Als es zur finalen Entscheidung kommt, ob John oder Mycroft sterben soll, wählt Sherlock sich selbst – was zum nächsten Cut in der Folge führt.
Das Ganze wird dann wunderbar aufgelöst durch eine Rückkehr zum Elternhaus der Holmes‘. Sherlock bricht aus der Enge dieses perfiden Spiels aus, jetzt sogar räumlich, indem er erkennt, dass er sich in einer Box vor dem Elternhaus befindet. Es gelingt ihm, mit seiner Schwester in einen Dialog zu treten, die selbst offenbart, dass sie große emotionale Hürden zu überwinden hat. Alle überleben, und Sherlock entdeckt ganz neue Seiten – und Saiten, denn fortan besucht er seine Schwester regelmäßig und musiziert mit ihr; sie finden eine gemeinsame Ebene. Das erzeugt nochmal starke emotionale Bilder, und Michael Price und David Arnold entwickeln hier einen faszinierenden Score, der alles einrahmt und zusammenführt. Das passt zum Inhalt, denn wir erkennen in der Auflösung ganz viele Elemente und Bilder aus den früheren Staffeln wieder, so dass es sich anfühlt, als sei es immer schon um dieses Große und Ganze gegangen, dieses finale Problem. Dazu zählt auch Moriarty, der nochmal seinen großen Auftritt hat. Die größten Herausforderungen, denen sich Sherlock stellen musste, stammen so gesehen aus seinem engsten Umfeld, sind durch dieses initiiert und entwickelt worden.
Moriartys Rückkehr ist übrigens klasse inszeniert. Mitten in der Folge taucht er auf einmal auf der Insel auf, hört Queens „I want to break free“ (da geht einem als Queen- und Sherlock-Fan natürlich das Herz auf) und gibt sich auch ganz als der Showman, mit typischen Freddie Mercury-Posen – very nice! Und die klasse Auflösung: Erst später erfahren wir durch eine einfache Einblendung, dass diese Landung 5 Jahre her ist.
Fazit
Insgesamt ist dieses finale Problem tatsächlich nochmal ein gewaltiges gewesen, das Mark Gatiss und Steven Moffat aber perfekt inszeniert und umgesetzt haben. Sie haben es mit der Folge geschafft, der gesamten Serie eine Klammer zu geben, sie wie eine Einheit wirken zu lassen. Am Ende bauen sie die Baker Street 221B wieder auf, sortieren alles, lassen alles wie neu wirken – mit Reminiszenzen an frühere Zeiten. Wir sehen viele alte, bekannte Gesichter, es endet mit einem guten Gefühl.
Was heißt dieses Ende jetzt für die Serie? Ist es das Ende der Staffel, oder wirklich auch das Ende der Serie? Alle Beteiligten sind gut beschäftigt, haben zahlreiche Projekte – lieben aber diese Serie. Das Ende hat in vielerlei Hinsicht etwas Gutes. Es schließt die Serie ab, ja, so dass man sagen kann: Diese 4 Staffeln bilden einen Komplex, gehören zu dem besten Seriengut, das man bekommen kann, sind als geschlossene Einheit zu betrachten. Aber: Das Ende ermöglicht auch jederzeit Fortsetzungen, einzelne Folgen zum Beispiel, oder weitere Specials. Es spricht nichts dagegen, in 2 bis 3 Jahren wieder jemanden an die Tür der Baker Street 221B klopfen zu lassen, um Sherlock und Watson um Hilfe zu bitten.
Ich fand es auch durchaus gelungen, auch wenn mir die zweite vielleicht sogar einen Tacken besser gefallen hat. Das lag vor allem an ein paar meiner Meinung nach unglaubwürdigen Inhalten und Timings. Dass Sherlock das Glas der Zelle nicht sieht – lächerlich. Dass das tolle Rätsel einfach nur „komm auf mein Zimmer“ lautet und die zuvor so trügerisch perfekt vorbereitete Dame plötzlich aufgrund der verrinnenden Laufzeit der Episode kümmerlich da sitzt und sich per Umarmung einfangen lässt? Nenenene. Das fühlte sich sehr lange sehr gut und groß an, wurde am Ende aber leider in eine Episode gepresst. Hier hätte vielleicht eine Doppelfolge mehr Sinn gemacht.
Dennoch eine insgesamt sehr starke Staffel, die vor allem (wie ja auch von dir beschrieben) sehr schöne Gesamtbezüge und -Rahmung geschafft hat.
Hmm, das mit der Scheibe hatte ich so verstanden, dass sie physisch da ist, Sherlock und seine Schwester diese „Barriere“ aber gedanklich überwinden. Später ist sie ja auch wieder da, wenn die Drei gefangen sind; und sie spiegelt sich ja auch zeitweise in der Scheibe, von daher…
Gedanklich überwinden? Dafür braucht sie aber doch keinen Mikrofon-Trick, oder? ;) Selbst wenn es so wäre, wäre es zumindest überflüssig und arg seltsam inszeniert.
Ich fand die Episode super, auch wenn Sherlocks Schwester ganz schön creepy war :) Die zweite Folge fand ich zwar auch noch einen Ticken stärker, aber es gab wirklich richtig viele tolle Momente (u.a. den „das Glas ist nicht da“ Moment – ich hab es wirklich nicht kommen sehen). Eine überzeugende und wirklich starke Staffel.
Viel zu wenig Screentime für Greg. Schlechteste Staffel ever!
Bonuspunkte gibt´s nur für das Auto der Haushälterin.
Dafür hat Sherlock am Ende seinen Namen „gewusst“ – das fand ich ein sehr schönes Detail. :)
… war ja auch nicht ganz ernst gemeint ;-)
(Aber das Auto war wirklich schick!)
Das dachte ich mir (und absolut!). :)
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