Die zweite Hälfte der dritten Staffel „True Detective“ ist angebrochen und die Auflösung des Falls rückt näher. Ja, ich ignoriere die Option, dass es ein offenes Ende geben könnte. Ich bin mir aber auch sicher, dass das nicht passieren wird.
Nach einem großen Knall am Ende der letzten Episode steigen wir in dieser Folge etwas ruhiger ein: Wir befinden uns in den 90ern und Wayne und Hays lassen den Fall nochmal ganz neu aufleben. Aber wie immer sitzt ihnen die Zeit im Nacken. Wenn die Überwachungskamera tatsächlich Julie gezeigt hat, ist das Risiko, dass auch noch jemand anderes nach ihr sucht, zu hoch, als wieder Jahre ins Land ziehen zu lassen. Alle Details werden nochmal hervorgeholt. Lucy, Julies Mutter, ist angeblich an einer Überdosis gestorben, doch die Bilder vom „Tatort“ schätzen die Ermittler beim genaueren Hinsehen als gestellt ein. Lebt sie vielleicht noch? Und wo steckt dieser Dan nur? Haben die beiden womöglich ein gemeinsames Geheimnis?
Tom Purcell taucht im Büro der Ermittler auf, da er ein öffentliches Statement zu Julies Erscheinen abgeben soll. Ausgestrahlt werden soll dies im Fernsehen. Doch als er die Bilder seiner toten Frau und seiner Tochter von damals und – vermeintlich – heute sieht, bricht er ein weiteres Mal emotional zusammen. Zehn Jahre sind vergangen, aber der Schmerz scheint noch genauso tief zu sitzen wie damals.
Front toward enemy
Doch zurück zum Schlachtfeld: Brett Woodard hat es darauf angelegt, sich ein kleines Shootout zu liefern. Nachdem er seine aufgebrachten Nachbarn zu sich auf das Grundstück gelockt hat, der erste direkt vor seiner Tür in die Luft geflogen ist und in Stücke gerissen wurde, nimmt er an den anderen nun Rache, indem er sie alle nacheinander und ohne zu zögern erschießt. Wie auch Hays ist er im Kampf geübt und bringt Erfahrung mit. Und so ist es auch kein Zufall, dass er West nur am Bein trifft und Hays knapp verfehlt, als diese am Ort des Geschehens eintreffen. Auch wenn Hays eine besondere Verbindung zu Brett zu haben scheint und ihn kurzzeitig versucht, von seinem Vorhaben abzubringen, heißt es nun doch: du oder ich.
„I’m’a count to three, in my head.
And when I hit three I’m gonna give you a full burst.
I’m countin‘, Sarge.“ (Brett Woodard)
Und es wirkt fast, als hätte Brett selbst sich gegen sein eigenes Leben entschieden, denn er lässt Hays einfach keine Wahl, als ihn zu erschießen. Und damit ist bestätigt: Es war wirklich Brett in „old-Hays“ Vision, die wir in der letzten Episode sehen konnten und in der die von ihm ermordeten Menschen auftauchten.
You can come home
Was wir im Weiteren erfahren: Es war tatsächlich Brett, der nach diesen Geschehnissen von allen als der Schuldige am Mord von Will und Julie betrachtet wurde. Over. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Der Fall war geklärt. Der Schuldige gefunden. Die Meinung der skeptischen Nachbarn, die diesen seltsamen Müllsammler von vornherein für sein bloßes Sein verurteilt haben, bestätigt. Nach Julies Auftauchen in den 90ern soll sein Name nun wieder rein gewaschen werden. Dafür sind seine Kinder zum Pressetermin erschienen. Unterdessen richtet sich Tom in seinem Statement direkt an Julie und bittet sie, endlich nach Hause zu kommen.
Schuldiger unschuldig, Fall neu ausgerollt – da kommen alte Verdächtige wieder ins Spiel. Wir sehen den gealterten Freddie mit seiner Familie, während Hays und West ihm einen Besuch abstatten und erneut befragen. Seine Erinnerungen an die beiden sind allerdings so gar nicht schön. Scheinbar waren die beiden Ermittler bei ihren Nachforschungen zehn Jahre zuvor ziemlich hart zu dem damaligen Teenager und Verdächtigen, der davon ganz offensichtlich starke Spuren davongetragen hat. Er wirkt fast traumatisiert – bei dem, was er den beiden vorwirft, aber kein Wunder.
„I was a teenager, me. What’s your excuse?“ (Freddie)
Mary July
Mit dem öffentlichen Statement von Papa Purcell meldet sich der erste Zeuge, der meint, Julie zu kennen. Und tatsächlich weist einiges darauf hin, dass das stimmen könnte: Sie hätte öfter behauptet, sie heiße „Mary July“, sei eine „secret princess“, eine „princess from the pink rooms“ und sie suche ihren Bruder. Kann das Mädchen wirklich Julie sein? Wayne Hays ist sich sicher:
„This is her.“
Während der Fall Amelia und Wayne in den 80ern zusammengebracht hat, wirkt es fast so, als würde der zweite Anlauf ihre Beziehung nun zerstören. Bei einem gemeinsamen Abendessen mit Roland und seiner Freundin Laurie kommt Amelia auf den Case zu sprechen und bohrt nach Details für ihr bald erscheinendes Buch, doch Wayne versucht alles, das Thema abzuwürgen, wird fast aggressiv, wenn es um ihr Buch geht. Das gemeinsame Abendessen ist gestorben, der Streit geht richtig los und Hays befeuert meine eh schon große Skepsis Amelia gegenüber mit seinen mehr als drastischen Worten:
„But I think you’re a tourist, okay? I think you’re a voyeur. Lifting yourself up on people’s bad luck. […] I think you use people. Like we’re all stories to you, and you use ‚em to make yourself bigger than us.“
Wäre da nicht noch eine weitere Spur, die uns durch eine der Interview-Situationen in 2015 eröffnet wird: In den 90ern ist Harris James verschwunden, einer der ermittelnden Polizisten, der den Tatort bei Brett Woodards Haus gesichert hat. Er war damals dabei, als im gleichen Zuge Julies Rucksack unter den Trümmern entdeckt wurde und die Auflösung des Falls dadurch vermeintlich gegeben war. Harris James? Den kennt old-Hays angeblich nicht. Auch wenn sein Verhalten doch eher auf etwas anderes hindeutet.
„A lot people around this thing are dead. A lot of people gone.“ (Elisa)
„People do that, miss. Most people I ever knew are gone.“ (Hays)
Mit Beweisen, die in den 90ern plötzlich aus dem Polizeiarchiv verschwunden sind und der Gewissheit, dass Harris damals im Fall ermittelt hat, wird die Vermutung, dass Hays und West ihn damals genauer unter die Lupe genommen haben, bestärkt. Und da wäre ja auch noch der Mann im Anzug aus Hays Vision, ein weiterer Mann, den Hays in seinem Leben umgebracht hat. Könnte das nicht allzu gut James sein?
„It’s planted. It’s bullshit.“
Dass old-Hays kaum noch Erinnerung an die Ereignisse von damals hat, gibt uns als Zuschauer die Chance, gemeinsam mit ihm langsam aber sicher ein paar mehr Zusammenhänge zwischen den Zeitebenen herzustellen. Doch ein großer Schritt fehlt noch, um das Puzzle zusammenzusetzen. Nachdem old-Hays das erste Mal Amelias Buch gelesen hat und erkennt, dass sie damals schon wusste, dass Lucy, Wills und Julies Mutter, den Drohbrief selbst erstellt hatte – wahrscheinlich um Tom zumindest eine geringfügige Erleichterung zu verschaffen, dass es den Kindern gut geht – weiß er: Jetzt ist es an der Zeit, den einzigen Menschen aufzusuchen, der ihm noch weiterhelfen und Licht ins Dunkel bringen kann: Roland.
„You’re lookin‘ good, Purple.“
Tatsächlich, er lebt noch! Auch wenn er sich freut, seinen alten Freund und Kollegen wiederzusehen: Da ist eine tiefe Leere in West. Etwas, das in ihm kaputt gegangen ist und nie wieder geheilt wurde. Genau genommen wartet er ja auch schon seit 24 Jahren darauf, dass Hays sich bei ihm meldet. Er hat keine Kinder, keine Frau, nur Hunde (viele, viele, süße Hunde!). Und sein Leben in Einsamkeit wird uns durch viele sehr eindringliche Close-ups näher gebracht. Es ist etwas zwischen ihnen passiert, was aktuell noch unausgesprochen bleibt. Etwas, das es West schwer macht, Hays in die Augen zu sehen. Und etwas, das Hays vergessen hat und sich nun endlich wieder ins Gedächtnis rufen möchte.
„I don’t remember. I’m sorry. I’m sorry, but I just can’t remember. I don’t, I, uh, I can’t. Can’t remember my life, man. I can’t remember my wife I-I don’t know.“ (Hays)
Und so haben wir hier nun wirklich unsere zweite Reunion zwischen Hays und West, der eigentlich immer noch auf eine Entschuldigung wartet. Und so starten wir hier nach viel Zögern und Skepsis der älteren Herren den dritten Anlauf, den Fall zu lösen.
„But I don’t want to dip so much as a toe back in that shit.“ (West)
„She still be out there.“ (Hays)
Alone
Hoyt, James, O’Brien – es sind wieder einige Verdächtige im Spiel. Doch nicht mehr lange, denn plötzlich rückt ein ganz anderer in den Fokus des Verbrechens: Tom Purcell. Der Grund: Nach der Ausstrahlung seines Statements ging bei der Polizei ein Notruf ein. Und zwar von Julie – oder zumindest einer jungen Frau, die sich durch seine Nachricht angesprochen fühlte. Doch wer nun eine weitere Reunion erwartet, hat sich geirrt. Die Botschaft ist klar:
„Tell him to leave me alone.“
Die Beschuldigungen des Mädchens richten sich an Tom. Er ist für sie der Ursprung allen Übels. Derjenige, vor dem sie fliehen wollte. Vor dem sie gerettet wurde. Doch durch wen? Ist Tom nicht ihr Vater? Könnte er wirklich der Täter sein?
Die Spannung, die schauspielerische Leistung, die Maske und die Inszenierung der Folgen „True Detective“ bleiben auch mit dieser Episode weiter auf einem hohen Niveau. Ich leide von Woche zu Woche mehr mit Scoot McNairy als Tom Purcell, der seine Rolle als verzweifelter Vater (?) absolut überzeugend spielt. Sollte er in den Fall verstrickt sein – was ich nicht glaube – würde es mich wirklich sehr überraschen.
Ich bin sehr gespannt, welche einzelnen Pfade und Spuren sich am Ende als die richtigen in der Ermittlung herausstellen und wie wir im weiteren Verlauf zu dieser Auflösung gelangen. Dabei gefällt mir total gut, wie die einzelnen Timelines ineinander übergehen, wie sie uns voranbringen, aber nie zu viel verraten, zum Denken anregen und uns gerade, wenn wir etwas zu packen bekommen haben, wieder fallen lassen. Und so wird es sicherlich auch bis zu den finalen Minuten weitergehen. Ich freu mich drauf.
„My best friend’s a dog.“ (mein persönliches Lieblingszitat aus dieser Episode)
Bilder: HBO
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