Inzwischen ist es bei „The Good Doctor“ ja üblich, uns nach den 22 Folgen einer Staffel mit einem mehr oder weniger großen Cliffhanger zu verabschieden. So war‘s auch am Ende von Staffel 5, als Dr. Audrey Lim niedergestochen und blutend ohne Bewusstsein auf dem Krankenhausflur zurückblieb. Hat sie überlebt? Hat das Einfluss auf die Hochzeit von Dr. Shaun Murphy und Lea? Ja und ja – und die Auswirkungen bestimmen die erste Hälfte der 6. Staffel, mit einer gewissen Dramatik inklusive. Die zweite Hälfte hält sich dann mehr an Kleinigkeiten auf – insgesamt aber solide Kost für „The Good Doctor“-Fans.
Dr. Lim war auf jeden Fall zu retten, Shaun musste sich aber zwischen zwei Operationswegen entscheiden – einer sichereren, bei der Lim im Rollstuhl landen würde, und einer riskanteren, bei der sterben könnte. Er hat wie immer medizinisch abgewogen und sich für die sicherere Variante entschieden – mit der Konsequenz, dass Lim nicht mehr gehen konnte. Sie machte Shaun dafür verantwortlich, so dass es zwischen beiden einige Dissonanzen gab – immerhin war Lim weiterhin Shauns Chef. Was mir sehr gut gefallen hat, war die Auseinandersetzung mit dem Thema Behinderung. Kann Lim mit den Einschränkungen weiter arbeiten? Dazu wurden verschiedene Ebenen beleuchtet, von der körperlichen Eignung an sich über verschiedene Hilfsmittel, die für sie angeschafft wurden – unter anderem ein neigbarer Spezialstuhl – bis zur psychischen Bereitschaft, unter diesen Bedingungen weiter zu arbeiten. Sehr schön: Es wurde nicht der Fehler begangen, die Behinderuhng an sich als durchgängig negativ darzustellen. Es ist natürlich ein Einschnitt in das Leben Lims, und es ist nicht leicht, sich der neuen Realität zu stellen. Sie zeigt das an so simplen Sachen wie dem Einsteigen ins Auto. Aber: Im Laufe der Zeit findet sioe sich mit der neuen Situation zurecht, findet Halt in der für sie neuen Welt, und kommt ernsthaft ins Überlegen, ob sie in die alte Welt zurück möchte, nachdem ihr Shaun und Dr. Glassman die Option aufzeigen, durch eine Operation das Gehen zurückzubekommen. Letztlich entscheidet sie sich dafür, wobei die Entscheidung ausführlich und intensiv in der Serie ausdiskutiert wird – das war sehr gut.
Fast die gesamte Staffel über bestimmt außerdem der Babywunsch von Shaun und Lea das Geschehene. Auch das wird von mehreren Seiten gezeigt – es gibt Rückschläge wie die Fehlgeburt, die Vorbereitungen auf den neuen Lebensabschnitt, und schließlich die Geburt selbst. Parallel ist auch Dr. Morgan Reznick Thema, sie möchte ebenfalls ein eigenes Kind bekommen und denkt über künstliche Befruchtung nach. Auch hier wird das Für und Wider intensiv in die Handlung eingebaut. Am Ende wird es die Adoption eines Pflegekindes, das ein hohes Maß an medizinischer Betreuung im Alltag benötigen wird – das war ein bisschen vorhersehbar, insgesamt aber auch gut gelöst, weil dieses Thema einmal umfassend betrachtet wird. Gar nicht mehr aufgenommen wurde leider die Start-up-Idee von Lea und Jordan aus Staffel 5 – die Geschichte hatte irgendwie Potenzial, wurde dann aber in Staffel 6 nicht weiter verfolgt – schade.
Der Alltag der Assistenzärzte bleibt dabei wie schon in der letzten Staffel storytechnisch hinter diesen Handlungssträngen zurück. Die Beziehungsprobleme von Dr. Asher Wolke – langweilig. Die Glaubensfragen von Dr. Jordan Allen – auch eher unangenehm zuzuschauen. Die Drogenthematik von Dr. Daniel „Danny“ Perez – nicht so richtig überzeugend rübergesbracht. Da war es zwar eine schöne Überraschung, aber auch für die Serie an sich sinnvoll, mit Dr. Jared Kalu eine frühere Figur aus den Anfängen der Serie zurückzuholen. Der war ja unter anderem nach Differenzen mit dem Krankenhausleiter Dr. Marcus Andrews am Ende von Staffel 2 gegangen, was die 6. Staffel aber nur so nebenbei aufnimmt. Da wäre mehr Konfliktpotenzial möglich gewesen, zumal Andrews sich am Ende der Staffel sowieso von seinem Posten verabschiedet. Auch hier – Chance vertan, wobei die Freude über die Rückkehr von Kalu überwiegt. Jetzt muss in Staffel 7 nur noch Dr. Claire Browne zurückkommen.
Die einzelnen medizinischen Fälle wurden wie üblich aus fachlicher und aus moralischer Sicht diskutiert – mal mit clevereren Ansätzen, mal etwas simpler. Auf jeden Fall gab’s immer ausreichend Diskussionsstoff und die Möglichkeit, sich mit der einen oder anderen Seite zu identifizieren. Da bleibt „The Good Doctor“ auf solidem Niveau ohne Überraschungen.
Ach, eine Sache gab‘s ja noch: In Folge 16 wurde eine neue Figur namens Joni DeGroot eingeführt – keine Ärztin, sondern eine Anwältin, die Shaun vor Gericht vertreten muss. Das Besondere: Sie hat eine Zwangsstörung und ist damit etwas „anders“, wie Shaun. Die Folge ist gleichzeitig die Backdoor-Folge für das geplante Spin-Off „The Good Lawyer“, das 2024 kommen soll. Ich fand die Folge jetzt nicht wirklich überzeugend, werde aber in die Serie sicherlich mal reinschauen.
Das gilt natürlich auf jeden Fall für die 7. Staffel vn „The Good Doctor“, die bereits beschlossene Sache ist. Mal sehen, welche Akzente dann gesetzt werden. Der ganz große Cliffhanger wie bei den letzten Staffeln war nämlich jetzt nicht dabei. Zumindest hier hatte die Staffel dann doch noch etwas Besonderes.
Bilder: ABC
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