Wer hätte das gedacht? Bzw. formulieren wir es anders: ICH hätte nicht gedacht, dass Folge 6 „Die geheimnisvolle Box“ meine Meinung zu „Star Trek: Picard“ so deutlich ändern würde. In den vergangenen Folgen habe ich mich über vieles aufgeregt. Mir wurde einfach nicht klar, was die Serie sein will. Nach der sechsten Folge verstehe ich das nun viel besser (unter der Voraussetzung, dass es sich hier nicht um einen positiven Ausrutscher handelt ;)).
Aber um es konkret zu machen: Was mich an „Die geheimnisvolle Box“ so begeistert, ist die Stimmung. Die Folge ist nicht nur sehr dunkel gehalten, sie fühlt sich auch so an. An dieser Stelle sei auch ein Lob an die hervorragende musikalische Untermalung dieser Stimmung ausgesprochen.
Die dunkle Stimmung zeigt sich durch die Charaktere. Nehmen wir beispielsweise Agnes; was sie wirklich im Schilde führt, ist zwar immer noch unklar, aber dass sie innerlich gebrochen ist, wird mehr als deutlich. Und damit bekommt Captain Rios auch endlich seine Chance, als Sexy-Bad-Guy zu punkten und die verletzte Agnes zu trösten. Dabei finde ich es lustig, dass er mit nacktem Oberkörper mitten in der Nacht Fußball auf dem Hauptdeck des kleinen Schiffs spielt. Aber irgendwie passt es dann doch zu der Szene, denn er ist für Agnes in dieser Szene eben nur ein Toyboy und er selbst will auch gar nicht mehr sein.
Danach bekommen wir dann Raffi zu sehen, die im Kreise der zusammen gewürfelten und leicht labilen Crew unter Applaus – und Alkoholeinfluss – das Diplomatenvisum für Picard klar macht. Man stelle sich so etwas Vergleichbares in „Star Trek: The Next Generation“ vor; wäre ein Brückenoffizier mit Rumflasche (oder was es auch sein mag) auf der Brücke erschienen, um nur kurz nach erledigter Pflicht mit der Alkoholflasche wieder ins Bett zu fallen – aus diesem Umstand wäre eine ganze Folge mit moralischer Botschaft geworden, diverse Sitzungen beim Schiffspsychologen und am Ende eine High-Tech Entgiftung. Bei „Star Trek: Picard“ gehört es dazu und es verwundert den Zuschauer nicht einmal.
Also haben wir mit Agnes und Raffi schon zwei Personen an Bord, die dem Abgrund näher sind als dem Licht. Und zu diesen zwei gesellt sich dann auch Picard. Die Darstellung, wie er auf dem Borg Cubus Flashbacks hat und an die traumatische Zeit zurückdenkt – großartig! Ich fühle mich etwas an den dunklen Wolverine Film „Logan“ zurückerinnert. Die schillernden Zeiten sind vorbei, der Held ist alt geworden und kann mit den Dämonen aus seinem Leben nun nicht mehr so leicht standhalten. Das ist einfach nur genial. Diese dunkle Zukunftsversion gefällt mir sehr gut, wenn die Serie diesen Stil beibehält, vergisst man gerne die glorreiche und friedliche Vergangenheit; denn so ist es klar, dass hier etwas komplett anderes erzählt wird.
Auch sehr schön ist, wie sich Picard und Hugh in die Arme fallen. Beide haben ihr Paket zu tragen, man spürt die traurige Verbindung der beiden durch die Borg.
Und auch Soji reiht sich in die Riege der gebrochenen Charaktere ein. Sie erkennt durch Narek, was sie tatsächlich ist, und muss deshalb fast sterben. Schauspielerisch ist Sojis Zerissenheit nicht ganz so stark wie bei den anderen Charakteren, aber dennoch überzeugend. Ich frage mich, was es mit der Mutter auf sich hat, wer steckt dahinter? Ist es nur eine Art Diagnose- und Reparaturprogramm oder verbirgt sich dahinter noch ein unbekannter Charakter in der Serie?
In jedem Fall kann Picard zusammen mit Hugh endlich seiner Bestimmung nachgehen und der vermeintlichen Tochter Datas helfen. Dass Elnor mit seinem Schwert sich gegen schwerbewaffnete romulanische Sicherheitskräfte durchsetzen kann, nun ja, ich kann darüber hinwegsehen. Wenn man ehrlich ist, brauchte man Elnor als Charakter eigentlich nicht; er wird wie damals Worf ständig zurechtgewiesen und ist irgendwie nur das fünfte Rad am Wagen.
Mit der Flucht von Picard und Soji beginnt für mich Picard erst richtig. Die Hüllen sind gefallen, die Folge lässt uns tief in den gebrochenen Picard schauen. In dieser Folge macht es dann auch endlich Sinn, dass Picard kein Quartier, sondern sein Weingut im Holodeck als Rückzugsort nutzt. Die Zerrissenheit des Charakters wird so untermalt und auch die These in den Raum gestellt, dass er vielleicht am falschen Ort ist und gar nicht im All sein sollte. Mag sein, dass ich mich etwas zu sehr in diese dunkle Stimmung der Folge voller Begeisterung reinsteigere, aber für mich macht Picard mit „Die geheimnisvolle Box“ erst Sinn. Die Folgen davor werden damit nicht besser, aber erfüllen wenigstens einen Zweck. Ich hoffe, dass es so weiter geht und freue mich ganz doll auf den kommenden Freitag.
Bilder: CBS / Amazon Prime Video
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