Vor rund zwei Wochen ging „Squid Game“ bei Netflix an den Start und – soviel sei direkt eingangs erzählt – bietet eine originelle Geschichte mit vielen sehenswerten Aspekten an. Das südkoreanische Original ist seit Release regelmäßig ganz oben in den internationalen Toplisten des Streaming-Anbieters zu finden und scheint mit seiner Mischung aus Spiel-Show und ruchlosem Drama einen weltweiten Nerv getroffen zu haben. In diesem spoilerarmen Staffelreview möchte ich euch meine Meinung zur Staffel mitteilen und euch dazu animieren, der Serie eine Chance zu geben (so ihr nicht bereits mit ihr begonnen haben solltet).
Tödliche Spiele
Das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ gilt nicht wirklich für „Squid Game“, denn wer in einer der insgesamt sechs gebotenen Spielrunden verliert, scheidet nicht nur aus den Spielen selbst, sondern auch aus dem Leben aus. Nachdem ich im August den ersten Trailer zur koreanischen Produktion gesehen hatte, wusste ich, dass das was für mich sein dürfte. Nicht zuletzt auch, weil mich die Netflix-Serie „Alice in Borderland“ überzeugen konnte. Aber ich glaube, „Squid Game“ hat mir gar noch besser gefallen! Das zugrundeliegende Konzept der Serie ist einfach zu reizvoll gestaltet:
„Eine mysteriöse Einladung zur Teilnahme an einem Spiel wird an Personen in einer Notlage verschickt, die dringend Geld benötigen. 456 Teilnehmer aus allen Gesellschaftsschichten werden an einem geheimen Ort eingeschlossen, wo sie Spiele für ein Preisgeld in Höhe von 45,6 Milliarden Won spielen. Bei den Spielen handelt es sich um traditionelle koreanische Kinderspiele, doch es gibt einen Haken: Wer verliert, stirbt. Wer wird am Ende gewinnen, und was ist der Zweck des Spiels?“
Seong Gi-hun (Jung-jae Lee) ist ein Loser. Stark verschuldet lebt der 39-Jährige bei seiner Mutter und schafft es nicht mal, für seine eigene Tochter da zu sein. Über dubiose Wege erhält er eine Einladung zu „den Spielen“. Mit hunderten anderen Leuten, die sich allesamt gerade in einem Lebenstief befinden, findet er sich plötzlich in einem Lager wieder. Alle in den gleichen Klamotten, durchnumeriert und ohne wirkliches Wissen, was abläuft.
Was läuft hier ab?
Sehr gelungen schafft „Squid Game“ es, die Kandidat:innen genau wie uns Zuschauende anzufüttern. Der Reiz der Spiele wird genauso überzeugend dargeboten, wie die Begründungen für die Leute, daran teilzunehmen. Denn wie sich herausstellt, handelt es sich bei den Spielen um vermeintlich plumpe (traditionelle koreanische) Kinderspiele, doch wer „disqualifiert“ wird, stirbt. Auf der Stelle. Ohne Gnade. Gerade in diesen Momenten zeigt sich die Konsequenz der Serie, die vor allem zu Beginn keinen Halt vor Direktheit macht.
Mir hat zudem gefallen, dass es nicht einfach nur zu und um die Spiele geht, sondern auch überraschend viel Handlung außerhalb der Spielwelt stattfindet. Das erschafft Tiefe und verdeutlich die Motivationen von zunächst vor allem den Kandidat:innen. Kritisieren könnte man hier (wie auch bei einigen späteren Entwicklungen) lediglich den bisweilen künstlich wirkenden Grad der Inszenierung. Figuren geht es bereits schlecht und sie überlegen aufgrund des hohen Preisgeldes an den riskanten Spielen teilzunehmen, da kommt Schicksals-Ereignis X bei dem einen und Schicksalsereignis Y bei der anderen relativ zeitnah um die Ecke, um nochmal klarzustellen, weshalb man eh nichts zu verlieren hat.
Ganz schön spannend
Neben der Konsequenz in der Erzählung hat mir auch die visuelle Darstellung sehr gefallen. Das fängt bei der grundlegenden Cinematography an, die sich eigentlich durchgängig auf erfreulich hohem Niveau befindet. Vor allem hat mir aber die Aufmachung der Spielwelt gefallen. Das beginnt beim minimalistischen Design mit geometrischen Formen, die zwar sehr an die PlayStation-Symbolik (Kreis, Dreieck, Viereck) erinnern, aber vor allem in der Unterscheidung von Mitarbeiter-Rängen sehr gekonnt eingesetzt worden sind. Die einheitliche Aufmachung von Kandidat:innen sowie (etwas an „Haus des Geldes“ erinnernden) Arbeitern hat den stilistischen Eindruck nochmal verstärkt. Ganz groß waren zudem die Läufe und Fahrten durch einem der Kunst M.C. Eschers nachempfundenen Bau und die Ästhetik des maskierten Frontmannes oder auch der in Geschenk-Optik gehaltenen Särge haben die Sache abgerundet. Ein erstaunlich durchdachtes Corporate Design, als hätte Apple sich eine Spiel-Show erdacht!
Auch erzählerisch kann „Squid Game“ überzeugen. Ja, das koreanische Schauspiel mit deutscher Anime-Synchro wirkt immer mal etwas aufgesetzt, die Stimmung und vor allem Spannung kann aber durchgehend gehalten werden. Die Spiele sind simpel und faszinierend zugleich, die eine oder andere Wendung im Kleinen oder Großen gibt es auch zu sehen und vor allem fühlt man mit einigen Figuren richtig mit. Als es in einem Spiel ums Murmeln geht, wird das vielleicht etwas zu sehr übertrieben, aber schlecht war das nicht (auch wenn ich mir an dieser Stelle gedacht hätte, dass es einen inhaltlichen Kniff gibt, indem ein Kandidat die Spielregeln austrickst und sich und seinen Spielpartner rettet, indem sie jeweils die zehn Murmeln des anderen gewinnen und so wieder bei 10 Murmeln jeder stehen).
Und die Moral von der Geschichte?
Aufwendig gestaltete Spiele, bei denen Leute massenhaft sterben, weil es um massig Geld geht? Wer steckt dahinter? Neben der Neugier auf das nächste Spiel motiviert alleine diese Frage durchgängig, weiter zu schauen. Antworten werden auf viele kleine und große Stränge der Geschichte geliefert, mal direkt und zufriedenstellend, mal etwas abstrakter. In kleinen und großen Momenten wird aber auch klar, worum es in „Squid Game“ eigentlich geht. Um Ethik, Moral und Menschlichkeit. Im Grunde genommen sind die Spiele und vor allem Spieler:innen ein Abbild der modernen Gesellschaft. Verroht, auf sich und vor allem finanziellen Erfolg aus. Bei den Spielen wird schnell deutlich, wer was in Kauf nimmt, um zu überleben. Dieses Spiel mit der Moral und Menschlichkeit ist es, das „Squid Game“ deutlich mehr Tiefe und Aussage verschafft, als einfach nur ein „Takeshi’s Castle“ mit tödlichem Ausgang bei Spielverlust.
Und so wird auch gekonnt mit den Emotionen gespielt. Man leidet mit manchen Figuren mit, anderen wünscht man eine Disqualifikation. Auch die Charaktere selbst durchlaufen Höhen und Tiefen, die überzeugend dargestellt werden. Und mit Folge zu Folge wird auch das übergeordnete Mysterium nach und nach aufgedröselt und meiner Meinung nach zufriedenstellend aufgelöst. Allgemein gibt einem die Serie einiges zu denken mit auf den Weg. Wie hätte man sich selbst in den Spielen angestellt? Hätte man selbst die Spiele überhaupt mitgemacht? Wie wichtig ist einem Geld? Welche anderen Dinge im Leben sollten eigentlich wichtiger sein? Wie wertvoll ist ein Menschenleben? „Squid Game“ wirkt dann doch noch deutlich mehr über die eigentlichen Folgen hinaus, als ich im Vorfeld angenommen hatte.
„Squid Game“ ist eine willkommene Abwechslung im Serien-Einerlei, das sich mittlerweile oftmals auf Netflix vorfinden lässt. Die kompromisslosen Spielereien erinnern an „Alice in Borderland“, kommt aber mit weniger Sci-Fi aus, so dass ein noch realistischer anmutendes Schauspiel der modernen Gesellschaft geboten wird. Tatsächlich musste ich bei einigen der Spielen an die gerade erst zurückliegende Spiel-Show „99 – Eine:r schlägt sie alle“ denken, was ein sehr skurriles Gefühl in mir ausgelöst hat…
Die Serie ist rigoros, wenn es um das Morden geht, aber nicht wirklich dem Horror anzusiedeln. Ja, es geht bisweilen blutig zu, aber die Gewalt-Momente bleiben (meist) pointiert und werden grafisch nicht im Gore-Sinne dargestellt. Vielmehr handelt es sich um einen hochdramatischen Thriller mit einigen düsteren Momenten. Vor allem wird es aber gedanklich düster, wenn Kinderspiele in kunterbunter Spiellandschaft veranstaltet werden, in denen sich die Leichen nur so stapeln. Sollte man aber jetzt nicht direkt beim ersten Blutstropfen ohnmächtig werden, dürfte man kein Problem damit haben, denn insgesamt ist die Serie doch einigermaßen für die breite Masse gemacht.
Insgesamt hat mir „Squid Game“ sehr gut gefallen. Die neun in der Regel knapp unter einer Stunde langen Folgen (eine war lediglich 30 Minuten lang) haben kaum Aussetzer gehabt und konnten so einen stimmigen Spannungsbogen über die komplette Staffel hinweg vermitteln. Hinten raus geht vielleicht etwas die Stringenz verloren, ein paar Entwicklungen wurden meiner Meinung nach nicht ganz nachvollziehbar aufgelöst (wie war das zum Beispiel mit dem Polizisten-Bruder, der doch eigentlich ständig mal für eine Weile vermisst gewesen sein dürfte, wenn er zuvor an den Spielen teilgenommen hatte – oder zumindest ein bisschen mehr zur Motivation von ihm und den Arbeitenden hätte es geben können…) und einige argumentative Momente für Figuren waren mir zu konstruiert. Aber alles in allem erhält man hochwertig inszenierte Unterhaltung mit einer auf vielen Ebenen reizvollen Geschichte geboten.
Fun Fact: Hoyeon Jung, die Taschendiebin Kang Sae-byeok gespielt hat, hat 2013 übrigens bei „Korea’s Next Topmodel“ mitgewirkt. Und jetzt kennen sie Millionen Menschen weltweit – schon ein interessanter Karriereweg! Ihre Figur fand ich enorm faszinierend, auch wenn da vielleicht noch mehr drin gewesen wäre. Und wer wie ich dachte, sie sei von der gleichen Frau wie Tokio in „Haus des Geldes“ synchronisiert worden – dem scheint wohl nicht so zu sein. Hier hat Flavia Vinzens die Stimme geliehen, bei der Schwesterserie von Netflix hat Esra Vural gesprochen. Die Figuren haben mich aber sehr aneinander erinnert, aber das nur nebenbei erwähnt…
„Squid Game“ Staffel 2?
Serienschöpfer Hwang Dong-hyuk hat angegeben, dass zumindest zeitnah nicht mit einer Fortsetzung der Serie zu rechnen sein soll. Dazu sei die Arbeit zu intensiv gewesen. Aber dennoch sei eine zweite Staffel denkbar, wenn auch mit etwas zeitlichem Abstand. Inhaltlich würde es definitiv Spielraum geben und ich würde mich persönlich sehr über eine weitere Staffel freuen. Nach dem aktuellen Erfolg der Serie dürfte auch Netflix nichts dagegen haben.
UPDATE: Mittlerweile wurde eine 2. Staffel der Serie offizielle bestätigt!
Bilder: Netflix / YOUNGKYU PARK
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