Lange waren wir nicht mehr zu Besuch in Hawkins, und wenn die ersten Minuten der 4. Staffel von „Stranger Things“ laufen, denkt man wirklich schnell: Man, sind die groß geworden. Klassiker, ich weiß, aber der Unterschied zur 3. Staffel von vor 2 Jahren ist schon wirklich spürbar. Aber dazu später mehr. Widmen wir uns erstmal der Auftaktszene.
Die kennen wir ja schon, denn Netflix hatte die acht Minuten bereits vorab veröffentlicht. Da geht’s gleich blutig zur Sache, und wir erleben einen Rückblick in die Laborzeit von Eleven, die mal eben One bis Ten plus ein paar Pfleger / Wärter auslöscht. Warum, und was das mit der Gesamtstory zu tun hat, dazu wird erstmal nichts weiter angedeutet. Aber immerhin war die Szene dann auch für Netflix so heftig, dass man sich nach dem Amoklauf an einer Schule in Texas dazu entschieden hat, in den USA vor der Folge einen Warnhinweis zu platzieren – mehr dazu hier in diesem Beitrag.
Nach dem Acht-Minuten-Intro stehen uns dann noch weitere 70 Minuten bevor, und ich muss zugeben, ich hatte mich im Vorfeld bereits gewundert, warum Netflix in Staffel 4 so lange Folgen raushaut. 73 Minuten sind das Minimum, 150 Minuten das Maximum – alle Längen gibt’s hier. Hat das dramaturgische Gründe? Und konnte man die langen Folgen nicht in kürzere Häppchen teilen, weil das von der Erzählweise nicht passte?
Im Rückblick auf die Folge kann man sagen – so richtig erschließt sich zumindest bei dieser Folge der Sinn der langen Folge nicht. Die Duffer Brothers lassen sich sehr viel Zeit, uns abzuholen. Praktisch jeder Charakter unserer bekannten Truppe bekommt ausreichend Screentime, in der das Erlebte nochmal verarbeitet wird, aber auch der aktuelle Stand dargestellt wird.
Eleven versucht, nach dem Umzug irgendwie ohne Hopper klar zu kommen. Wie schwer ihr das fällt, erkennt man an ihrer Schulaufgabe: ein Diorama der alten Waldhütte mit Hopper davor. In der Schule hat sie offensichtlich keinen leichten Stand, nur Will steht ihr zur Seite. Es gibt die üblichen High School-Ärgereien, die darin münden, dass Eleven provoziert wird und versucht, ihre Kräfte einzusetzen. Die sind aber nicht vorhanden, so dass ihre Aktion einigermaßen peinlich wirkt.
Mike und Dustin sind noch am meisten Kinder geblieben – sie haben sich einer neuen Rollenspiel-Gruppe angeschlossen, aus der Eddie Musnon als Chef des „Hellfire Club“ zwangsläufig heraussticht. Ein abgedrehter Typ, der in gewisser Weise wohl als Typ Billy ersetzen soll. Dessen Schwester Max trauert immer noch angesichts des Verlusts von Billy und kann sich auch schwer in der Gesellschaft einfinden.
Joyce hat in Kalifornien einen neuen Job gefunden, den sie wie gehabt mehr oder weniger chaotisch angeht. In ihre Arbeit platzt dann ein Paket aus Russland hinein, in dem sie sich einen Hinweis auf Hopper erhofft. Kann die Puppe ein Hinweis sein, oder steckt der Hinweis vielleicht in der Puppe? Wie sie dem Geheimnis auf die Spur geht, ist schon ganz witzig erzählt und lässt so ein bisschen alte „Stranger Things“-Stimmung aufkommen.
Apropos: Die sickert auch sonst natürlich an vielen Stellen durch, man fühlt sich so gleich heimisch. Dazu trägt selbstverständlich die entsprechende Optik bei, aber auch der Soundtrack, der einen direkt in die 80er (und nicht ganz stilecht 90er Jahre, wenn ich’s richtig erkannt habe) Jahre zurückversetzt. Man ist schnell wieder drin in „Stranger Things“, als Zuschauer orientiert man sich offensichtlich deutlich einfacher als die Charaktere zu Beginn von Staffel 4.
Den größten Abstand zu allen anderen scheint Lucas zu haben, der nicht nur körperlich den größten Sprung gemacht zu haben scheint, sondern auch sonst mehr in dem gesellschaftlichen Leben integriert ist. Er gehört zum heimischen Basketball-Team und scheint da spätestens nach seinem entscheidenden Entwurf voll integriert. Mehr noch: Er steht sogar vor der Wahl, das neue Leben seinem alten Freundeskreis vorzuziehen, die Kindheit sozusagen hinter sich zu lassen. Das wird speziell im hinteren Drittel der Folge schön deutlich, wenn sich die Kinder über den Erfolg beim Rollenspiel freuen, derweil Lucas mit seinen Basketball-Kollegen loszieht. Dass Lucas dennoch noch etwas mit der alten Gruppe zu tun zu haben scheint (was möglicherweise später in der Staffel nochmal wichtig wird), machen die Duffer Brothers an dem Zusammenschnitt von Rollenspiel und Basketball-Spiel deutlich: Immer wieder wechseln sich Basketball und Rollenspiel ab, Zug um Zug geht’s da weiter. Gerade der Teil ist mir aber ehrlicherweise zu lang gezogen, da hätte man deutlich kürzen können, ohne groß etwas zu verlieren. Auch sonst gibt’s immer wieder Momente, wo es dann doch recht langatmig wird, immerhin ohne dass es langweilig wird.
Dass „Stranger Things“ aber auch neue Töne anstößt und nochmal mehr Horror-Momente in die Story einbaut, wird dann am Ende deutlich, wenn Chrissy, ein neuer Charakter, von einem neuen Gegenspieler besessen ist und dieser mit ihr macht, was er will. Das geht dann schon Richtung klassisches Horror-Genre, und man darf gespannt sein, was sich daraus weiter entwickeln wird.
Insgesamt ist es schön, wieder in Hawkins und damit in „Stranger Things“ zu sein. Man kommt gut rein, hat gleich wieder Lust auf die Story und die vielen, oft merkwürdigen, aber liebenswerten Charaktere. Wenn die Duffer Brothers es im Laufe der Staffel schaffen, die langen Folgen nicht mehr so mit Nebensächlichkeiten aufgefüllt wirken zu lassen, könnte das wirklich ein Serienhighlight werden – endlich auch mal wieder für Netflix, muss man sagen.
Sorry, aber mit den beiden Sätzen
„Mike und Dustin sind noch am meisten Kinder geblieben – sie haben sich einer neuen Rollenspiel-Gruppe angeschlossen…“
und
„Den größten Abstand zu allen anderen scheint Lucas zu haben, der nicht nur körperlich den größten Sprung gemacht zu haben scheint, sondern auch sonst mehr in dem gesellschaftlichen Leben integriert ist.“
sagst du mehr über dich, als über die Handlung aus.
Hi Aurelius, kein Problem, dafür musst Du Dich nicht entschuldigen.
Das müsste ich vermutlich nur, wenn die Kritik auch angekommen wäre, oder?
Achso, nein, ich meinte, weil Du ja direkt mit einem ’sorry‘ gestartet bist. Ansonsten ist die Kritik natürlich angekommen. Wobei ich nicht ganz sicher bin, dass ich verstehe, wie Du’s meinst. Woran Du z. B. fest machst, dass ich da mehr über micb als über die Handlung aussage – ich finde, in den beiden Sätzen steht viel Handlung drin. Mike und Dustin sind in einer Rollenspiel-Gruppe aktiv, Lucas beim Basketball. Das eine wird eher als ’nerdig‘ abgetan, das andere ist eine (gerade in den USA) sehr beliebte Sportart, bei der man schnell im Rampenlicht steht. Das wird ja in der Folge auch schön deutlich gemacht – das eine findet abgeschieden im Dunkeln statt, das andere in der voll besetzten, hellen Halle. Ich sehe es so, dass die Duffer Brothers mit diesen Attributen einen Kontrast ausdrücken wollten, so wie ich es eben geschrieben habe. Ich befürchte jetzt, dass Du da eine Wertung meinerseits herausliest, was ich über Rollenspiel und Basketball denke. Wenn Du Dich darauf beziehst, dann kann ich Dich beruhigen – ich beschreibe zuerst nur und interpretiere, was man sich bei der Inszenierung gedacht haben könnte. Wie ich Rollspiel und Basketball finde (das wäre dann wohl der ‚über mich‘-Teil, den Du gefunden haben willst), kannst Du da nicht herauslesen. Ich hab‘ früher übrigens beides gemacht. :-)
Das „Sorry“ bezog sich natürlich auf meinen Irrtum zu denken, dass du „Konformismus“ mit „Erwachsen werden“ gleichsetzt, und „Nonkonformismus“ mit „kindisch sein“…;)
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