So viele Hinweise und Spuren wir nun auch haben: Wir wissen, dass die Ermittlung im Fall Will und Julie Purcell schon bald vorbei sein wird. Aber warum? An welcher Stelle verlassen wir die 80er endgültig und bringen die Nachforschungen in den 90ern zu Ende? Naja, zu Ende geführt werden sie da ja auch nicht wirklich… Die Macher von „True Detective“ scheuen nicht davor, uns weiterhin einen Haufen vieler kleiner Hinweise zu geben, die vermutlich allesamt in die falsche Richtung führen. Gibt es neben den ganzen Irrwegen auch eine schlüssige Theorie, der wir nachgehen sollten?
Eternal life
West und Hays gehen dem Foto von Wills Kommunion auf den Grund. Warum bloß hat er auf dem Foto die Augen geschlossen? Um das herauszufinden, besuchen sie die Kirche und den Pastor, der – wie sich herausstellt – das Foto gemacht hat. Erklären kann er sich die geschlossenen Augen allerdings auch nicht. Er tut fast so, als sei ihm das auch erst jetzt aufgefallen, genau in dem Moment, als die beiden Ermittler ihn direkt darauf ansprechen. Schon merkwürdig. Steckt die Kirche in dieser Sache etwa mit drin?
Immerhin gibt der Pastor aber einen wichtigen Hinweis: Er kann sich erinnern, dass Julie beim letzten Mal, als er sie gesehen hat, aufgeregt war, ihre Tante zu treffen. Nur dass wir alle wissen, dass sie gar keine Tante hat. Wer also lügt, Julie oder der Pastor?
„My feeling: It was all about the girl.“
Dazu kennt der Pastor tatsächlich auch noch die Frau, die diese außergewöhnlichen Puppen anfertigt. Einen ganzen Schwung habe sie kurz vor Halloween an einen schwarzen Mann verkauft, der auf einem Auge blind ist. Es ist keine Kunst, den Mann, auf den diese Beschreibung passt, zu finden. Und noch weniger schwer ist es, genau zu wissen, dass dieser Mann mit der ganzen Sache nichts zu tun hat. Die rassistische Gesinnung der Frau sticht nach kürzester Zeit mehr als deutlich hervor. Die beiden Ermittler gehen diesem offensichtlich falschen Pfad aber nach, ernten ordentlich Hass der Gemeinschaft, in der der (Nicht-)Verdächtige lebt und sahnen auch noch eine kaputte Frontscheibe ab. Das nennt man Fortschritt in den Ermittlungen. Hier will sie doch wieder jemand ganz bewusst in die falsche Richtung lenken, oder nicht?
Interessant finde ich die Beziehungen von Tom und Lucy Purcell, in die wir in dieser Episode noch etwas mehr Einblicke erhalten. Nicht die zueinander, sondern die von ihnen zu anderen, uns sehr bekannten Figuren. Tom zum Beispiel hat bereits in den 80ern irgendeine Art von Verbindung zu Roland West, denn er ist es, der gerufen wird, als Tom sich mal wieder daneben benimmt. Wird er zu einer Art Retter und Bezugsperson für ihn?
„I can’t be in that house, man. Every inch of that place is them kids. I can’t be there. I can’t sleep there. I just wanna die all the time.“ [Tom Purcell]
„I got a jail cell for ya, or I got a couch.“ [Roland West]
Lucy fühlt sich da wohl ähnlich. Hinter ihren Gefühlen stecken aber noch mehr als Trauer und Wut, sondern eher Gewissensbisse und Selbstvorwürfe. Als Lehrerin ihrer beiden Kinder hat Amelia eine Kiste mit ihren persönlichen Dingen aus der Schule gepackt und will sie Lucy übergeben. Dabei öffnet diese sich ihr gegenüber so, dass wir erfahren, dass sie irgendetwas Schreckliches getan hat. Affäre mit Hoyt? Steckt sie da irgendwie mit drin? Bevor wir mehr erfahren, schmeißt Lucy sie aber wieder raus. Darf ja auch nicht zu viel verraten.
„I have done such terrible things. Oh, good God. Oh, God. God, forgive me.“
Or what?
In den 90ern und kurz nach Wiederaufnahme des Falls durch Hays und West spüren wir weiterhin ein Kribbeln zwischen Wayne und Amelia, doch dies ist eher auf eine geladene Spannung zwischen beiden zurückzuführen. Sie ist nicht gerade erfreut, dass Wayne nun wieder in den Ermittlungen steckt, was sie für mich wieder ein Stückchen mehr zur Verdächtigen macht. Aber ich bin mir auch sicher, dass dies einer der zuvor genannten Irrwege ist. Denn wäre die Lösung nicht zu einfach? Ich meine, allein ihr Einwand im 80er Zeitstrahl, dass der Mord an Will wie ein Unfall und die Totenbettung mehr wie ein Akt von Zuneigung wirke, präsentieren sie als Täterin auf einem Silberteller. Zu. einfach. Glaub ich.
West, so stellt sich heraus, hat es in den Jahren, in denen Hays was auch immer gemacht und nicht am Fall und nicht als Polizist gearbeitet hat, zum Lieutenant geschafft und sich viel Respekt erarbeitet. Hays wird dagegen kaum von den Kollegen beachtet. Langsam steigt das Gefühl auf, sogar die Polizei könnte in dem ganzen verstrickten Geschehen mit drin hängen.
„This time we get to close it.“
Das hindert Hays aber nicht daran, in stundenlangem Überwachungskameramaterial die Stelle zu finden, in der tatsächlich Julie bei dem Überfall auf die Apotheke aufgenommen wurde. Mit ihrem Blick in die Überwachungskamera frage ich mich: Hat sie den Überfall womöglich begangen, um gefunden zu werden? Um alles wieder anzuheizen? Eins steht jedoch fest: Wo es Leute gibt, die großes Interesse daran haben, Julie zu finden, gibt es sicherlich auch Menschen, die um alles in der Welt versuchen zu verhindern, dass der Case doch noch gelöst wird.
Drained quarry in southern Missouri
Den Case zu lösen versucht auch der Wayne Hays der Gegenwart. Der Fall lässt ihm keine Ruhe, er hat einen Teil der Vergangenheit verdrängt, ein Teil fehlt im aufgrund seiner Alzheimer-Erkrankung, doch das lässt ihn das Tempo umso mehr anziehen. Er bittet seinen Sohn Henry, der übrigens nun ebenfalls Polizist ist, Roland West zu finden und erfüllt uns damit einen Wunsch, den wir schon die vergangenen Episoden hatten, nämlich zu erfahren, ob dieser noch lebt.
„I need this memory, son.“
Und er nimmt einen anderen Teil direkt selbst in die Hand: Er besucht die Reporterin, welche die Doku über den Fall dreht und ihn in diesem Rahmen befragt. Und so erfährt er, dass die Überreste von Lucys Cousin und dem Verdächtigen Dan O’Brien gefunden wurden. Ermordet? Weil er zu viel wusste? Wer weiß das schon. Interessant ist jedenfalls, dass sie Insider-Infos hat. Von Henry vielleicht? Oder wem gehört das zweite Weinglas im Hotelzimmer? Ich kann ja übrigens auch nur schwer den Gedanken abwerfen, dass sie möglicherweise Julie ist.
Mir hat die Episode „The Hour and the Day“ gut gefallen. Ich fand sie sogar fast etwas gruselig, als Hays in seinen Erinnerungen kramt und im Hintergrund, wie letzte Woche schon Amelia, plötzlich Gestalten auftauchen. Überwiegend verkörpern diese Vietnamesen, die Hays womöglich im Krieg umgebracht hat. Doch wer sind die beiden Unbekannten, die zwischen ihnen verweilen und auf den Boden starren? Da kriegt man fast ein bisschen Gänsehaut. Fand ich stark inszeniert und hat der Serie noch einen ganz anderen Faktor verliehen, als was wir bisher kannten. Fragt sich nur: Wird Hays tatsächlich verfolgt oder ist dies auch wieder nur eine seiner Visionen?
Auf vielen Bahnen werden wir als Zuschauer gelenkt zu denken, dass der Fall ganz groß ist: Die Kirche, die Polizei und auch das große Unternehmen Hoyt Foods könnten hier in das Geschehen verwickelt sein, während die konkreten Spuren doch eher den Einzeltäter in den Fokus rücken.
Ich bin gespannt, an welcher Stelle wir in der nächsten Episode ansetzen werden: An Julies Fahrrad wurden Fingerabdrücke gefunden, die auf Freddie, einen der vermeintlich satanistischen Jugendlichen der Schule hinweisen. Er hatte sich das Fahrrad geschnappt, das gibt er zu, und ist daraufhin jedoch 30 Minuten im Wald verschwunden. Da hätte einiges passieren können. Neue Spur, neuer Verdächtiger? Falsche Fährte, meiner Meinung nach. Während Freddie sich rechtfertigen muss und halbwegs zusammenbricht, läuft Brett sich die Füße blutig. Er spricht in der Nachbarschaft zwei Mädchen auf ihren Müll an und provoziert damit die aufmerksamen und geladenen Nachbarn, die ihm schon einmal zu verstehen gegeben haben, dass er sich von ihnen allen fernhalten soll. Was wie ein sehr unbedachter Schritt daher kommt, entpuppt sich schließlich als wohlüberlegte Falle. Boom.
Bilder: HBO
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