Seit Ende Juli gibt es eine neue Comedy-Serie bei Netflix zu sehen, die mit einem spannenden Setting sowie einem guten Cast aufwartet. Doch reicht das, um „The Decameron“ zu einer sehenswerten Serie zu machen? Leider nicht ganz. Im spoilerfreien Staffelreview möchte ich euch darlegen, welche Aspekte der Umsetzung gut und welche schlecht funktionieren. Immerhin hasse ich die Serie nicht wie die Pest. Die ist dann doch noch etwas schlimmer, denke ich…
Mittelalterliche Quarantäne
„The Decameron“ basiert auf dem Band (jetzt italienische lesen, bitte:) „Decameron“ des italienischen Schriftstellers Giovanni Boccaccio aus dem Jahre 1353. Boccaccio hat die Geschichten um eine in einer Villa nahe Florenz Zuflucht findende Gruppe nach der 1348er Beulenpest-Epidemie geschrieben. Fast sieben Jahrhunderte(!) später hat die Welt dank Corona wieder eine Erinnerung erhalten, wie nervig Pandemien sind und ist somit bereit für ein mittelalterliches Kammerspiel, oder?
Grundsätzlich schon, allerdings möchten wir bitte nicht noch mehr Quarantäne-Langeweile erfahren müssen. Davon dürften wir alle für die nächsten 100 Jahre genug gehabt haben. Aber hey, auf dem ersten Blick schaut „The Demaceron“ doch vielversprechend aus! Das Anwesen ist toll und einfach wunderschön anzuschauen. Zu schade, dass es sich trotz der gigantischen Größe der Villa zu großen Teilen wie ein eingeengtes Kammerspiel anfühlt. Das Kleidungsdesign ist ebenfalls hervorzuheben, bekommen wir doch wundervoll detailliert ausgearbeitete geschichtliche Roben zu sehen. Nur besitzen sie leider auch diesen typischen modernen Netflix-Look und wirken zu großen Teilen fabrikneu und utopisch sauber.
Last but not least sehen auch die Figuren super aus. Ein bunt gemixter Haufen an wahrhaften Charakteren, die zudem noch von einem tollen Cast verkörpert werden. Zosia Mamet („Girls“), Tony Hale („Arrested Development“), Jessica Plummer („EastEnders“), Tanya Reynolds („Sex Education“) oder auch Amar Chadha-Patel („Willow“) spielen mit. Hervorheben möchte ich aber vor allem Saoirse-Monica Jackson (bekannt aus „Derry Girls“) als Micia, die mir besonders gut gefallen hat, sowie Leila Farzad („I Hate Suzie“) als Stratilia.
Inhalt, Stringenz & Humor?
Eigentlich ehrt es das Produktionsteam, dass die originalen italienischen Namen aus der Buchvorlage Verwendung gefunden haben, aber ich konnte mir diese bis zum Schluss nicht wirklich merken, geschweige denn alle auseinanderhalten. Ähnlich geht es mir mit der Schreibweise und Bedeutung von „Decameron“. Aber gut, Namen sind Schall und Rauch, wichtiger ist, was man tut! Das ist aber leider nicht allzu viel.
Dass ein tolles Set, schöne Kostüme und ein guter Cast nicht alles sind, wird auf dem zweiten Blick deutlich. „The Decameron“ wirkt gleichermaßen sperrig und inhaltsleer. Dabei gibt es immer wieder verheißungsvolle Ansätze zu sehen, die jedoch nicht konsequent genug verfolgt werden. Zum Beispiel der Versuch, Status und andere gesellschaftliche Aspekte kritisch zu beleuchten. Oder moderne Slang-Begriffe, die derart ausgewählt genutzt werden, dass man das Gefühl hat, sowohl mehr als auch gar keine Nutzung dieses Stilmittels hätten der Inszenierung gut getan. Auch gibt es einige fragwürdige Erzählungen zu sehen, die impulsiv über Sinnhaftigkeit und Eloquenz hinwegspringen.
Auch die Übertragung bzw. Angst vor der Pest wird nicht immer stringent dargestellt. Bis 2019 hätten wir Zuschauende das vermutlich alle gar nicht bemerkt, aber mittlerweile sind wir ja recht gebildet, was Krankheitsübertragungswege anbelangt. Aber gut, die zu sehenden Figuren befinden sich ja noch inmitten der Epidemie, da waren vermutlich noch nicht alle RKI-Berichte bekannt.
Letztlich ist „The Decameron“ dann doch deutlich mehr Drama als ich zunächst annahm. Vor allem hinten heraus vergisst man hin und wieder, dass es sich ja eigentlich um eine Comedyserie handeln soll. An sich finde ich die Idee gar nicht schlecht, erst einige Folgen lang lockerseichte Lustigkeit zu liefern, um dann in einem Schockmoment düster zu werden – doch leider ist „The Decameron“ zu keinem Zeitpunkt länger wirklich lustig. Und dann ist es auf einmal zu Ende und man bleibt ein bisschen unbefriedigt zurück. Das soll es nun gewesen sein? Spätestens hier wird klar, dass man sich nicht die Zeit für die Tiefe des Drehbuches genommen hat, die es benötigt gehabt hätte.
Um es kurz zu machen: Das kann man sich sparen. Hatte ich bei der ersten Folge, die einen zumindest etwas besseren Eindruck als der flache Trailer gemacht hatte, noch ein bisschen Hoffnung, so stand dann doch recht schnell fest, dass es sich bei „The Decameron“ keine neue richtige Comedyserie handelt. „The Decameron“ besitz zu schlechte Handlungen und Dialoge, um weiterschauen zu wollen, und eine zu hohe Qualität in Aufmachung und Schauspiel, um aufzuhören. Ein seltsames „Nun gut, ziehen wir es halt durch“-Gefühl, das ironischer Weise zu der Gruppe passt, die eher unfreiwillig zusammen hocken und die Pest auswarten muss. Inhaltlich wirkt die Serie leider wie ein zu schnell zusammengesetzter Flickenteppich, was auf die Kurzgeschichten-Struktur der Vorlage zurückzuführen sein dürfte. Satz mit X: „Das packe ich lieber nicht auf die Watchlist und verpasse so nix“.
2. Staffel von „The Decameron“?
Also wenn es nach mir geht, muss es nicht unbedingt eine Fortsetzung dieses Formates geben. Und aufgrund der eher mäßigen Kritiken sowie den mutmaßlich verhältnismäßig hohen Produktionskosten würde ich eh darauf tippen, dass es keine geben wird. Showrunnerin Kathleen Jordan gibt aber preis, dass sie gerne ein Anthologie-Setting aufziehen würde (á la „Miracle Workers„):
„Anything is possible. I love the characters on the show. I also think that there is a version in the future that’s more of an anthology where we take the players in a repertory theater and bring them to 16th-century France for a little touch of syphilis. We can never run out of diseases.“ – Showrunnerin Kathleen Jordan
Alleine, dass sie (hoffentlich spaßeshalber?) auf weitere Krankheiten als Aufhänger eingeht, ist meiner Meinung nach kein gutes Zeichen. Wenn man das Drehbuch jedoch deutlich strafft und mehr Humor reinbringt, könnte das wirklich sehenswert werden. Ich persönlich glaube da aber nicht wirklich dran.
Bilder: Netflix / Giulia Parmigiani
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