Heute ist die zweite Hälfte der dritten Staffel von „The Witcher“ auf Netflix erschienen. Ich habe die Folgen Sechs bis Acht vorhin geschaut und möchte euch in diesem Spoiler-armen Review umschreiben, was gut und was schlecht an der Abschieds-Season von Henry Cavill als Witcher Geralt von Rivia ist. Leider geht es vor allem um das Schlechte, denn hatte ich vor dem Staffelstart noch ein Suchbild mit sechs Fehlern veröffentlicht, sind dann doch ein paar mehr in der eigentlichen Staffel zu finden.
Hm…
Man kann förmlich über die komplette Staffel hinweg spüren, wie Henry Cavill „Hm…“ denkt. Also klar, das tut seine dargestellte Figur des Geralt auch ständig, oftmals auch akustisch vernehmbar. Das dürfte dem aus der Serie ausgestiegenen Hauptdarsteller in die Karte spielen, kann er doch so eine finstere Miene am Set abliefern und gleichzeitig professionelle bleiben. Denn wieso Cavill mit dieser von ihm als Fan der Roman- und Gaming-Vorlage so geliebten Rolle aufhört, dürfte mit der dritten Staffel für alle ersichtlich werden.
„It is incredible how much my neutrality outrages everyone.“ (Geralt)
„The Witcher“ hat sich mehr und mehr von der in Staffel Eins noch so gut angekommenen Mischung entfernt. Dabei bietet die Fantasyserie eigentlich alles: Fantastische Action-Szenen, tolle Landschaften, exquisite Bildoptik, gute Schauspieler:innen, tolle Rollen und sogar vereinzelt gute Effekte (nebst einigen zum Kopfschütteln…). Aber letztlich zählt eben auch die Handlung und da hinkt das Drehbuch leider gewaltig, was um so schwerer wiegt, hat die Geschichte doch bereits mehrere Medien-Umsetzungen erfolgreich meistern können. Da ich weder die Spiele gespielt noch die zugrundeliegenden Romane gelesen habe, sind mir Abweichungen vom Basismaterial eigentlich egal, solange sie der Serie selbst dienen. Hier scheint man aber zu viel gewollt und einige Grundlagen vergessen zu haben.
Dabei meine ich nicht mal die technischen Sachen. Ja, hier und da sind die verkehrten Gesichtsbewegungen bei Over-Shoulder-Dialog-Einstellungen meiner Meinung nach zu sehr zu sehen, und weshalb man den Kult-Spruch „Everybody Has a Plan ‚til They Get Punched in the Face“ von Boxer Mike Tyson als Originaltitel für Folge Sechs in der Deutschen Version mit „Gut geplant ist halb gewonnen“ umstellen muss, schmerzt zumindest etwas. Mich stört aber vor allem die inhaltliche Inkonsequenz. Parteien trennen sich, um sich kurz darauf wieder verzweifelt zu suchen. Wie Personen es in gefühlter Windeseile von A nach B schaffen, ist irgendwann nicht mehr begreiflich, da Raum und Zeit kaum greifbar sind. Und magische Kräfte werden in ihrer Macht und Machtbrechnungs-Gewalt extrem willkürlich gelevelt, wie es gerade in die Geschichte passt. Wenn dann Kampf-erprobte und als souveräne Anführerinnen dargestellte Figuren mitten in einer Schlacht bedeutungsschwanger und hoffnungslos in die Luft gucken und aufzugeben scheinen, fragt man sich, wann denn endlich neues von der „Herr der Ringe“-Serie erscheint.
Das Pacing ist auch an vielen Stellen schrecklich ineffektiv. Eine Szene mit dem eigentlich vielversprechend aufgezogenen Feuer-Schnips-Charakter ist mir als Negativ-Beispiel im Gedächtnis geblieben, war die mit großem Potenzial versehene Szene schneller vorbei als sie gekommen war. Dieses überraschende Auftauchen einzelner Figuren ist eh so ein weitere Ding. Mal agieren Figuren komplett orientierungslos, um dann doch irgendwann immer jemanden zum richtigen Moment an der exakt richtigen Stelle zu haben. Das wirkt alles viel zu inszeniert. Als Jaskier in der zweiten Staffelhälfte plötzlich wie ein Tourist in ein Kriegsgebaut reinspaziert, bin ich fast vom Glauben abgefallen. Das größte Fiasko ist Folge Fünf. Die Episode will durch ein pseudo-cleveres mehrschichtiges Erzählmuster punkten, wirkt aber wie unnötig in die Länge gezogene Effekthascherei, die eine halbe Stunde versucht, eine unbesondere Entwicklung besonders aussehen zu lassen und dabei eigentlich nur mehrfach das Gleiche wiederholt. Uff!
„The Witcher“ ohne Witcher?!
Ein Problem, das bereits in Staffel Zwei in Ansätzen zu sehen war, ist die Behandlung von Geralt. Eigentlich ist er der Witcher, der der Serie ihren Titel gibt. Und doch mutiert er in dieser Staffel endgültig zu einer Art Maskottchen, das von der Seitenlinie zuschaut. Statt Monster zu bekämpfen muss er sich einem langweiligen Mutter-Vater-Kind-Spielchen anschließen oder auf einem Ball tanzen (was er erstaunlich souverän hinbekommen hat, dafür, dass er zehn Sekunden zuvor gefragt hat, was eine „Melange“ sei…). „The Witcher“ ohne Witcher ist halt… sinnlos. Entsprechend fehlen die besonderen Momente, die Staffel Eins so ausgemacht haben. Wie stark das sein kann, sieht man in der zweiten Staffelhälfte, wo Geralt seine eigenartige aber doch besondere Chemie mit Jaskier oder auch einer Bogenschützin zur Schau stellt. Auch geht viel Humor verloren, da er seltener seine Sicht der Dinge äußern kann. Da muss schon ein Steve-Buscemi-Verschnitt als König sein Schwert her“halten“, um zumindest für etwas Auflockerung zu sorgen.
„„You‘re not his friend. You‘re tagging along to get one more song out of him when he dies.“ – „How dare you! I would milk his death for like three songs. And maybe an epic poem.“ (Milva & Jaskier)“
Diese Staffel zeigt mal wieder auf, dass die Serie zu viele Figuren besitzt, der man gleichermaßen gerecht werden möchte. Das kann nicht funktionieren. So verpuffen leider etliche potenziell gehaltvolle Momente, weil man entweder nicht genug Zeit für die Inszenierung oder entsprechenden Vorlauf in der Herleitung einräumen kann. Es gibt sie, die emotionalen Momente, sogar welche, die im Ansatz an besondere Situationen in „Game of Thrones“ erinnern, aber es bleibt so ein „fast!“-Gefühl. Und eben wenig, das sich wirklich entfalten kann.
Eigentlich alles da…
Das klingt alles ziemlich vernichtend. So schlimm ist es dann auch wieder nicht. Ich musste mich nicht durch die Folgen kämpfen, es war insgesamt sogar kurzweilig. Aber in einigen Momenten der viel zu vielen (und teils wirklich unnötigen bis doofen) Dialoge bin ich dann doch gedanklich abgeschweift. Nur ein Mal gab es den „aktivierten Witcher-Modus“ zu sehen, allgemein spielte sich viele zunächst in der theoretischen Diplomatie-Ebene ab. Erst zum Ende hin konnte man mit Aktionen punkten und das Ruder wieder etwas herumreißen. Unter anderem auch mit etwas Abwechslung in einer Ciri-zentrierten Exkurs-Folge, die zumindest als besonders zu betiteln ist.
Extrem positiv möchte ich die Kämpfe hervorheben. Der große Showdown war bereits nett, allerdings kommen hier halt einige Erklärungsnöte auf, was die Logik anbelangt. Am besten hat mir zwei Kämpfe ganz zum Schluss gefallen, wobei vor allem einer in einer Bar, der eine neue Gruppe (und Spin-off-Serie!) eingeführt hat, im Gedächtnis bleibt. Davon gerne mehr! Das Ende selbst wirkte aber nicht wirklich zufriedenstellend.
Abschied von Henry Cavill
Es war schön, Henry Cavill nochmals in seiner Rolle als Geralt von Rivia zu sehen und sein „Hm..“ zu hören zu bekommen. Auffällig war, wie häufig sich im Laufe der Staffel Leute mit ihm verglichen haben. Dabei bleibt Geralt eben unerreicht. Kurz dachte ich, man hätte bereits den Wechsel von Cavill zu Liam Hemsworth inhaltlich eingeleitet, tatsächlich kam es dann aber nicht dazu. Ich bin gespannt, ob und wie man den äußerlichen Wandel zum Start von Staffel Vier handhaben wird. Immerhin hat Cavill seine Fähigkeiten noch einmal unter Beweis stellen können, was einen schönen Abschluss geliefert hat. Dennoch hatte ich mir eine bessere Abschiedsrunde für ihn erhofft. Danke jedenfalls für deinen Einsatz, Henry – an dir lag es mit Sicherheit nicht!
Ach, man… Die Staffel hat so viele tolle Elemente zu bieten, die einzeln betrachtet Potenzial für eine Vier- oder Viereinhalb-Kronen-Staffel sowie das Prädikat „Das neue ‚Game of Thrones'“ haben. Aber dann wäre da das Drehbuch, das etliches verpuffen lässt, unnötig verkompliziert oder Logikfragen aufkommen lässt. Von vermeintlichen Abweichungen zum Originalmaterial mal abgesehen (aber dazu kann ich persönlich nichts sagen).
Man beraubt sich selbst zunehmen den Stärken, die Staffel Eins ausgemacht haben. Die zweite Staffel war meiner Meinung nach bereits etwas schlechter, konnte aber noch ein gutes Niveau halten. Das Spin-off „Blood Origins“ habe ich gar nicht erst geschaut, weil mir etliche Leute davon abgeraten haben. So schlimm ist es mit Stafel Drei der Hauptserie mitnichten, aber es herrscht vor allem Ärgernis darüber, dass man aus dem Gegebenen nicht mehr gemacht hat. Und damit meine ich nicht noch mehr Figuren, Nebenhandlungen und Blödsinn in Sachen Inszenierung. Manchmal ist weniger halt doch mehr. Wir wollen doch alle einfach nur einem einsam umherschweifenden und Monster tötenden Witcher begleiten!
Ich möchte hier weder Review-Bombing noch Fanboying betreiben – die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo dazwischen. So haben wir es halt leider nur noch mit solider Serienunterhaltung im gehobenen Mittelmaß (teilweise sogar darunter) und der bislang schwächsten Staffel der Netflix-Serie zu tun, in der deutlich wird, weshalb Henry Cavill keine Lust mehr hat, die Hauptrolle zu spielen, die nur noch wie eine zurückgehaltene Nebenfigur wirkt. Das schmerzt im Fan-Herzen, da die Wahrscheinlichkeit, dass es nach ihm besser werden würde, nicht wirklich steigt.
In einigen (wenn auch nicht allen) Punkten kann ich Nerdrotic zustimmen, der einen unterhaltsamen Video-Rant zur ersten „Hälfte“ der Staffel veröffentlicht hat:
„The Witcher Season 3 is ABYSMAL soap opera CW trash.“
4. Staffel von „The Witcher“?
Wenig überraschend ist bereits klar, dass es eine vierte Staffel von „The Witcher“ auf Netflix geben wird. Noch ist nicht genau bekannt, wann diese erscheinen wird. Zunächst dürfte das Spin-off „The Witcher: Rats“ erscheinen, um die Wartezeit zu überbrücken, nehme ich an. Die neue Serie soll 2024 erscheinen. Bis dahin können wir uns mit dem Gedanken anfreunden, fortan Liam Hemsworth als Geralt von Rivia zu sehen zu bekommen. Und das Autor:innen-Team der Serie kann darüber nachdenken, ob sie nochmal so eine Staffel abliefen wollen. Denn die Aufrufzahlen und Kritiken zur dritten Staffel dürften Netflix nicht zufriedenstellen. Dafür ist die Produktion der einst vielversprechend gestarteten Serie viel zu kostspielig. „Toss a coin to your witcher“ ist nicht mehr, wie es aussieht…
Bilder: Netflix / Susie Allnutt
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