Exkursfolgen sind ja immer so eine Sache. Vor allem besonders. Abseits der Norm wagen sie die Fokussierung auf eine oder wenige Personen, einen einzelnen Handlungsstrang und vor allem eine eigene Erzählweise. Das Risiko ist wie bei jeder Abweichung von der den Zuschauern vertrauten Episodenstruktur natürlich gegeben, dass Leute enttäuscht werden. Aber Risiko birgt Chancen, denn „besonders“ ist ja erstmal eine gute Sache. Abwechslung auch. Und mit „Many Miles from Snowpiercer“ ist das sogar besonders gut geglückt.
Endlich erhalten wir nämlich Einblick in Melanies Außenmission. Genau, wie ich es mir gewünscht und es vorhergesagt hatte, als einzelne Exkurs-Folge, die ihre bisher im Verborgenen gehaltenen Ereignisse nacherzählt. Vor allem der Auftakt vergeht schnell, vielleicht sogar etwas zu schnell, da hätte ich mir etwas mehr Erkundungsgeist erwartet. Aber gut, es gab auch einiges zu erzählen. Also fix steckengeblieben, so viel mitgeschleppt, wie irgendwie möglich war, ein paar Leichen vor und in der Wetterstation gefunden, Stromanlagen gereinigt. Puh!
Mir hat bereits in dem Stadium gefallen, wie die psychische Forderung inszeniert worden ist, der Melanie sich ungewollt ausgesetzt sehen musste. Mit der verzweifelten Aussicht auf verdammt wenig Essen für die kommende Zeit (zum Glück hat Ben ihr Bonbons eingepackt!), setzen dann auch noch halluzinogene Erscheinungen vertrauter Personen ein, die ihr imaginativ Gesellschaft leisten.
Nachdem eine Lawine den Weg zum Schneeschlitten verschüttet, bildet sich Melanie Wilford ein, der mit gehässigen Kommentaren die Aussichtlosigkeit der Lage zu zeichnen versucht. Dass die vorherige Stations-Besatzung überhaupt einen Kühlschrank benötigt hat, um etwas bei den Witterungsverhältnissen zu kühlen, ist auch irgendwie ironisch. Aber gut, besser Arm dran als Arm ab, woll?! Dafür funktioniert das Whiteboard noch erstaunlich gut nach all den Jahren des potenziellen Eintrocknens…
Schade fand ich, dass man nicht sah, weshalb Melanies Kontakt zur ersten Wettersonde etwas länger gedauert hat. Sie hat binnen Sekunden reagiert, vielleicht lag die Spannung-erzeugende Warte-Situation lediglich am anderen Ende der Verbindung. Dann erscheint auch noch Layton, der gewisse Schuldgefühle in Melanie aufbringt. Und Rezepte für die Zubereitung von Mäusen…
„I know a great recipe for her! … Him…“ (Layton)
Denn nein, die Maus bildet sich Melanie nicht ein. Dank pfiffiger Spurenverfolgung findet sie nicht nur weitere Mäuse, sondern eine geothermale Quelle, die den Nagetieren beim Überleben geholfen hat, Wärme spendet und sogar ein paar Moospflanzen beherbergt. Das Wunder zur passenden Zeit!
Dass das Ingenieurs-Studium nicht nur zum Erstellen von Tierfallen taugt, beweist sich beim Wiederaufbau eines gefallenen Sendemasts, der so zumindest die (erwartbare) Erklärung für den Signalausfall beim letzten Wetterballon liefert. Damit ist aber doch alles gut und die Besatzung des Snowpiercer dürfte die erfolgte Verbindung mitbekommen haben. Oder nicht?!
Zunächst noch kurz zum zweiten, ebenso sehr starken Teil der Folge. Rückblicke ermöglichen uns, das früherer Verhältnis zwischen Melanie und Wilford genauer zu ergründen. Bereits bei der anstehenden Jungfernfahrt des Zuges kommt es zu ersten kleinen Differenzen, die aber noch weggelächelt werden können.
„She’s just as much yours, as she is mine. And you’re never hear me repeat that in public.“ (Wilford)
Es folgen interessante Einblicke in die Planungen. Genetiker*innen versus Sicherheitskräfte, Prioritäten, Machtspiele, Struktur und Ordnung. Was ist wirklich-wirklich wichtig für den möglicherweise einzigen Rettungsplan der zum Tode verurteilten Menschheit? Neben der konkretisierenden Zeichnung von Wilfords Charakter hat mir in dem Zuge gefallen, welche moralischen Fragen die Folge aufgewirbelt hat.
„This train is now an arc for humanity, not your personal endulgances!“ – „Can’t it be both?!“ (Melanie & Wilford)
Das intensiviert sich nochmals im Zuge der finalen Abfahrt, als die Fronten komplett verhärten. Der im stressgeführten Affekt impulsiv gegebene Trotz-Befehl, die wichtigen Wissenschaftler*innen einfach umbringen zu lassen, hat das Fass zum Überlaufen gebracht und Melanie stellt die Entscheidung pro Zukunft für die Menschheit, die in dem Moment nur ohne Wilford als Entscheider möglich erscheint, über das Wohl ihrer Tochter und somit ihrer selbst. Es wird losgefahren, als Wilford gerade nicht an Bord ist.
Das ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, was ich mich jedoch gefragt habe, war, in wie fern man da etwas zu eindimensional dran gegangen ist? Entweder Wissenschaftler*innen oder Sicherheitspersonal – da wird es doch noch weitere Optionen gegeben haben? Außerdem ging es ja nicht um 40 oder 100 Leute mehr, sondern sechs bis zwölf. Dass die Abwicklung beim Borden des Zuges chaotisch geworden ist – geschenkt, das kann wirklich passieren. Dass man die Priorisierung der Passagierliste aber nicht im Vorlauf deutlich macht, wirkt gerade im Bezug auf derart weitsichtige Charaktere, wie Melanie und Wilford es sind, nicht ganz stimmig, finde ich.
„Please forgive me.“ (Melanie)
Aber gut, zurück zur eisigen Exkursion. Die spürt Snowpiercer am Boden der Station und schafft es, mir nichts, dir nichts bis zu den Gleisen zu eilen. Noch als ich mich frage, weshalb der Zug überhaupt derart spät ankommt, wo Melanie doch eigentlich ein recht verlässliches Bewegungsprofil durch die Sonden hatte, und ich mich noch über das ausbleibende Funksignal wundere, wird klar, dass da was nicht stimmt. Feuer tritt aus dem Bodenbereich der Big Alice, da scheint Unplanmäßiges vonstatten zu gehen. Am Ende sieht Alex noch ihre Mutter am Wegesrand stehen und wir erhalten einen fiesen Cliffhanger.
Nein, ich denke nicht, dass Melanie sich die Vorbeifahrt des Zuges nur eingebildet hat. Das wäre sehr enttäuschend. Vielmehr wurde hier gekonnterweise die eigentliche Nacherzählung einer rückblickenden Exkurs-Geschichte genutzt, um nicht nur zu den vorherigen Ereignissen auf Snowpiercer aufzuschließen, sie wurden gar überholt. Jetzt liegt es an der Haupthandlung, uns kommende Woche erneut über die Geschehnisse der anderen Seite aufzuklären. Bis dahin gibt es ordentlich Kopfkino und begleitendes Theoriewerk für uns unwissende Zuschauer. Was ist an Bord passiert? Eine neue Revolution? Hat Wilford einen Dissenz mit Miss Audrey und es kam zum Ausfall der Kommunikations-Anlage im Zuge eines großen Feuers? Wir werden sehen.
Fest steht, dass diese Folge eine der besten der bisherigen Serie war! Meiner Meinung nach zumindest. Neben dieser gekonnten Erzähl-Strategie hat mir vor allem gefallen, welchen Nutzen man aus der vereinsamten Missions-Exkursion gezogen hat. Statt einfach nur zu zeigen, wie Melanie sich langweilt, kam es zur Auseinandersetzung mit und Verarbeitung der Vergangenheit. Die von Wilford zwischendrin angesprochene Sentimentalisierung der sonst so rationalen Ingenieurin spricht offen an, welche Entwicklung die Figur vor allem aus der Sicht von uns Zuschauern bereits genommen hat. Kesse Sprüche von Layton wussten Schuldgefühle genauso zu verarbeiten, wie die mehrfachen Begegnungen mit Tochter Alex, die teilweise gelungenerweise mit der jüngeren Version derer stattgefunden haben. Natürlich dürfte auch reingespielt haben, dass man mal etwas Abwechslung zur sonst doch recht einheitlichen Zug-Szenerie bekommen hat. Tapetenwechsel können ja manchmal Wunder bewirken.
Insgesamt hat mir das sehr gut gefallen und jetzt bleibt die Frage, ob Melanie wirklich noch eine weitere Umrundung warten muss, was vermutlich kaum mehr möglich sein dürfte, oder ob Big Alice es schafft, stehen zu bleiben, damit sie aufsteigen kann. Bis zur nächsten Woche habt ihr Zeit, ein paar Mausrezepte auszuprobieren.
Bilder: TNT / Netflix
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