210 Tage sind seit dem Serienfinale von „The Walking Dead“ verstrichen und ich verspüre noch nicht wirklich den Drang, mehr von dieser nicht nur aus- sondern über-erzählten Geschichte zu sehen. Aber hey, weil die Dynamik zwischen Maggie und Negan als derart gehaltvoll und brenzlig angesehen wird, hat man den beiden kurzerhand eine eigene Spin-off-Exkurs-Staffel vermacht (Trailer). Die erste Folge von „The Walking Dead: Dead City“ lief in der Nacht zu heute und ich habe dann doch aus Review-Zwecken „eingeschaltet“. Noch gibt es die Serie lediglich über die US-Plattform AMC+ zu sehen, noch immer ist unklar, ab wann und wo die Miniserie in Deutschland zu sehen sein wird. Über kurz oder lang dürften die Folgen aller Voraussicht nach bei Disney+ aufschlagen.
Kleiner Zeitsprung, alte Wunden
Dachte ich bislang, „Dead City“ würde mehr oder minder nahtlos an die zuletzt gesehenen Maggie und Negan betreffenden Ereignisse in „The Walking Dead“ anknüpfen, werde ich eines Besseren belehrt. Tatsächlich haben wir es mit einem Zeitsprung über einige Jahre zu tun. Star der Serie ist zudem – wie der Titel erahnen lässt – nicht etwa das Duo, sondern die Stadt. Das postapokalyptische New York City zu sehen zu bekommen, hat schon was! Das Intro ist ebenfalls ziemlich cool geraten, auch wenn das kurz gezeigte Reh traumatische Erinnerungen an das CGI-Tier aus der Mutterserie in mir hervorruft.
Die komplette Motivation hinter der Haupthandlung und den Besuch Manhattans liegt jedoch in der Verzweiflung Maggies, die auf der Suche nach dem entführten Hershel ist. Ein intensiver Ausrast-Moment zu Beginn soll direkt demonstrieren, wie emotional angeschlagen Maggie sie ist, später folgen Albtraum-Sequenzen aus dem berüchtigten Lucille-Massaker von damals.
Für Maggies Einführung nimmt man sich erstaunlich viel Zeit. Leider fokussiert man sich auf den Verzweiflungs-Aspekt, da fehlt mir der emotionale Zugang zur Figur. Allgemein hat Maggies Charakter meiner Meinung nach über die letzten Staffeln von „The Walking Dead“ zu leiden gehabt, wirkte sie doch oftmals als eher nerviger Führungsposten, vor allem im Vergleich zu früheren Seasons. Hier wirkt alles nochmal sturrer, was selbstredend mit der panischen Suche nach dem eigenen Sohn zu erklären ist, aber dennoch Anknüpfungspunkte missen lässt. Dass Maggie nicht „Walker“ als Begriff für die Untoten nutzt, sondern „Chompers“ sagt, stimmt mich zudem irgendwie traurig. Und spricht sie mit einem verstärkten Dialekt?! Ach ja, und die erste Kampfszene mit der belockten Dame, die sich selbst das Messer in die Hand rammt, war zumindest mal holprig inszeniert.
Here’s Negan
„God damn – for a wanted man, I look good! Can I keep this?“ (Negan)
Negan hat keinen wirklich besonderen Auftritt erhalten. Das letztliche Aufeinandertreffen der beiden ist… seltsam. Vor allem wirkt es, als seien sie deutlich weiter entfernt als zum Ende von „The Walking Dead“ und wühlen gefühlt alles Alte nochmals durch. Da dachte ich, Maggie wäre in der Bewältigung der traumatischen Ereignisse von damals bereits deutlich weiter. Vor allem, weil die beiden angeben, in den Zeitsprung-Jahren bereits miteinander zu tun gehabt zu haben. Das fühlt sich an, als wolle man im Sinne der Charakter(beziehungs)-Entwicklung bewusst nochmal die Ausgangs-Basis extremisieren.
„I do believe, I’ve paid for what I’ve done.“ (Negan)
Die alten Taten jagen Negan aber auch in Form von Marshalls, die ihn deswegen hingerichtet sehen möchten und aus der neuen Hauptstadt „New Babylon“ stammen. Auf seiner Flucht hat Negan die schweigsame Ginny dabei. Wir merken: Viel altes Trauma, was als Grundlage dient, um die Hauptfiguren möglichst schnell zusammen zu führen.
Einer fehlt noch. Weshalb Maggie nun doch (erneut) mit Negan zusammenarbeiten möchte, liegt in der Tatsache begründet, dass Hershels Entführer sich mit dem Trademark-Pfeifmuster Negans angekündigt hatte.
„Let’s just say there were a lot of psychos in my crew back then but he always stood out for being an exceptional insane son of a bitch.“ (Negan)
Atmosphärischer Ausflug in die Stadt
Nachdem die etwas arg zurechtgebogene Basis gegeben ist, geht es für das Duo (plus einen spontan in Geiselhaft genommenen Junior Marshall) dann nach Manhattan. Interessant ist der Aspekt, dass Negan Maggie bittet, sich um Ginny zu kümmern, sollte ihm etwas zustoßen. Allgemein wird Negan mehrfach als sich sorgende Vaterfigur dargestellt, zudem zeugt diese Aussage auch von seiner Realitätswahrnehmung. Der alte Savior-Anführer Negan hätte wohl selbstbewusst und lautstark die Stadt betreten, ohne auch nur einen Gedanken an die Chance einer Niederlage oder gar eines Ablebens zu verschwenden. Bei ihm wird uns Charakterntwicklung suggeriert (auch zum Beispiel mit der alten Geschichte des geplanten Ausfluges zur Freiheitsstatue), was die rückläufig wirkende Darbietung Maggies um so unverständlicher wirken lässt.
Die ersten Sequenzen in Manhattan sind durchaus stark dargestellt. Vom Himmel fallende Walker, brennende Gebäude, auf Wände geschriebene Aufrufe – da war schon viel Schönes dabei, gepaart mit einer atmosphärischen Nacht-Inszenierung.
Aber nicht alles war gut. Wieso Maggie über diesen Riesenhaufen an Ästen und Druck hätte laufen sollen, statt einfach drumherum zu gehen, wie jede normale Person (und erst recht eine erfahrene Überlebens-Expertin), hat sich mir nicht ergeben. Das war eine extrem plumpe Falle. Nach der Kakerlaken-Szene wird eine Herde an Walkern durch Schüsse bereinigt. Dabei verstehe ich nicht ganz, wie die Schüsse von hinter der Herde erfolgen, aber als erstes einige der vorderen, zu unserem Trio stehenden, Walkern getroffen werden. Mal ganz davon abgesehen, wie schnell die beiden Walker die drei ausfindig gemacht haben.
Der Moment, in dem Marshall Perlie sich an Maggie richtet, war dagegen recht reichhaltig. Dass die Szene mit einem Walker, der eine Ratte im Mund hat, beendet wird, wirkte etwas random. Zumal ich immer hasse, dass Walker stets laute Geräusche von sich geben, außer, es passt gerade ins Schema, dass sie sich anschleichen, um irgendwen zu überraschen. Und dieses Mal ist es dann egal, dass der Junior-Marshall in der Schusslinie steht… Wichtig für die kommenden Folgen dürfte jedenfalls noch sein, dass Maggie und Negan so letztlich in die Hände einer mysteriösen Frau gespült werden, die zuvor noch das Walker-Himmelskommando vom Dach aus beobachtet hatte.
Abgeschlossen wir die Einführung dann mit der finalen Szene. Teenager-Hershel zeigt, wie viele Jahre in etwa vergangen sind und wie tough der einst kindlich-freudige Junge geworden ist (sie werden so schnell erwachsen…!). Und dann muss natürlich noch der obligatorische Bösewicht folgen, um das wiederholte alte TWD-Schema zu bedienen. Dass der Croat bereits mit Negan zu Savior-Zeiten zu tun hatte, merkt man auch an seinem vernarbten Ohr, das aus einer Bügeleisen-Bestrafung herrühren dürfte, die auch Dwight einst erhalten hat. Doch wirklich bekannt ist uns das Gesicht glaube ich nicht. Die Verbindung zu Negan wird also leider im Nachgang hergestellt. Sehr gerne hätte ich hier einen Charakter zu sehen bekommen, den man bereits vor Jahren (wenn auch nur kurz) zu sehen bekommen hat.
Um zu zeigen, was für ein ruchloser Badass der neue Böse doch ist, bekommen wir zu sehen, wie er eine spaßige Zipline-Fahrt einfach so abkappt. Ich verzichte jetzt mal auf physikalische Berechnungen, ob das Stahlseil wirklich derart praktisch auf diese Tiefe hätte sinken können…
Das war insgesamt gesehen ein solider Auftakt, der besser als meine eher niedrigen Erwartungen war aber auch nicht mit wirklichen Überraschungen und neuen Elementen hat aufwarten können. Dass man bei der inhaltlichen Nähe zur Hauptserie keine komplett neue Inszenierungs-Muster zu sehen bekommen würde, war klar, aber das fühlt sich halt extrem nach einem typischen Erzähl-Exkurs an. Die gab es auch so schon immer mal, jetzt sind es halt sechs am Stück. Ist ja auch in Ordnung, aber wie eingangs erwähnt, hätte es nach meinem Dafürhalten inhaltlich jetzt nicht unbedingt weitere Folgen gebraucht.
Positiv hervorzuheben ist die Cinematography, die mit einigen nett anzuschauenden Einstellungen aufwarten kann. Das große und dicht bebaute Manhattan bietet einen formidablen Schauplatz, der hoffentlich weiterhin derart atmosphärisch angegangen wird. Auch waren die Effekte und das Make-up soweit in Ordnung bis gut (ist ja nicht so, als hätte man nicht bereits Schlimmeres zu sehen bekommen…). Das sind Aspekte, in denen man eine gewisse Weiterentwicklung oder auch Unterscheidung zur Hauptserie deuten könnte. Jeffrey Dean Morgan sehe ich eh immer gerne in der Rolle des Negan, bei Lauren Cohan hat bei mir persönlich die Vorfreude wie bereits angedeutet in den letzten Jahren abgenommen, was aber nicht an ihrer schauspielerischen Leistung sondern dem Nerv-Faktor ihrer Figur liegt, den das Drehbuch vorgibt. Mit Gaius Charles als Marshall Perlie Armstrong sowie Zeljko Ivanek als The Croat gibt es charakterstarken Zuwachs, der bislang einen guten Eindruck hat hinterlassen können (auch wenn beide noch recht eintönig erscheinen und vor allem The Croat wie die typische Bösewicht-Kopie wirkt, die wir nun x-fach in „The Walking Dead“ zu sehen bekommen haben.
Ich sag es mal so: Als ich mir vornahm, diese Folge zu rezensieren, nahm ich an, dass das ein enttäuschter „Habe ich es mir doch gedacht!“-Verriss wird und ich gar nicht erst weiterschauen werde. Diese Dreiviertelstunde (und die Tatsache, dass es ja auch nur noch fünf weitere Episoden sind…) hat mich dann aber zumindest leicht umdenken lassen. Vielleicht gebe ich mir die doch noch für meinen Vervollständigungs-Seelenfrieden und ganz vielleicht gibt es dann auch ein noch ein Staffel- bzw. Serienreview hier von mir. Mal schauen. Dass ich jetzt aber hellauf begeistert und mit neu entfachter Vorfreude Woche für Woche die neuen Folgen aufsaugen (und sogar weitere Einzelfolgen-Reviews verfassen werde), ist leider nicht eingetroffen. Aber man kann nicht alles haben. Erfreuen wir uns einfach mal an den kleinen Dingen. Immerhin hat man es nicht komplett verkackt. Bislang zumindest.
Bilder: AMC
Macht denn wenigstens jemand was Unsinniges, „weil er es tun muss“, um in der TWD-Tradition zu bleiben? :-D
Haha, ne, zumindest nicht in der Form ausgesprochen. Aber was nicht ist, … ;)
„Nicht mal gegen Geld würde ich noch mal eine TWD-Serie anfangen.“ sollte ich eigentlich schreiben.
Was die Producer da in den letzten 7-9 Staffeln verzapft haben, war wirklich schwer zu ertragen. Klar, ich hätte aufhören sollen(/müssen), aber man hat ja mal angefangen und will das Finale sehen. Wirklich schade, dass da nicht alle gestorben sind.
Denn jetzt kommt dieser erwähnte „Vervollständigungs-Seelenfrieden“-Wahn zum Tragen…
Ich warte mal ab, aber das Review liest sich bereits wieder wie bei der normalen Serie.
Zombies sind mal anfällig für Töne, mal nich, konnten am Ende ja sogar klettern etc., jetzt wohl wieder nicht, das Verhältnis von Negan/Maggie ändert sich minütlich (aber nicht über die Jahre), der Feind bleibt irgendein austauschbarer 0815-Dude, irgendwer macht auch nach drölf Jahren noch unfassbar dumme Anfängerfehler usw…
Wenns bei wirklich nur 6 Folgen bleibt, dann… Man sieht sich im Serien-Review.
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