Was war das für ein grandioser Auftakt von „The Old Man“: Wie ich in meinen Reviews zur Auftaktfolge sowie zu den beiden Folgen II & III geschrieben habe, war die Serie mit Jeff Bridges auf dem besten Wege, sich als die beste Serie des Jahres für meinen Jahresrückblick zu qualifizieren. Doch nach Folge 3 riss der Faden, und ich weiß nicht, ob die extrem starken Eindrücke der drei Auftaktfolgen oder die Enttäuschung über die Entwicklung der letzten vier Folgen überwiegen. Vielleicht bin ich am Ende des Reviews schlauer.
Gucken wir nochmal auf den Start: Jeff Bridges spielt einen alternden, ehemaligen CIA-Agenten, der im Verborgenen lebt und eines Tages von Einsatzkräften in seinem Heimatort aufgeschreckt wird. Er entkommt den Agenten und ist ab sofort auf der Flucht. Zwischenzeitlich kommt er bei Zoe unter, einer alleinstehenden Frau, die sich dem von Jeff Bridges herausragend gespielten Dan Chase nicht erwehren kann. Chase flüchtet zusammen mit seinen Hunden und Zoe, bis es unausweichlich erscheint, dass er sich seinem ehemaligen Freund und heutigem Feind Faraz Hamzad stellen muss. Drumherum gibt’s noch eine Story mit Assistant Director Harold Harper, der Dan Chase seinerzeit in Afghanistan geholfen hat und jetzt ebenfalls Faraz Hamzad fürchtet, und mit Angela Adams, die von Harper unter dessen Fittiche genommen worden ist, deren Geheimnis Harper aber nicht kennt – sie ist Chase‘ Tochter.
In den ersten drei Folgen entwickeln die Autoren Jonathan E. Steinberg und Robert Levine zusammen mit Regisseur Jon Watts die Story praktisch mit Perfektion: Immer das richtige Tempo, die perfekte Kameraeinstellung, die stimmigen Dialoge, die schlüssige Handlung. Es macht unheimlich Spaß, Dan Chase kennenzulernen und auf seiner Flucht zu begleiten. Jonathan E. Steinberg und Robert Levine nehmen sich Zeit, die Charaktere zu entwickeln, schrecken vor langen Dialogen und Pausen nicht zurück, entwickeln ein ausgezeichnetes Stück Serienkultur. Denn von der ersten Sekunde an überzeugt die auffällige Optik der Serie. Regisseur Jon Watts und Chef-Cinematographer Sean Porter leisten hier ganze Arbeit.
Ein paar Beispiele: Watts und Porter bleiben minutenlang aus einer festen Perspektive auf dem im Dunkeln liegenden Bett von Dan Chase, erkennbar sind nur das Display des Digitalweckers und das Licht im Bad. Auch nach dem letzten Aufwachen von Chase geht’s gemächlich zu: Gefühlt schlurfen wir zusammen mit Chase durchs Haus, machen uns einen Kaffee, telefonieren mit Chase‘ Tochter – nichts Aufregendes. Doch dann wird er enttarnt: Ein Wettlauf beginnt, und wir befinden uns schnell mitten im rasanten Geschehen, wenn wir sehen, was der immerhin über 70 Jahre alte Chase (und damit auch Jeff Bridges) noch zu leisten imstande ist. Gefühlte Ewigkeiten bleibt Sean Porter mit seiner Kamera wieder auf Chase, zeigt ausführlich den Kampf mit den beiden Agenten. Ein toller Kontrast: Erst lassen es Jon Watts (der die drei letzten Spider-Man-Filme inszeniert hat) und Sean Porter ganz gemütlich angehen, um dann gegen unsere Erwartungen mächtig Tempo zu machen und die Story explosionsartig durchstarten zu lassen. Das geht auch in den Episoden 2 und 3 so weiter. Highlights sind das Abendessen zwischen Chase und Zoe, oder auch die Polizeikontrolle nach dem Essen oder der Kampf mit dem Auftragskiller am Ende von Folge 3. Hier gibt’s einen exzellenten Moment von Regisseur Greg Yaitanes, der Zoe im Auto zeigt, derweil wir im Hintergrund Zoes Haus sehen. Erst sehen wir ganz unscharf nur Chase durchs Haus laufen, auf einmal taucht da aber ein zweiter Mann auf. Erkennen können wir ihn nicht, bis uns Zoe mitnimmt, zu ihrem Haus und wir mit ihr durchs Fenster blicken. Blitzschnell befinden wir uns selbst mitten im Kampf – stark gemacht.
Dann kommt Folge 4, und ab da geht es aus unerklärlichen Gründen mit der Serie bergab. Dan Chase, bisher klar, logisch und unbeugsam in seinen Handlungen, trifft mitunter merkwürdige Entscheidungen, Zoe wird viel zu viel Raum und Einfluss auf Chase eingeräumt, dazu entwickelt sich eine Art Melodram zwischen Harper und Angela Adams, der er auf die Schliche kommt und ab da in einer Zwickmühle steckt, wie er sich verhalten soll. Diese Elemente und diese Entwicklungen fühlen sich an wie Fremdkörper in der sonst so makellosen Serie. Es wirkt so, als hätten die Showrunner auf halber Strecke gemerkt, dass sie sich mit der Handlung so langsam sputen müssen, denn die Staffel hat ja auch nur sieben Folgen, da muss man noch etwas liefern.
Jetzt wirkt alles ziemlich konstruiert, nicht wirklich glaubhaft und wenig nachvollziehbar. Tiefpunkte sind die Momente mit Harper und Angela auf dem Flug und auf dem verlassenen Flugplatz, oder auch die Fahrt von Harper und Chase in der Kolonne auf dem Weg zum Flughafen. Wie die beiden dann mal eben ihre Begleiter / Verfolger abschütteln, ist dann nur noch magere Seriendurchschnittskost – sehr schade, die Serie hätte da wesentlich mehr verdient gehabt. Umso überraschender fällt’s dann am Ende, dass die Story mit Folge 7 gar nicht zu Ende erzählt wird. Wir bekommen einen Cliffhanger serviert, der den Weg für eine zweite Staffel von „The Old Man“ bereitet. Damit erschließt sich mir die Hast und der Wandel nach der Hälfte noch weniger. Man hätte das in Ruhe weiter erzählen sollen, oder einfach noch drei Folgen dazunehmen können, um ausreichend Raum für eine weitere hohe Erzählqualität zu haben.
Zur Ehrenrettung der Serie muss der Abschluss der siebten Folge erwähnt werden, der dann wieder ganz im Stil des Anfangs gestaltet wird. Wir sehen in der Rückblende den schlafenden Faraz Hamzad, und nach einem Schnitt ist aus dem jungen Anführer ein alter Mann in der Jetzt-Zeit der Serie geworden. Der große Faraz Hamzad, vor dem während der Serie alle Angst haben, entpuppt sich am Ende als alter, kranker Mann, der Hilfe beim Verlassen des Betts und beim Ankleiden braucht, und der nun wirklich alles andere als furchteinflössend ist. Das ist nochmal toll erzählt, weil sich Jonathan E. Steinberg und Robert Levine Zeit nehmen, den Charakter des heutigen Hamzad ganz in Ruhe zu zeichnen. Und sie decken ganz nebenbei auf, dass Angela auch nicht Chase‘ Tochter ist, sondern die von Hamzad. Der Moment am Ende, wenn Hamzad aus dem Off von seinen Beweggründen erzählt, warum er all die Jahre überlebt hat, und wie er reagiert, wenn Angela bei ihm in Afghanistan ankommt, ist ziemlich stark inszeniert. Ein etwas versöhnliches Ende für eine insgesamt durchwachsene Staffel. Und um noch einmal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen – ich fürchte fast, dass die Enttäuschung über die Entwicklung ab Folge 4 gegenüber dem starken Start überwiegt. Der sorgt aber immerhin dafür, dass „The Old Man“ wenigstens noch diese Wertung bekommt:
Bilder: FX
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