Neben der in meinen Augen tollen ersten Staffel von „Stranger Things“ hatte eine andere Serie mit mysteriösen Ereignissen im Mittelpunkt der Handlung meine Aufmerksamkeit der letzten Wochen. Die Rede ist von „The Living and the Dead“, eine sechsteilige erste Staffel mit Colin Morgan in der Hauptrolle in der BBC. Wobei das mit der zweiten Staffel noch nicht offiziell in Sack und Tüten zu sein scheint, aber die letzte Episode endet mit einem sehr fiesen Cliffhanger und es muss eine zweite Staffel geben. Sonst setzt es was, BBC! Aber die ersten Anzeichen und Gerüchte sind zu vernehmen.
In meinem Review zu den ersten beiden Episoden hatte ich bereits einen inhaltlichen Abriss zur Serie gegeben, den ich hier auch gar nicht weiter ausführen mag. Nur vielleicht noch ein wenig ergänzen. Den Cliffhanger und den großen Spoiler gibt’s dann erst im abschließenden Meinungsteil, wer mag, hat also die Chance sich ein wenig über die erste Staffel zu informieren ohne groß gespoilert zu werden. Daher steht die Ampel auch auf gelb. Ich nehme daher auch meine Wertung grds. bereits vorweg. Fünf der sechs Folgen waren wirklich klasse, unterhaltsam und toll gemacht, die sechste Episode dürfte den ein oder den anderen (also mich) mehr als sprachlos zurücklassen – nicht nur wegen des Cliffhangers – sondern da die finale Folge vollkommen anders aufgebaut war und gefühlt das vorher gesehene, zwar nicht vollkommen auf den Kopf stellt aber zumindest anders interpretieren lässt. Wenn man will. Und sich darauf einlässt.
Ich würde „The Living and the Dead“ jedem empfehlen, der auf alte Art und Weise gerne horror/mysterymäßig unterhalten werden möchte, es wird also viel mit Geräuschen, Dunkelheit und den Erwartungen des Zuschauers gespielt, und der eine ruhige aber absolut überzeugende und charismatische Leistung des Cast zu schätzen weiß. Und die Geschichte, die erzählt wird, ist nebenbei gesagt auch noch interessant und spannend.
Handlung
Im Mittelpunkt des Geschehens steht Nathan Appleby, ein Psychologe, der nach dem Tod seiner Mutter den elterlichen Besitz übernimmt und versucht zusammen mit seiner Frau Charlotte den landwirtschaftlichen Betrieb wieder auf Vordermann zu bringen. Wobei dies eher die Aufgabe seiner Frau wird, die hat nämlich die Hosen an wenn es um handwerkliche Dinge geht.
Nathan ist eher der Grübler, er packt zwar auch bei der Ernte mit an, aber die in einem Fall auch rettenden Ideen hat seine Frau Charlotte, was den Hof angeht und die Existenzsicherung der abhängig Beschäftigten oder wie man sie früher nannte, den Bauern, die für einen Hungerlohn für den Landadel arbeiten durften. Wobei die Applebys offenbar ein offenes und freundliches Verhältnis zu ihren Bauern pflegen und schon immer pflegten und somit im Dorf beliebt sind.
Die Probleme des Dorfes im Allgemeinen und der Applebys im Besonderen sind daher ganz anderer Natur: kaum ist Nathan der Herr über Shepzoy – glaube der Ort hat ähnlich wie bei “Downton Abbey” denselben Namen wie das Anwesen – und schon erleben die Einwohner übernatürliches, unerklärliches, angsteinflößendes. Die Einwohner werden von den Geistern verstorbener Dorfbewohner heimgesucht, bedrängt und sogar zum Selbstmord “verführt”. Und jeder “Geist der Woche” hat einen Bezug zu Nathan und seiner Familie.
Wenn das nicht schon ausreichend Arbeit für einen Psychologen wäre, kommt noch dazu, dass Nathan selbst heimgesucht wird: sein Sohn Gabriel, der vor Jahren im Teich vor dem Anwesen ertrunken war, ruft nach seinem Vater. Und an der seelischen Schuld trägt Nathan immer noch sehr schwer.
So ergibt sich in den sechs Episoden ein hin und her zwischen der Geisterwelt und den aufklärerischen Versuchen Nathans, gepaart mit den Versuchen Charlottes, den Hof zu retten, erhöht durch die Anwesenheit von Gabriel, der immer dann verschwindet, wenn sein Vater ihn ansprechen oder sich auf ihn zu bewegen will – getrübt von der Tatsache, dass sich Charlotte und Nathan immer weiter von einander entfernen, da Nathan immer tiefer in seine mysteriösen Fälle eintaucht und die Gefahr immer größer wird, dass er sich in dieser Welt verliert.
Und dazu – das Sahnehäubchen – erkennen wir Zuschauer, dass einige mysteriöse Ereignisse nicht zwangsläufig aus der Vergangenheit entstammen müssen. Auch die Gegenwart ist in „The Living and the Dead“ durchaus präsent.
Meinung und Spoiler
Ich hatte es in meinem Review zu den ersten beiden Episoden bereits geschrieben und ich kann dies nun auf die gesamte Staffel beziehen, mir hat „The Living and the Dead“ großen Spaß gemacht auch wenn ich mit der Auflösung und der Herangehensweise der letzten Folge nicht unbedingt hoch zufrieden bin. Und reden wir nicht lange um den heißen Brei herum, der USP der Serie ist die Tatsache, dass wir hier drei Ebenen haben, wenn man so will und eine Ebene hat mit der heutigen Gegenwart zu tun.
Wir haben die Geister aus der Vergangenheit, die aus Gründen, die bei jeder Auflösung eine Verflechtung zu den Applebys erkennen lassen und mit der Vergangenheit zu tun haben, den ein oder anderen Dorfbewohner belästigen. Wir haben die Applybys, die versuchen den Hof zu retten und Nathan, der immer tiefer in das Übernatürliche abgleitet, da auch er heimgesucht wird und sich dadurch im „hier und jetzt“ immer weiter von seiner Frau Charlotte entfernt. Dies betrifft dann sozusagen die Erzählzeit auch wenn man kurz in der letzten Episode denken konnte, dass die fünf bisherigen Folgen allesamt nur in der Vorstellung einer gewissen Person stattfinden.
Was uns zur dritten Ebene führt: Lara. Lara ist ein „Geist“, den Nathan immer mal wieder aber jeweils nur kurz sieht. Mehrmals mit einem Tablet in der Hand, Nathan interpretiert dies als „leuchtendes Buch“ und einmal überfährt Lara Nathan beinahe in der Dunkelheit mit ihrem Auto. Diese Ebene hätten die Autoren in meinen Augen feinfühliger und langsamer in die Geschichte einbauen und entwickeln sollen. Eigentlich war schon sehr früh klar, dass Nathan nicht nur aus der Vergangenheit Besuch bekommt sondern auch aus unserer Gegenwart. Allerdings gingen diese Anzeichen nie weiter als in den ersten zwei Episoden, es entwickelte sich auch nichts – bis es zur letzten Folge kam. Und hier holten die Autoren dann den großen Hammer heraus.
Denn die letzte Episode begann mit Lara in der Gegenwart. Nicht mit den Applybys. Wobei das auch nicht ganz stimmt, denn wie sich herausstellt, ist Lara eine Ur-Urenkelin von Nathan. Lara wohnt derzeit in einer psychologischen Einrichtung, da sie verschwommene Bilder von früher sieht und das Gefühl hat, dass sie von Geistern aus der Vergangenheit gerufen wird. Ihre Oma, die wohl die Tochter der Tochter von Nathan und Charlotte ist (die familiären Verbindungen sollte man vielleicht noch mal nachrechnen), berichtet ihr bei einem Krankenbesuch von der familiären Belastung – deutet diese aber auch nur an, dazu komme ich am Ende noch mal zurück – und erzählt Lara von Nathan und Shepzoy.
Wie nicht anders zu erwarten war, als Lara ein Bild von Nathan und vor allem von Gabriel sieht, macht sich Lara Hals über Kopf auf nach Shepzoy. Und einige dieser Szenen in Shepzoy kennen wir schon, denn wie sich herausstellt, wird die Staffel in Bezug zu Lara/Nathan nicht streng chronologisch erzählt. Dieser Kniff hat mir wirklich gut gefallen.
Dieser Mix der Zeitebenen in Verbindung mit Gabriel, der der eigentliche Auslöser aller Ereignisse ist, führt dann im Endeffekt zu den finalen Ereignissen in Shepzoy. Dem Zuschauer scheint klar vor Augen, was passieren muss: Gabriel muss die Welt von Shepzoy verlassen. Dann verschwinden auch die anderen Geister. Auch Nathan sieht dies so, aber nur einen Ausweg aus diesem Dilemma, seinen eigenen Tod, um dann mit Gabriel vereint Shepzoy verlassen zu können.
Dies können Lara und Charlotte aber gemeinsam verhindern, da Lara Charlotte erscheint und so warnen kann. Das Charlotte dieser Warnung nachgeht, erscheint erst einmal komisch, da sie Nathan die ganze Zeit nicht glauben wollte, womit er sich die ganze Zeit über beschäftigt obwohl sie auch schon früher Lara/Gabriel gesehen und gehört hat. Genauso könnte man fragen, wieso es Lara gerade jetzt schafft, „wissentlich“ bei Charlotte aufzutauchen, so dass sie Charlotte warnen kann. Die Tage davor ging sie suchend und rufend durchs Haus und nichts passierte. Wobei das ja nicht ganz stimmt, da wir durch die vorherige Sicht von Nathan Lara schon das ein oder andere Mal gesehen haben. Aber eben nur One-Way.
Die Rettung von Nathan führt im Finale sogar dazu, dass Gabriel anstatt Nathan Lara mit in seine Welt holt. Oder schon vorher geholt hat? Das wird nämlich nicht ganz klar. Wollte er wohl beide an seiner Seite und nutzte Lara um seinen Vater in die Geisterwelt abtauchen und verlieren zu lassen? Warum nicht auch gleich Charlotte? Und ist es wirklich nur der Zorn eines sich nicht ausreichend geliebt gefühlten Kindes?
Irritiert? Wir sind noch nicht am Schluss: erinnern wir uns kurz an das Ereignis mit dem Autounfall bzw. dem beinahe Überfahren Nathans durch Lara. Laras Wagen wird nämlich in der letzten Episode auf dem Feld der Applebys gefunden – also in der Zeit der Applybys, nicht in der Gegenwart – und wir schauen in ein panisches Gesicht von Lara: Lara ist nämlich bei diesem Unfall gestorben, denn wie wir dann sehen, fuhr Lara vor Schreck eine Böschung hinunter und überschlug sich mehrfach. Alles klar? So interessant und spannend das alles war, richtig erklärt wird das alles leider fast überhaupt nicht. Man muss es wohl als Zuschauer erst einmal akzeptieren, wie hier die gesamten Zusammenhänge sind. Die übernatürlichen Ereignisse in Shepzoy hören mit dem Fund des Wagens und dem Verschwinden von Lara und Gabriel, kurz nach dem Fund des Wagens, übrigens auf. Es vergeht eine Zeit des Friedens und der Freude. Ende? Nein!
Der Cliffhanger: Nathan erwacht eines Nachts, da er Stimmen aus dem Wohnzimmer hört. Er folgt diesen Stimmen und stößt dort auf eine Gruppe – vielleicht aus den 1920iger Jahren – die eine Geisterbeschwörung durchführen. Und den Geist, den sie riefen, ist Nathan. Denn sie haben eine Frage: “Why did you kill your wife?”. WTF?
Wie bitte was? Sind das die familiären Belastungen, von denen Laras Oma sprach? Welche Frau meinen die Geisterbeschwörer? Charlotte? Gabriels Mutter? Und hat Nathan wirklich eine seiner Frauen getötet? Das nenne ich mal einen Cliffhanger. Oder wie? Man bleibt mit offenem Munde vor dem Fernseher sitzen und starrt in den Raum. Und man fragt sich, was man gerade eigentlich gesehen hat?
Nichtsdestotrotz empfand ich die finale Episode als zu überfrachtet. Zumindest für uns Zuschauer, der kein Drehbuch vor sich liegen hatte. Die Schauspieler, allen voran Colin Morgan (Nathan), Charlotte Spencer (Charlotte) und auch Chloe Pirrie als Lara waren absolut überzeugend und toll anzuschauen. Vor allem Colin Morgen, der seinen immer verwirrteren Nathan Appleby hervorragend auf die Leinwand gezaubert hat. Durch deren Performance und deren Mimenspiel konnte man den Ereignissen der letzten Folge dennoch gut folgen ohne im Wirr und Warr der Szenerie vollkommen zu verschwinden und sich zu verlieren.
Leider störte die ganz andere Herangehensweise der finalen Folge für mich das ansonsten runde Bild der ersten Staffel. Der Bruch war für mich zu stark, was vor allem auch dadurch bekräftigt wurde, dass die restlichen Figuren der Serie in der finalen Folge so gut wie gar nicht mehr auftraten und eine Rolle spielten. Der Showdown wurde erreicht, der Rest muss nun etwas zur Seite gehen.
Die gesamte Geschichte hätte man auch anders und aus einem Guss erzählen können, aber hätte, hätte … haben die Autoren nun mal nicht und dafür wird es Gründe geben. Gründe, die wir wahrscheinlich erst in einer zweiten Staffel erfahren werden. Zumindest wäre dies meine Hoffnung. Aber die Spannung wäre so oder so weiterhin da.
Also werte BBC, planen sie mal schnell eine zweite Staffel, ich möchte gerne wissen, wie es weiter geht.
Ich fände es sehr sehr schade wenn diese Serie nicht weiterlaufen würde. Ich fand’s total spannend.
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