„Schaffe, schaffe, Häusle baue“, „Trautes Heim, Glück allein“, der Traum der eigenen vier Wände. Wer hat ihn nicht? Endlich raus aus der Stadt, rein in die idyllische Vorstadt in ein wahres Traumhaus! Mit interessanten Nachbarn, die sich gleich für dich interessieren und dich kennenlernen wollen! Nicht mehr nur eine anonyme Nummer sein. Hach, das wär es doch! Wer die Serie „American Horror Story“ liebt und deren Schöpfer Ryan Murphy kennt, der ahnt es schon: der Schuss kann auch sehr leicht nach hinten losgehen. Nachdem ich noch von keinem seiner Projekte enttäuscht wurde und auch eingeschworener Fan der „AHS“ bin, freute ich mich auch entsprechend auf sein neues Projekt „The Watcher“, das seit dem 13. Oktober via Netflix gestreamt werden kann. Anders als in „AHS“ geht es nicht vordergründig um Horror, sondern um die latente Beklemmung durch, wie es der Titel bereits besagt, einen „Watcher“, der den Traum vom Eigenheim zu einem Alptraum werden lässt. Unser stiller Beobachter kennt die jeweiligen Bewohner von Boulevard 657 ganz genau, samt ihren Eigenheiten und Geheimnissen, was er sie durch seine Briefe an sie wissen lässt. Wer, Was, wie und von wem hier nun so beobachtet wird, werde ich in meiner Review beschreiben. Zuerst möchte ich die Hauptdarsteller vorstellen, allen voran natürlich die Familie Brannock, gebildet von Nora (Naomi Watts) und Dean (Bobby Cannavale) sowie deren Kindern Ellie und Carter.
Besagte Familie Brannock zieht von der Metropole New York in den beschaulichen Vorort Westfield im Staate New Jersey. Allerdings nicht in irgendein unscheinbares Häuschen oder gar eine Mietwohnung. Nein, in einen feudalen Prunkbau, eine geräumige Luxusvilla für über 3 Millionen Dollar Kaufpreis, die schon über 100 Jahre hier steht, etliche Bewunderer hat und völlig zu Recht eines der Schmuckstücke der Ortschaft darstellt: Boulevard 657. Vater Dean hat einen gut bezahlten Job und auch die Aussicht, dort einer der Partner zu werden, was seine finanzielle Situation noch weiter verbessern sollte. Mutter Nora ist eine wohl begabte Künstlerin, schafft Vasen und andere Kunstobjekte, wovon sie aber noch nicht leben kann. Tochter Ellie, mit 16 Jahren natürlich schon vollkommen erwachsen, weiß ganz genau, was sie will, worin sie gut aussieht und zeigt das auch gern. Natürlich kommt ihr Vater nur schwer damit klar, dass seine Tochter nun kein kleines Kind mehr ist, sondern eine (fast) erwachsene Frau (Stichworte: BH-Träger, die hervorblitzen, Lippenstift!). Sohn Carter gibt sich weitgehend unauffällig, bis auf sein Haustier, ein Frettchen, das frei im Haus laufen darf (Anmerkung: Wer diese Tierchen kennt, der weiß wie sie stinken!). So weit, so idyllisch, wenn es da nicht die entsprechend auffälligen Nachbarn gäbe. Als da wären:
Pearl Winslow (Mia Farrow) und ihr Bruder Jasper, der anfangs noch als etwas ‚zurückgeblieben‘ vor- und dargestellt wird. Beide haben sicherlich den einen oder anderen Spleen, was sich noch zeigen wird. So achtet Jasper weder Grundstücksgrenzen noch fremdes Eigentum und macht noch in Folge 1 Bekanntschaft mit Dean. Jasper taucht plötzlich in deren Speiseaufzug auf und erschreckt Dean zu Tode. Dieser dreht gleich voll durch, wirft ihn raus und droht damit „ihm die Fresse zu polieren“ wenn er sich noch einmal im Hause blicken lässt. Kein guter Start für eine gute Nachbarschaft. Natürlich wird es auch nicht dadurch verbessert, dass Pearl von Dean im Zorn gleich abwertend mit ‚Professor McGonnagall‘ angesprochen wird. Zumindest erfahren wir als Zuschauer bereits von Deans recht aufbrausender Art. Doch zurück zu Pearl und Jasper: diese bewohnen ihr Elternhaus und Pearl ist auch sehr stolz darauf, dass dort seit den 1940er Jahren keine Veränderungen durchgeführt wurden. Sie kennt nicht nur alle Gebäude in ihrer Nachbarschaft, sondern auch die dortige Flora und Fauna wie ihre Westentasche, so auch eine fast 100jährige Seidenraupen-Eiche auf dem Grundstück der Brannocks, die natürlich keinesfalls jemals gefällt werden dürfte. Nach Deans Zornausbruch reagiert sie relativ kühl und verspricht ihm, dass sie ihn im Auge behalten wird. Ein erster Hinweis auf einen „Watcher“? Wir werden sehen. Es gibt ja noch andere Nachbarn.
Zum Beispiel Maureen „Big Mo“ und ihr Mann Mitch. Beide kleiden sich gern ähnlich, Spitznamen wie „die Jogginganzug-Zwillinge“ kursieren wohl auch aus diesem Grund. Ich hatte, aus welchem Grund auch immer, irgendwie sofort die Familie Ochmonek (Trevor und Raquel), vielen vielleicht noch bestens bekannt aus „Alf“, im Kopf, als ich beide zum ersten Mal auf der Mattscheibe sah. Ungeachtet der Optik hatten beide wohl sehr gut bezahlte Jobs, denn zusätzlich zu ihrem nicht wirklich bescheidenen Anwesen in Westfield besitzen sie noch eine Sommerresidenz in Florida, welche des Öfteren Erwähnung findet. Man könnte es vielleicht auch Prahlerei nennen, sollte man das wollen. „Big Mo“ hat ein recht loses Mundwerk und nimmt kein Blatt vor den Mund, unflätige Wörter dagegen gerne häufiger in denselben. Beide haben noch einen etwas missratenen Sohn, Christopher, der später auch noch eine Rolle spielen wird, da er mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Beim Thema Gesetz muss natürlich dessen Vertretung Detective Chamberland erwähnt werden.
Detective Rourke Chamberland stellt wohl in Personalunion das wichtigste Polizeiorgan im Westfield Police Department dar. Zumindest ist er stets der ranghöchste Entscheidungsträger, wenn es um Recht und Gesetz in seiner „Hood“ geht. Er wird entsprechend oft auch von Dean und Nora konsultiert, als unerklärliche Ereignisse in ihrem Anwesen auftreten. Rourke verfügt über einen eigenwilligen, sehr trockenen Humor. Dieser zeigt sich auch, als Carter sein Frettchen tot im Haus auffindet. Rourke vermutet, das Tier könnte „vielleicht versehentlich gegen die Wand gelaufen“ und somit selbst für sein Ableben verantwortlich sein. Beliebt macht man sich so nicht, auch nicht dadurch, dass wohl grundsätzlich keine Spuren vom Eindringen fremder Personen gefunden werden. Aber ungewollte Ratschläge, wie in einem solch großen Anwesen ein passender Man-Cave ausgestattet sein muss (mit Billardtisch und riesigem TV) gibt er immerhin gratis!
Wenn wir schon bei Recht und Ordnung sind, wäre da noch Dakota anzuführen, der 19jährige Chef und einziger Mitarbeiter der Security Firma „VSS Vanguard Security Solutions“. Er wird von Dean damit beauftragt, ein anständiges Sicherheitssystem mit mindestens 10 Kameras zu installieren. Dabei fällt ihm natürlich dessen Tochter, die hübsche Ellie auf, die auch durchaus auffällig mit ihm flirtet. Dieser Flirt zieht sich durch die Serie, allerdings wird Dakota tatsächlich noch zu einer hilfreichen Unterstützung für Dean im „Watcher-Fall“.
Nachdem die örtliche Polizei zu wenig Anhaltspunkte für eine Verfolgung des „Watchers“ hat, tritt Privatdetektivin Theodora Birch, die auf Empfehlung von Detective Chamberland engagiert wird, auf den Plan. Sie ist alleinerziehende Mutter, die True Crime liebt und für ihr Leben gerne Rätsel löst, allerdings währt eben dieses aufgrund einer fortschreitenden Krebeserkrankung nicht mehr sehr lange. Stets in ihrem ganz eigenen, sehr passenden Stil gekleidet, liefert Theodora zuverlässig viele Puzzleteilchen, die zur Aufklärung der Identität des ominösen „Watchers“ beitragen sollten. Sie macht zur Aufklärung des Falls auch von Methoden Gebrauch, die rechtlich eher „Grauzonen“ zuzuordnen sind, wie z.B. des „Sniffings“, womit sich einer ihren Bekannten Zugang zu den elektronisch gespeicherten Daten eines Verdächtigen verschafft.
Auch Maklerin Karen Calhoun, eine ehemalige Schulkameradin von Nora, muss hier noch erwähnt werden. Die Schauspielerin Jennifer Coolidge bietet sicher für einige Zuschauer einen hohen Wiedererkennungswert als „Stiflers Mum“ in „American Pie“. Durch diese Rolle wurde sie zum Star und darf hier auch wortgewaltig und laut polternd in der Serie mitwirken. Anfangs scheint es, als würde sie für Nora eine wertvolle Rolle bei der gewünschten „Eingliederung“ in die Vorstadt-Nachbarschaft spielen, führt Karen sie doch im hiesigen Country Club ein und hat ständig Ratschläge parat. Allerdings dauert es nicht lange und schon drehen sich die meisten ihrer Ideen, Tipps und Ratschläge nur noch um den Verkauf des Hauses weit unter Wert und darum, wie dämlich sich Noras Ehemann Dean doch benimmt – und das mit einem stets belehrenden Tonfall, auf besserwisserische Art und mit oft ordinärem Vokabular.
Nach nur kurzer Zeit der Eingewöhnung an die neue Lebenssituation samt der eingangs geschilderten, schillernd-bunten, aufregenden Nachbarn erreicht die Brannocks auch schon das erste Schreiben des titelgebenden „Watchers“. „Boulevard 657 ist froh, dass sie hier sind“. Ein eigentlich harmloser Brief, wenn der Tonfall nicht um einiges bedrohlicher werden würde und nicht noch weitere Briefe mit absolutem Insiderwissen kommen würden:
„Ich bin der Watcher und ich habe schon seit fast zwei Jahrzehnten die Kontrolle über Boulevard 657. Boulevard 657 ist mein Job, mein Leben, meine Obsession.
Willkommen im Produkt Ihrer Gier. Gier war es, die die letzten drei Familien zu Boulevard 657 führte und jetzt hat sie auch Sie zu mir geführt. Willkommen.“
Details und Klischees, die zum Vorstadtleben gehören, wie der lange Zeit selbstverständliche Kfz-Saubermann in Gestalt eines Toyota Prius sind natürlich auch mehr als ausreichend vorhanden. So ähnelt Darren, der Chef von Karen, optisch eher einem Model als einem regionalen Immobilienmakler. Auch nicht fehlen dürfen Gerüchte über angebliche Mitglieder eines Blutkultes, der das Blut von kleinen Kindern trinkt, um ewige Jugend oder was weiß ich was dadurch zu erreichen. Obligatorische Anrufe, die statt eines Gesprächs nur ein Rauschen vernehmen lassen, kapuzentragende Phantome, die man in und um das Anwesen der Brannocks herum nur kurz auftauchen sieht oder eben der eine oder andere Geheimgang, der wohl noch aus Zeiten der Prohibition stammt und bei dem total offen bleibt, wo dieser welche Ein- und Ausgänge hat.
Humor, teils auch vielleicht etwas unfreiwillig, kommt nicht zu kurz, spätestens wenn Pearl etwas kindgerecht, nach dem Motto „Reim dich oder ich fress dich“ reimt:
„Ein Fräulein, das sich leicht erschreckt, hat Geheimnisse, die es hält bedeckt.“
Ich vergebe für „The Watcher“:
Ich fand die Serie tatsächlich durchgängig spannend und freute mich über die immer wieder auftretenden Irrungen und Wirrungen, die zum Miträtseln anlegten. Hatte man gerade einen der Nachbarn oder allgemein eine handelnde Person als mutmaßlichen „Watcher“ erkannt, so brachte spätestens die nächste Folge eine erneute Wendung und lieferte Fakten, warum es gerade die-/derjenige überhaupt gar nicht sein kann. Die Charakterzeichnung der Darsteller war ebenfalls gelungen und authentisch. Vom aufbrausenden Dean, der erst handelt und dann denkt bis über die etwas „verhuscht“ wirkende Pearl, der man durchaus die Mitgliedschaft in einer ‚Geheimgesellschaft zur Erhaltung der ursprünglichen Zustände in Westfield‘ (oder so etwas Ähnliches) zutrauen könnte, über die durchtriebene Maklerin Kate, die nur selten im Interesse ihrer Kunden handelt bis zum Vertreter von (seinem) Recht und Gesetz, Detective Chamberland sind alle Rollen wirklich gut besetzt und die Schauspieler agieren glaubwürdig.
Jeder kann sich sehr gut vorstellen, wie es für die Bewohner eines Hauses sein muss, wenn es eine unbekannte Person schafft, diese Sicherheit, die diese „eigenen vier Wände“ für deren Besitzer vorgaukeln, zu durchbrechen, zu penetrieren. Menschen brauchen die Zuverlässigkeit, die Garantie, dass durch abgesperrte Türen, vorgeschobene Riegel, geschlossene Fenster und aktivierte Alarmanlage garantiert werden kann, dass wirklich nur die Mitglieder der eigenen Familie im Haus angetroffen werden können. Unerwünschte Besucher müssen dauerhaft und zuverlässig ausgeschlossen bleiben, nur dann stellt sich das Sicherheitsgefühl ein, worauf wir Menschen schon angewiesen sind, seit wir seinerzeit in Steinzeithöhlen – bildhaft vorgestellt – einen dicken Felsen vor den Höhleneingang geschoben haben um ein Eindringen von (Fress-) Feinden zu verhindern. Ist diese geschützte Höhle, die menschliche Behausung, plötzlich offen für beliebige Eindringlinge, dann wurde so eine permanente Bedrohung für die Bewohner geschaffen, deren Intensität in der Theorie nur schwer vermittelbar ist. „The Watcher“ schafft es mit der entsprechenden Bildsprache, diese Bedrohung eindringlich zu vermitteln, man kann verstehen, weswegen die Nerven von Dean, Nora und anderen Betroffenen in ähnlicher Lage, brachliegen.
Schade, dass die Serie nur sieben Folgen hat und es, folgt man den Internetquellen, wohl keine zweite Staffel geben wird, da die Serie von vorneherein als Miniserie konzeptuiert wurde.
Bilder: Netflix
Ich fand die Serie durchweg gut, wäre da nicht das in meinen Augen verhunzte Ende gewesen.
Spoiler:
Keine Aufklärung und nicht weiter verfolgte Handlungsstränge trüben für mich das Gesamtbild.
– wer war es denn nun?
– wer ist Bill (John) versteckt sich hinter der Couch, erzählt dem Lehrer am Ende das er ihn nicht kenne, obwohl der Lehrer das anscheinend doch tut? Lebt ihr im Tunnel auf dem Bett? …
– was ist aus der Geschichte mit dem Blutkult geworden
-…
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