Ich stelle mir vor, wie es wohl war, als Jill Soloway feststellte, dass sich ihre Serie „Transparent“ nicht nur etabliert hatte, sondern echten Erfolg hatte und gesellschaftlich einiges bewegte. Mit zahlreichen Emmys und Golden Globes bedacht, war es offensichtlich eine leichte Entscheidung für Amazon, der Serie um die Transgender-Figur Morton / Maura Pfefferman und seine Familie, die regelmäßig in beziehungstechnische, tiefe emotionale und religiöse Konflikte gerät, eine fünfte Staffel zu spendieren. Dann kamen erste Gerüchte um Maura-Darsteller Jeffrey Tambor auf, der Kolleginnen am Set belästigt haben soll. Bestritten hat er das die ganze Zeit, doch als Konsequenz wurde er aus der Serie entfernt – was Jill Soloway als Erfinderin von „Transparent“ vor erhebliche Probleme gestellt haben dürfte. Wie sollte sie die Serie fortführen oder zu Ende bringen ohne die Hauptfigur?
Sie entschied sich gegen eine komplette Staffel mit zehn Folgen und für einen Abschlussfilm mit 100 Minuten Länge, dem sie zudem den Titel „Musicale Finale“ gab. Reflexartig denkt man an eine revueartige Abschiedszeremonie für diese Serie im Musical-Stil, und zumindest das ‚e‘ am Ende von ‚Musical‘ ließ die weitere Deutung zu, das es auch ’nur‘ eine sehr musikalisch geprägte Abschlussrunde sein könnte. Warum sollte es unbedingt ein Musical zum Abschluss sein? Diese Frage stellen sich sicher viele, doch meiner Meinung nach stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Stilform hier genausowenig wie bei den vielen Musicals, die erfolgreich überall auf der Welt laufen. Es gibt einen Stoff, der erzählt werden soll, und der Schöpfer des Stoffes entscheidet sich dazu, diesen musicalartig in Szene zu setzen. Aus der Seriengeschichte kennt man das Prinzip natürlich – nicht selten tauchen gerade bei langlebigen Serien zwischendurch Musicalfolgen auf – um es einfach mal zu machen oder so eine Folge in den 100+x Folgen platziert zu haben, oder um der Serie so neue Aufmerksamkeit und neuen Schwung zu geben. Man denke nur an die ebenso skurrile wie geniale „Scrubs“-Musical-Folge… hier scheint aber beides nicht ausschlaggebend gewesen zu sein.
Ich vermute einfach, dass Jill Soloway mit dieser Kunstform ihrer kunstvollen Serie einen denkwürdigen Abschluss verpassen wollte. Die Geschichte der Pfeffermans ist so bunt, so voller Wendungen, dass eine ebenso bunte Stilform als finales Feuerwerk funktionieren könnte. Was hätte sie sonst tun können? Natürlich hätte sie die Story der letzten Folge auch in normaler Form erzählen können, tatsächlich wäre es dann aber wohl eine ziemlich bedrückende, belastete Story gewesen, die man als „Irgendwie-zu-Ende-bringen“ gewertet und mutmaßlich schnell vergessen hätte. Für mich wäre es toll gewesen, die Serie mit einer regulären Staffel fortzuführen und sich dabei auf die drei Kinder von Maura und Shelly zu konzentrieren. Die drei Charaktere bieten noch so viel, dass man da sicher eine tolle Story hätte entwickeln können.
Jill Soloway hatte aber anderes im Kopf, und so wurde es eine musikalische Auseinandersetzung mit dem Schlusspunkt von „Transparent“, und mit dem Ende von Maura Pfefferman. Sie ist im eigentlichen Film gar nicht zu sehen, aber dennoch enorm präsent. Sie fehlt der Familie, sie fehlt natürlich auch uns Zuschauern. Wenn man sagt, dass ein verstorbener Mensch eine Lücke hinterlässt, ist das wohl selten so extrem zutreffend gewesen wie in diesem Fall. Natürlich gibt es auch in jeder der kleinen Beziehungen der Pfeffermans wieder große Schicksale, Wirrungen und Dramen. Jill Soloway erzählt das meiste davon in kurzen Songs, die sie mit ihrer Schwester Faith gemeinsam erschaffen hat.
Im Laufe des Films wandelt sich der Schwerpunkt vom großen Transgender-Thema zum religösen Schwerpunkt (der meiner Meinung noch gut einen Schwerpunkt der 5. Staffel hätte werden können). Jill Soloway spielt mit klischeehaften Bildern des Judentums, stellt Fragen, wird mitunter extrem provozierend. Etwa wenn Sarahs Kinder davon sprechen, dass Maura durch den Holocaust umgekommen ist – weil sie mitbekommen haben, dass Maura verbrannt wurde. „Das ist ein anderer Ofen“, heißt es da durchaus zynisch in der Serie. Oder wenn es im Schlusssong zur Abrechnung von Shelly Pfefferman und später des gesamten Casts mit dem vorherrschenden Bild vom Judentum kommt – Shelly spricht singt da vom leidenden Judentum, vom Wehklagen, von der immer noch durch den Holocaust geprägten Identität – und fordert zu einem neuen Denken auf; eben dass es einen Joyocaust brauche. Das ist natürlich recht extrem, und auch wenn es im Song selbst heißt „We’re crossing the line“, ist das tatsächlich schon eine sehr provozierende Form des Überschreitens, was zumindest für eines sorgen wird – dass man darüber spricht.
So bleibt ein buntes Schlussbild mit provozierendem Text am Schluss einer großartigen Serie stehen, was irgendwie dann auch funktioniert. Aber es wird auch offensichtlich, dass „Transparent“ bedauerlicherweise am Ende eben doch unter den Vorkommnissen rund um die Serie leidet – was zu befürchten war, und was auch das Musicale Finale nicht verhindern kann. „Transparent“ hat nicht das Finale bekommen, das es verdient hätte, aber immerhin eines, das nur in „Transparent“ funktionieren kann.
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