Ist die Serien-Adaption von „Snowpiercer“ traumhaft gelungen? Nein, eher nicht. Aber man träumt ja nicht immer nur tolle Dinge. Ein Albtraum ist es immerhin auch nicht, eher etwas, das einen bewegt. So, wie das, was Layton in seiner neuen Unterkunft vor dem inneren Auge Revue passieren lasst, als er dem Kannibalismus im Tail Einhalt und seinen Mitstreitenden ein herzhaftes letztes Abendmahl geboten hat.
„I mistook my ticket to survival for freedom, but justice never boarded.“ (Audrey)
Diese Episode hatte erfreulich viel Politik zu bieten, was vor allem an LJs Taten liegt. Die ist derart gefühlskalt, dass sie erstmal diese Retro-Handheld-Konsole von ganz früher namens „Nintendo Switch“ spielt, während sie eigentlich vor einer harten Strafe zittern müsste. Ein wahrlich verzogenes Kind, vor dem man sich hüten sollte, wie Daddy seinen Augapfel.
„Stare out a window in your own time!“ (Ruth)
Immer wieder bekommen wir kleine Indizien dafür geboten, wie relativ Dinge für Bewohner unterschiedlicher Klassen sind. Und wie sehr höhere Klassen sich und ihren Standard schützen wollen. So ein Klassenwechsel per Chip-Implantat (Bill Gates lässt grüßen…) geht dann eben auch mit einer persönlichen Bürgschaft einher. Vor allem begehren aber auch alle eine Erhöhung ihres Status unter dem Mantel der Gerechtigkeit. So begehrt (und tischt) die dritte Klasse auf, da das Tribunal für LJs Mord-Prozess lediglich aus höherklassigen Geschworenen besteht. Dabei sollen die „Night Cars“ doch eigentlich als neutrale Schweiz fungieren, um erneut ein bisschen Geografie in die Zugwelt zu tragen.
Ein Quickie später wird die Tribunal-Zusammensetzung neu gesetzt und ein Papiermacher dritter Klasse sowie eine Grundschullehrerin zweiter Klasse (wie passend!) kommen hinzu. Die drei ausgewählten scheinen jedenfalls von der guten Sorte zu sein und ich habe wieder ein bisschen mehr Glauben an und in die Menschlichkeit. Das macht Fußball-Polizist Oz mit einer wahrlich abartigen Ansprache direkt wieder kaputt.
„We haven’t done that since the bees died. It starts to get a bit like a pattern…“ (Bennett)
Ach, da gibt es ja noch den Tail. Welch praktischer Zufall, dass die eine Tail-Frau in dritter Klasse Josie sehr ähnlich sieht… Die sucht im Schubladen-Laden nach Layton und findet vorerst einige weitere alte Bekannte, die andeuten, wie viele Geheimnisse dort bereits vor sich hin schlummern. Es folgt eine Reihe impulsiver und vielleicht nicht unbedingt schlauer Entscheidungen so ziemlich aller involvierten Personen, aber hey – Polizistin Till hilft aus (ich wusste doch, dass sie eine Gute ist!) und Layton hat eine Mund-Nase-Maske auf – vorbildlich!
„We chose the will of the people.“ – „We don’t have will. We have order.“ (Melanie & Ruth)
Selbst die erste Klasse hat so ihre Probleme und will Melanie stürzen – alle treten neidvoll und missverstanden nach Oben. Familienerhalt wird als eine wichtige Sache dargestellt, dürfen Drittklässler lediglich vereinzelt Nachwuchs bekommen (das China der Länder?), Oberklassige haben Angst vor Kindsverlust durch Mordprozess. Bekanntes Problem.
Der Prozess selbst wirkt etwas improvisiert, aber Hauptsache, eine Stenografin ist am Start. Ansonsten dürften alle einstimmig bezeugen können, dass sowohl die Figur LJ als auch ihre Darstellerin Annalise Basso eine verdammt gute Vorstellung gespielt haben. Das reicht vielleicht für einen Emmy, aber nicht für eine Schuldfreisprechung. Yay, die Gerechtigkeit ist ja doch da!? Äh, nur kurz, denn mit gemischten Gefühlen veranlässt Melanie Sündenbock Mr. Wilford eine kleine Ausnahmeregelung durchzusetzen. Ist das der Funke, der das Pulverfass zu entzünden vermag?
Es wird tatsächlich besser! Die Folge war auf ähnlich solidem Niveau wie die vorherige, ich würde aber nochmal einen kleinen Tacken hoch gehen in der Bewertung. Es gab nicht nur ein paar schöne Aufnahmen zu sehen sowie ein paar erfreulich gute Drehbuchzeilen zu hören, sondern vor allem ordentlich Klassen-Vermischung und Erzeugung von Dynamik. So langsam aber sicher wird aus den vielen netten Andeutungen eine kompakte Story, die den Rest der Staffel zeichnen dürfte. Die politische Zerrissenheit von vor allem Melanie offenbart viel Potenzial für bitterböse und vor allem wegweisende Entscheidungen. Aktuell vermag ich in keinster Weise zu sagen, wie das für welche Figuren letztlich ausgehen könnte. Aber sicher ist, dass ordentlich Bewegung in die 1.001 Wagen des „Snowpiercer“ geraten ist.
Bilder: TNT / Netflix
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