Lange mussten wir auf Staffel 6 von „The Blacklist“ in Deutschland warten. Sogar die Veröffentlichung der Staffel auf DVD/Blu-Ray im Herbst 2019 lag vor dem Start bei einem Streaming-Dienst wie Netflix oder bei einem Sender wie RTL Crime, wo die Serie lange zu Hause war. Ganz spontan nahm Netflix Staffel 6 aber jetzt im Januar dann doch ins Programm – und ich habe mich natürlich gleich draufgestürzt, weil ich doch wissen wollte, wie sich insbesondere das Verhältnis zwischen Raymond Reddington und Elizabeth Keen entwickeln wird, nachdem Liz hinter das Geheimnis des Kofferinhalts gekommen war.
Die ersten beiden Folgen hatte ich ja gleich im Review zusammengefasst – ein solider Auftakt in die Staffel. Und die erlebt dann auch inhaltlich wieder eine zweigeteilte Entwicklung, wie man es schon von Staffel 5 zum Beispiel kennt. Dabei entwickelt sich gerade der erste Teil quasi zu einem Fest für Fans von James Spader…
Red wird nämlich auf offener Straße von einem Streifenpolizisten verhaftet – offensichtlich gab es einen anonymen Tipp, dass sich Red nahe des UNO-Gebäudes befindet. Die Situation ist natürlich grotesk – der meistgesuchte Verbrecher der USA wird von einem einfachen Streifenpolizisten geschnappt. Eine Gegebenheit, auf die Red in der Folge auch mehrfach eingeht und damit spielt. Klar ist für ihn auch: Da er so geschnappt wurde, muss es einen internen Verräter geben – und den sucht er jetzt mit Hilfe von Dembe aus dem Gefängnis heraus. Typisch Reddington ist dann, wie er sich auch im Gefängnis behauptet und weiß, wie er die Strippen zu ziehen hat.
Aber zurück zum Ausgangspunkt – warum ist der erste Staffelteil ein Fest für Spader-Fans? Na, weil es natürlich auch zu einer Gerichtsverhandlung kommt und Red der Pflichtverteidiger so gar nicht zusagt. Also vertritt er sich selbst – und wir kommen in den Genuss, dass James Spader im Prinzip seine (andere) Paraderolle als Anwalt aus „Boston Legal“ wieder aufleben lässt. Es macht einfach großen Spaß, wie er vor Gericht agiert, den Staatsanwalt aussehen alt lässt, die Richterin mal becirct, mal fast beleidigt, und vor spitzen Bemerkungen auch gegenüber der Jury nicht zurückschreckt.
Dass der Schuldspruch am Ende nicht vollstreckt wird, hängt dann mit dem Schwerpunkt von Teil 2 der Staffel zusammen. Es geht nämlich um eine Verschwörung, die so groß ist, dass das Land sogar Red braucht, um dieser Herr zu werden (jetzt mal etwas größer formuliert als es eigentlich war). Hier bekommen wir auch noch einmal Christopher Lambert als Gaststar zu sehen – sein Auftritt endet dann aber leider recht abrupt. Was mir dieses Mal sehr gefällt an der Staffel: Die einzelnen Fälle der Blacklist werden nicht einfach aneinander gereiht, sondern sie ergeben für das große Ganze einen Sinn. Jeder Fall hilft dabei, im ersten Teil der Staffel bei der Entlastung von Reddington zu helfen und im zweiten Teil das Puzzle zur Verschwörung zusammenzusetzen. Von jedem Fall brauchen Red und die Taskforce etwas, um den Gesamtfall zu lösen – das ist ganz nett gemacht. By the way: Eine Übersicht über alle Fälle der Blacklist gibt es hier.
Ein Highlight ist kurz vor Staffelende eine Art Bottleneck-Folge, in der es einen weitläufigen Rückblick auf das Leben von Liz‘ Mutter gibt – inklusive der Auflösung, wer eigentlich derjenige ist, der vorgibt, Raymond Reddington zu sein. Auch das ist dramaturgisch sehr gut gelöst – alle Geheimnisse scheinen jetzt aufgedeckt, alle Karten liegen auf dem Tisch – mit der Konsequenz, das unser Team zunächst gehörig durcheinander gewirbelt wird. Wir müssen uns von Agent Navabi verabschieden, und sogar Dembe steht auf der Kippe, nachdem klar ist, dass er Liz‘ Geheimnis bewahrt hatte, dass sie für den Verrat an Red mitverantwortlich war. Gerade der Abschied von Navabi fällt schwer, weil sie einen schönen Gegenpol zu den anderen Akteuren der Task Force bildete.
Dass Dembe aus „The Blacklist“ ausscheidet, erschien mir hingegen direkt unglaubwürdig, und so war es nur folgerichtig, dass er im Staffelfinale noch einmal auftauchte. Apropos Staffelfinale – das hat mich im Gegensatz zur restlichen Staffel dann doch ein bisschen enttäuscht. Klar, die Rettungsaktion, um die Task Force aus den Fängen von Anna McMahon zu befreien, war ganz witzig angelegt. Aber der geplante Anschlag auf den Präsidenten war dann doch zu durchsichtig angelegt und auch ein bisschen platt aufgelöst. Letztlich soll ein Unfall mit Fahrerflucht eine gesamte Staatskrise auslösen? Das war mir dann etwas zu einfach konstruiert. Richtig enttäuschend waren dann aber tatsächlich die letzten Sekunden der Staffel, als Red Katerina Rostova in Paris aufsucht. Dass er sie sehen will – okay. Aber alleine, ohne Dembe, so in Gefahr begeben? Unglaubwürdig. Und dass sie nichts besseres zu tun hat, als ihn direkt zu verletzen? Naja, naja. Ich war ja kurz davor, der Staffel nach diesem Ausgang nur drei Kronen zu geben, aber mit Blick auf die sehr guten restlichen 21 Folgen muss es natürlich bei einer ‚Vier‘ bleiben – dafür war die Rückkehr von Alan Shore aka James Spader einfach so brillant eingefädelt.
Also, zusammengefasst: Wir bekommen eine solide Staffel serviert, die uns einen geliebten Charakter aus „Boston Legal“ kurzzeitig zurückgebracht hat, die spannende Fälle bot, die nicht lieblos über die Staffel verstreut wurden, sondern für das große Ganze Sinn gemacht haben. Und auch wenn das Finale nicht das Niveau der Gesamtstaffel halten konnte, so bietet es doch viel Perspektive für Staffel 7 – kann also weitergehen, aber bitte schneller als bei Staffel 6.
Bilder: NBC
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