Wie weit dürfen Psycholog:innen oder Psychotherapeut:innen gehen, wenn es um die Probleme und Sorgen der Patient:innen geht? Es gibt Grenzen, doch Jimmy Laird ist von den ewig gleichen Geschichten seiner Patient:innen so genervt, dass er beschließt, diese Grenze zu überschreiten – was massive Auswirkungen auf das Leben der Patient:innen hat – und auf sein eigenes Privatleben. Das ist die Ausgangslage für die sehr unterhaltsam und clever inszenierte Apple TV+ Original Comedy „Shrinking“, zu der ich hier im Review der Pilotfolge schon mehr ausgeführt hatte.
Seine Therapeuten-Tätigkeit ist das, was Jimmy Lairds Leben aktuell noch sortiert, ansonsten hat er über sein Privatleben weitgehend die Kontrolle verloren. Seine Frau ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und er versinkt in Trauer. Das bekommt nicht nur seine Tochter Alice zu spüren, für die Jimmy so gut wie gar nicht da ist, und um die sich stattdessen Jimmys Nachbarin Liz kümmert. Zum Leben von Jimmy gehören außerdem noch die Therapeutin Gaby, die mit Jimmy am Cognitive Behavioral Center zusammenarbeitet, und Dr. Paul Rhodes, der leitende Therapeut in dem Center – und gespielt von keinem Geringerem als Harrison Ford.
Klar bleibt der Tod seiner Frau Thema die ganze Staffel über – Jimmy will sich aus dieser Trauerhaltung herausarbeiten, fällt aber immer wieder zurück in Erinnerungen. Das sind dann immer besondere Momente in dieser Serie, die eigentlich als solide und sehr unterhaltsame, manchmal für meinen Geschmack etwas zu schlüpfrige Comedy daher kommt. Aber gerade die Momente, in denen Jimmy mit sich und seinem Leben hadert, sind besonders stark erzählt, inszeniert und gespielt. Jason Segel überzeugt in praktisch allen Momenten der Serie, ganz gleich ob komisch, traurig, abgedreht oder niedergeschlagen.
Mir gefällt dabei auch die Fallhöhe, die die Autoren Bill Lawrence, Brett Goldstein und Jason Segel selbst zusammen mit dem erweiterten Autor:innen-Team einbaut. Es geht auf und ab im Leben von Jimmy – und damit auch auf und ab für uns Zuschauer:innen. Im einen Moment trauern wir noch mit ihm, im nächsten Moment müssen wir laut loslachen. Absurde Situationen wechseln sich ab mit ernsten Gesprächen – der Balance-Akt gelingt den Autor:innen ausgesprochen gut.
Dazu passt auch die Charakterentwicklung – sowohl was die einzelnen Personen angeht als auch das Geflecht unter ihnen. Man wird immer wieder überrascht von einem neuen Charakterzug, einer unerwarteten Begegnung, einem spontanen Gespräch. Das ist extrem kurzweilig und macht auch deswegen soviel Spaß, weil einfach praktisch jeder Dialog sitzt und auch der Cast komplett überzeugt.
Denn beim Cast überzeugen nicht nur Jason Segel und Harrison Ford, sondern die Serie ist in jeder Rolle klasse besetzt. Lukita Maxwell überzeugt als Alice, und ich mag besonders Ted McGinley als Liz‘ Ehemann Derek, den eigentlich die gesamten Umstände mit Liz, Jimmy und Alice nerven müsste, der aber immer aufgesetzt positiv wirkt und auch den einen oder anderen obskuren Spruch losschickt. Über die Zeit wächst einem Derek richtig ans Herz, allerdings überdrehen die Autor:innen es am Ende etwas, wenn auch die anderen Figuren in der Serie seinen merkwürdigen Charakter entdecken und damit dann spielen – das wäre nicht notwendig gewesen.
Generell verwässert alles am Ende etwas, da verliert die Serie ein wenig die schon erwähnte Dynamik, die sich vor allem aus dem Handeln Jimmys ergeben. Die anderen Akteure in Jimmy Leben übernehmen immer mehr Screentime, entwickeln eigene Geschichten, so dass der Fokus auf Jimmy, Alice und Paul so ein wenig verloren geht. Am Ende läuft sogar vieles auf ein Happyend hinaus, aber dann haben sich die Autor:innen doch noch ein Highlight in Form eines wortwörtlichen Cliffhangers aufgehoben. Kurve gekriegt, Staffel 2 bestellt und von mir schon vorgemerkt – „Shrinking“ lieferte ganz schöne Momente, die definitiv Lust darauf machen, mehr von den Ereignissen im und rund um das Cognitive Behavioral Center zu erfahren.
Bilder: Apple
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