Das war es also. Mystery solved. Die dritte Staffel von „True Detective“ ist vorbei. Wie hat euch das Finale gefallen?
Memory
Auch in diese Episode starten wir erneut mit einer Zwischenzeitebene, die sich nicht in eine unserer drei Standards, sondern vermutlich so in die 2000er einordnen lässt. Hays ist Sicherheitsangestellter an einer Uni und wirft einen Blick in eine Vorlesung, in der Amelia ihren Studenten als Professorin ein Gedicht vorliest. Die Szene wirkt vertraut, haben wir ähnliche Situationen, in der sie einer Gruppe von Menschen etwas vorträgt, mit dieser Ruhe in der Stimme, doch schon öfter gesehen. Doch was hier heraus sticht, ist der Blick, den Hays und sie tauschen. Sie lächeln sich an. Vertrautheit, Zuversicht, Zufriedenheit ist aus ihren Blicken zu lesen. Und es ist schön zu sehen, dass sie schließlich eine Basis für ihre Beziehung gefunden zu haben scheinen, die sie endlich hat zur Ruhe kommen lassen. Dass dies nie leicht für sie war, sehen wir jedenfalls auch in dieser Folge wieder diverse Male.
„What will become of you and me
besides the photo and the memory?“
Soldiers
Doch machen wir dort weiter, wo wir letzte Woche stehen gelassen wurden. Hays steigt zu Hoyt (Michael Rooker, wir kennen ihn als Daryls Bruder Merle aus „The Walking Dead“) ins Auto, nachdem dieser ihm deutlich gemacht hat, dass alle anderen Optionen Konsequenzen für seine Familie haben werden. Die Situation zwischen beiden ist sichtlich angespannt und auch hier suggeriert der gezielte Einsatz der Musik wieder einmal Gefahr, insbesondere als wir sehen, dass Hoyts und Hays Weg in den Wald führt. Und wo man zunächst eine große Verschwörung des Hoyt Imperiums vermutet hatte, erfahren wir nun, dass Hoyt selbst nicht so richtig in die Geschehnisse um ihn herum eingeweiht war – zumindest behauptet er dies mit Nachdruck.
„I’m in the fuckin‘ dark.“
Während Hays also versucht herauszufinden, wer verantwortlich für Julies Verschwinden ist und Hoyt dafür verdächtigt, versucht Hoyt Hays Informationen zu Harris James Ableben zu entlocken. Hays lässt sich nicht drauf ein und Hoyt stellt sich dumm, trinkt zudem dauerhaft aus seinem kleinen Flachmann und lässt zwischendurch immer wieder ein paar Drohungen fallen. Nach einem dann doch etwas zähen Gespräch wissen wir also wieder… nicht mehr als vorher.
Es bedarf also erst weiterer Nachforschungen des älteren Hays und West, um endlich an die Auflösung der verworrenen Story zu gelangen. Sie statten Harris James Frau einen Besuch ab und erfahren, dass James Kontakt zu einem Mann mit nur einem Auge hatte. Und von ihr erfahren sie nun auch den Namen des Unbekannten, dessen Spur sie bereits vor 35 Jahren aufgenommen hatten: Junius Watts. Nun ist es ein Einfaches seinen Aufenthaltsort herauszufinden und dann geht auch alles ganz schnell. Die gesamte Auflösung wird uns von einem sich mehr als schuldig fühlenden Junius Watts innerhalb weniger Minuten auf den Tisch geknallt. Ohne zu zögern, als warte er schon seit Ewigkeiten auf ihren Besuch, der ihm Erlösung verschaffen soll.
Mary
Isabel Hoyt, Edward Hoyts Tochter, verlor ihren Mann und ihre Tochter bei einem Autounfall. Bei einem Picknick von Hoyt Foods, an dem auch die damals beim Unternehmen angestellte Lucy mit Will und Julie teilnahm, sah sie Julie und hatte direkt das Bedürfnis, mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Mit der Hilfe von Junius, der für die Hoyt Familie gearbeitet hat, arrangierte sie geheime Treffen im Wald, bei denen sie mit Will und Julie spielte. Lucy war in alles eingeweiht und hat sich dafür bezahlen lassen, dass ihre Kinder mit einer Fremden spielen und sie Stillschweigen bewahrt. Irgendwann waren diese zeitlich begrenzten Treffen für die offensichtlich psychisch kranke Isabel jedoch nicht mehr genug, sie wollte Julie ganz für sich. Als Will die Situation durchschaute und den Versuch unternahm, Julie zu helfen, nicht einfach mitgenommen zu werden, kam es zu einem Gerangel, bei dem Will fiel und sich den Kopf aufschlug. Wie wir wissen, starb er an den Verletzungen. Isabel und Junius versicherten Julie aber, dass ihr Bruder wieder gesund wird und nahmen sie mit auf das Hoyt Anwesen. Harris James bezahlte Lucy eine große Summe für ihr Schweigen und platzierte die Beweise unter Brett Woodards Haus, um die Ermittlungen zu stoppen.
Wie wir uns durch die vielen Anspielungen auf den „pink room“ schon denken konnten, wurde Julie von da an über zehn Jahre im verborgenen Hoyt Keller gehalten, unter Drogen gesetzt und als Mary aufgezogen – bis Junius Watts sie in den 90ern, kurz bevor Julies Fingerabdrücke plötzlich an einer Tankstelle auftauchten, fliehen ließ. Isabel nahm sich daraufhin das Leben und Hintermann Harris James ist es erneut zu verdanken, dass Tom Purcell dieses Mal zum Schuldigen wurde.
West und Hays lassen Junius ohne seine erwartete Bestrafung zurück und machen sich nach dieser Aufklärung ein weiteres Mal auf die Suche nach Julie. In einem Kloster finden sie ihre Spur. Sie hat viele Jahre dort gelebt, sei aber angeblich schon vor einigen Jahren an HIV gestorben. Die beiden Ermittler besuchen ihr Grab und das scheint das Ende der Geschichte zu sein. Wären sie nur nicht noch auf die kleine Lucy und ihren Vater Mike gestoßen. Denn mit einem erneuten Blick in Amelias Buch zieht Hays die Verbindung zwischen dem gerade kennengelernten Mike und Julies ehemaligem Mitschüler Mike, der sie vor ihrem Verschwinden damals schon immer später mal heiraten wollte. Die Auflösung ist recht simpel: Die Nonnen des Klosters haben Julies Tod vorgetäuscht, um alle Spuren zu beseitigen und ihr die Möglichkeit zu geben, neu anzufangen. Mike hat ihr geholfen, ihre Erinnerungen einzuordnen und wieder Fuß zu fassen. Dass sie ihre Tochter nach ihrer Mutter, die diese Tragödie überhaupt erst möglich gemacht hat, benannt hat, lässt zumindest hoffen, dass sie vielleicht auch ein paar schöne Erinnerungen an ihre Kindheit und ihre echte Mutter hat.
Nachdem Hays all die Verbindungen zieht und sich auf den Weg zu Julies wahrhaftem Aufenthaltsort macht und sie schließlich erreicht, verlässt ihn seine Erinnerung und er ist wieder einmal verloren. Während er auf Hilfe von seinem Sohn wartet, kann er im Garten von Mary und Lucy warten und findet damit endlich das vermisste Mädchen, das er 35 Jahre lang gesucht hat. Nur weiß er es nicht.
Ich bin hin und her gerissen. Mir gefällt das offene Ende der Staffel und dass es nicht zu einer öffentlichen Aufräumung des Falls gekommen ist. Ich finde es sehr interessant, dass wir in dieser Episode noch so viel mehr über Amelias und Hays Beziehung erfahren. Darüber, dass sie durch den Case zusammengefunden haben, dieser ihr Leben und ihre Ehe jedoch um einiges erschwert und sie fast auseinander gebracht hat. Dass es zwischen ihnen eigentlich nie wirklich gut war, sondern immer ein Kampf. Doch wir erfahren auch, dass Hays sich in den 80ern nicht gegen sie gewendet hat, als einer ihrer Artikel erschien, den die Polizei diskreditieren wollte. Dass er sich lieber hat vom Ermittler zum Sekretär machen lassen.
Mir gefällt, wie Wests Bezug zu seinen Hunden hergestellt wurde. Dass er, als er ganz am Boden war, von einem Hund gerettet wurde. Die Szene hat mich so glücklich gemacht, obwohl sie so traurig war. Wirklich stark inszeniert und toll gespielt. Vom Hund natürlich.
Das versöhnliche Ende, bei dem Hays und West und seine Kinder und Enkel zusammenkommen, wirkt dagegen schon fast kitschig, auch wenn darauf noch zwei weitere unerwartete Szenen folgen, die wieder und wieder das Ende vermuten lassen bis wir schließlich mit Hays im Dschungel verschwinden. Doch obwohl diese Episode schon deutlich länger war als die vorherigen und nun auch keine Episode mehr folgt, sind längst nicht all unsere offenen Fragen geklärt worden. Was ist eigentlich aus Elisa geworden? Selbst wenn sie nicht – wie ich ja stets vermutet habe – als Julie entlarvt wird, sehen wir sie nach Hays Ablehnung des Interviews nie wieder. Wie ist Amelia gestorben – und wann? Was hat Roland West in den Jahren von Hays Abwesenheit durchgemacht? Wird Henry den Fall weiter verfolgen? Fragen über Fragen, bei denen es in Ordnung ist, dass sie nicht alle erklärt werden. Aber dennoch wirken einige Zusammenhänge auf diese Weise weiterhin lose und wenig stringent und durchdacht, obwohl sie vermutlich alles andere sind als das. Wieder etwas rausgerissen hat dafür die schöne Anknüpfung der eingangs und am Ende genutzten Szenen, in denen zwei Kinder auf ihren Fahrrädern die Straße entlang fahren. Irgendwie schließt sich damit der Kreis und erlaubt uns, dass auch wir nun mit dem Fall und dieser Geschichte abschließen können.
Ich finde, die dritte Staffel „True Detective“ war vielmehr ein Figurenporträt als ein ungelöster Kriminalfall. Alle Szenen, alle Inszenierungen zahlen auf das große Fokusthema der Season ab: Erinnerung und Zeit und das Umgehen verschiedener Personen mit diesen Faktoren. Dabei fand ich stark, dass alle Episodentitel Anspielungen auf Bücher und Songs waren, die sich ebenfalls um Zeit und Erinnerung drehen. Dass der Einsatz von Musik und das Jagen in den Folgen, auf welche Art und Weise auch immer, immer wieder zu den Kriegserfahrungen von Hays führten. Dass die verschwimmenden Hintergründe der Szenerien Hays langsam bröckelnde Erinnerungen aufgefangen und versinnbildlicht haben, auch wenn die zahlreichen Spiegelszenen und dadurch eingeleiteten Umschwünge in andere Zeitebenen meiner Meinung nach fast zu viel des Guten waren.
Auch wenn die Staffel für mich sehr gutes Mittelmaß, aber nicht mehr war, muss man ihr zugestehen, dass sie extrem hochwertig produziert wurde. Die Wahl der Schauplätze und die Komposition der Bilder war ein Genuss für das Auge, auch wenn viele Bilder in ein eher weniger fröhliches Grau getaucht waren. Staffel drei hat es geschafft, ein bisschen was von dem „True Detective“-Feeling wieder aufleben zu lassen, das wir damals mit McConaughey und Harrelson aufbauen konnten. Und wo ich mich am Anfang sehr auf den tollen Mahershala Ali gefreut habe, sind mit Stephen Dorff und Scoot McNairy zwei weitere, unheimlich talentierte Schauspieler auf meinem Radar erschienen, die ich vorher nicht kannte und auf deren nächste Projekte ich mich schon jetzt sehr freue.
„What if there’s another story?“
Bilder: HBO
Ich teile deine Meinung so ziemlich komplett. Die Staffel hat von ihrer durchgängig hochwertigen Inszenierung, der Interesse schürenden Erzählweise und vor allem dem richtig richtig guten Schauspiel der meisten Darsteller gelebt. Dennoch war ich am Ende beinahe etwas enttäuscht, hatte ich nach dem sehr guten Auftakt eine weitere Steigerung erwartet, es blieb aber irgendwie größtenteils gleich – und schwupps war es auch schon vorbei. Man sieht es ja gut an deinem Bewertungsverlauf: Es war fast immer auf gleichem (guten) Niveau, aber eben ohne die total krassen Wow-Momente, dafür aber eben auch ohne richtige Totalausfälle. Und gerade nach der sich doch verhobenen zweiten Staffel kann man doch froh sein, ein einfach nur gut gemachtes Stück TV-Drama gesehen zu haben, das die fehlende Sensation mit Atmosphäre zumindest ein gutes Stück weit ausgleichen konnte.
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