Sylvester Stallone als Mafia Capo im Mittelpunkt einer neuen Serie – ernsthaft? Ja, unbedingt! Stallone wird in „Tulsa King“ als Dwight „Der General“ Manfredi von der New Yorker „Familie“ in die amerikanische Provinz geschickt, um dort als Capo ein neues Business aufzubauen – als „Belohnung“ dafür, dass er für den Boss der Familie 25 Jahre im Gefängnis schlummerte. Begeistert ist er nicht, aber Auftrag ist Auftrag – und eine großartige dreiviertel Stunde Unterhaltung wartet auf uns.
Dabei kann ich gleich vorweg schicken: Die Serie bedient sich vieler Klischees, setzt auf die einfachen Momente, ist klassisch gestrickt, lässt Stallone Stallone sein – und macht gerade damit alles richtig. Wir starten im Gefängnis, wo uns Stallone aus dem Off ganz kurz über das Setting informiert, derweil wir seine Figur sich darauf vorbereiten sehen, das Gefängnis zu verlassen. Klar wird er von der „Familie“ abgeholt, wird per Limousine durch New York chauffiert, und er wundert sich beim Blick aus dem Fenster, was in 25 Jahren aus der Welt geworden ist. Hier und da fühlt man sich direkt selbst ertappt, wie merkwürdig das eine oder andere aussehen muss, wenn das heute Alltägliche aus dem Blick von vor zehn oder 20 Jahren gesehen würde.
25 Jahre Knast? Da erwartet man schon eine Belohnung – Dwight zumindest, doch er hat die Rechnung ohne die Gang gemacht. Die preist ihm eine neue Stadt als Belohnung an, die er aufbauen könne – Tulsa, Oklahoma. Klingt für Dwight eher wie eine Bestrafung als wie eine Belohnung, sein „Neuer Knast“, wie er sagt. Im kurzen Techtelmechtel mit der Gang spricht er noch kurz über Frau und Tochter, die er beide durch die Knastzeit verloren hat, so dass wir da auch im Bilde sind und den Umschlag einordnen können, den Dwight bei sich hat und der das einzige persönliche Stück zu sein scheint.
Dann geht’s aber nach Tulsa, wo Showrunner Taylor Sheridan („Yellowstone“, „1883“, „1923“) und Co-Autor Terence Winter („The Sopranos“, „Boardwalk Empire“) mit einem sehr scharfen Blick für Stadt, State und Menschen ein genaues Porträt von Oklahoma zeichnen. Dwight kommt am Flughafen an, ganz in grau, eher im Business-Outfit, und trifft auf eine bunte Ansammlung von Menschen, die ihm durch die Schalterhalle des Airports entgehen kommt. Soll Dwight gegen den Strom schwimmen? Nein, er reiht sich ein und lässt sich mit den Menschen nach draußen treiben – wo der Gangster sich gleich zu Tode erschreckt, als ihm eine Heuschrecke aufs Revers springt. Einen anzüglichen Spruch später hat ihn schon jemand Weihwasser ins Gesicht gesprüht. Ein junger Taxifahrer „rettet“ ihn aus der Situation und nimmt ihn mit durch die Umgebung Richtung Tulsa, vorbei an mehreren Kirchen, dem klassischen „Welcome“-Schild, hin zu einer ersten Tankstelle mit angeschlossenem Dope-Verkaufsraum – willkommen in Tulsa, Oklahoma.
Die nächste Zeit wird „Tulsa King“ dann wirklich von Moment zu Moment witziger. Taxifahrer Tyson verwickelt Dwight in ein Gespräch, und da prallen zwei Welten aufeinander. Tyson bezeichnet Dwight als Gangster, aber natürlich nur, weil’s seine Sprache ist, nicht etwa, weil er in Dwight einen Gangster sieht. Tyson gibt ihm auf der Fahrt Contra – das gefällt Dwight, der sich zu einem Shop bringen lässt, um gleich ein erstes „Akquisegespräch“ zu führen – was einfach auch ganz großartig erzählt und inszeniert ist. Die Akquise in Bodhis Shop ist für mich das Highlight der Folge, in der Inszenierung, Drehbuch und Stallone perfekt zusammenpassen. Es macht in den 5 Minuten einfach Spaß, dem gealterten Gangster dabei zuzusehen, wie er sich ganz cool und gelassen bei Bodhi einnistet. Wie er mit den Angestellten spricht, den Wachmann ausschaltet, in Bodhis Büro am Laptop mit der Lesebrille auf der Nase die Bücher checkt, und dann ganz schnell auf den Safe kommt, um dann tatsächlich nur seinen Anteil rauszunehmen – es ist einfach wunderbar gemacht. Allein der Dialog, wie Dwight sich gegenüber Bodhi rechtfertigt – großartig: „Ich beschütze Dich vor den Gangs“ – „Hier gibt’s keine Gangs!“ – „Und vor dem Gesetz.“ – „Was ich mache, ist legal!“ Ich mag’s. Übrigens auch die Inszenierung, die von Allen Coulter („The Sopranos“, „Six Feet Under“, „Boardwalk Empire“, „House of Cards“) in jedem Moment gelingt. Ich mag auch die konsequente Einfärbung der Szenerie – das kühle New York und das warme Tulsa.
Ich mag dann auch den Rest – Dwights Ankunft im billigen Hotel, das nicht wirklich einladend aussieht, aber wenigstens etwas mehr ist als die Zelle der letzten 25 Jahre. Dann Dwights Versuch, zu einer Bar zu kommen, indem er an der Rezeption nach einem Taxi fragt: „Wir haben hier leider nicht so viele Taxis. Nehmen Sie doch ein Uber.“ – „Gerne, welche Nummer hat Uber?“ – „Nummer? Das machen Sie doch mit einer App!“ – „Haben Sie eine App? Dann rufen Sie mir ein Uber.“ Es ist so einfach, aber es ist auch so unterhaltsam. Dann der Schuhvergleich in der Bar, wo die Männer am Tresen beim Blick auf die italienischen Lederschuhe und die texanischen Cowboy-Stiefel feststellen, dass beide auf Dinosaurier zu stehen scheinen. Später der Fahrzeugkauf, wo Dwight dem Autoverkäufer klar macht, dass er vor dem falschen Angst hat, und noch so viel mehr, dass man nach 45 Minuten selbst froh ist, in Tulsa, Oklahoma angekommen zu sein.
Ich glaube, vieles funktioniert einfach auch dank Sylvester Stallone. Ihm nimmt man den Charakter in jedem Moment ab. Er muss oft auch gar nicht viel tun, er wirkt einfach für sich; es reicht, wenn er einfach so da sitzt in der Bar und vor sich hin schaut. Oder wenn er ganz ruhig und sachlich mit den Menschen spricht, Informationen aufnimmt, seine Schlüsse daraus zieht. Die Rolle passt einfach zu 100 Prozent auf Stallone, auch wenn das Match ‚Stallone als Mafia Capo‘ schon sehr klischeebeladen ist. Aber: Taylor Sheridan benutzt eben wie gesagt auch viele Klischees, weil’s Sinn macht für „Tulsa King“ – denn die braucht es auch, um den Bruch zwischen New York und Tulsa zu verdeutlichen. Das wird schon ganz wunderbar im Serienintro umgesetzt, wenn wir die graublaue Ansicht der Weltstadt sehen, in die passende grünliche Bilder aus Tulsa als Kontrast eingepasst werden. Taylor Sheridan nutzt den Piloten auch ganz klassisch, um uns einerseits abzuholen und dann komplett das Setting zu bereiten für die restliche Staffel. Alle Handlungsstränge werden zurecht gelegt, die wichtigsten Personen eingeführt, man kann die ersten Konfliktmomente in den kommenden Folgen erahnen, vermutet bereits, wie der erste Sturz des Helden sein wird, wer wen später unterstützen wird – vermutlich wird vieles vorhersehbar werden in „Tulsa King“, sicher wird’s auch nicht immer so unterhaltsam bleiben wie im Piloten, aber ganz ehrlich – auch das ist nicht schlimm, einfach weil uns Taylor Sheridan und Terence Winter zusammen mit Regisseur Allen Coulter und Sylvester Stallone eine ganz tolle Serienfolge geschenkt haben – für mich das Highlight des bisherigen (zugegebenermaßen noch recht jungen) Serienjahres.
Bilder: Paramount
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