Man muss ja immer vorsichtig sein mit Superlativen und Lobpreisungen – das gilt natürlich auch für Serien oder einzelne Folgen. Aber das, was wir diese Woche bei „Twin Peaks“ zu sehen bekommen, ist so außerordentlich, dass man in die Super-Schublade greifen muss. Aus meiner Sicht wird hier (mal wieder von „Twin Peaks“) Fernsehgeschichte geschrieben. Obwohl – ist das noch Fernsehen im klassischen Sinne?
Die Episode beginnt ganz normal mit der Fortsetzung der Story aus Folge 7. Nach fünf Minuten wird der böse Cooper von seinem Partner Ray erschossen – und ab da wird’s schräg. Als Ray endgültig abdrücken möchte, tauchen aus der Finsternis merkwürdige Wesen auf, die sich über Cooper hermachen, in und auf ihm herumstreichen und aus ihm ein rundes Ding herausholen, das die Fratze von BOB zeigt. Ray gerät in Panik und rast davon. In einem Telefonat erklärt er Phillip (Jeffries?), dass er Cooper angeschossen hat, aber nicht weiß, ob er tot ist.
Es folgt ein harter Schnitt auf das Roadhouse und wir bekommen einen mehrminütigen Auftritt der wiedervereinigten Band „Nine inch Nails“ zu sehen – „She’s Gone Away“ heißt der Song, wie passend. Den Song dürfen sie komplett vortragen, fünf Minuten geht das so.
Und ab jetzt wird’s richtig schräg: Ab dieser Stelle bekommen wir das Meiste nur noch in Schwarzweiß zu sehen. Es ist 1945, New Mexico, und wir sehen, wie eine Atombombe gezündet wird. Minutenlang zoomt David Lynch auf den Pilz der Explosion zu, wir erinnern uns, genau dieses Motiv erst letzte Woche noch als Riesenposter im Büro von FBI-Agent Gordon Cole gesehen zu haben. Irgendwann erreicht die Kamera den Mittelpunkt der Explosion und es gibt minutenlang Explosionsbilder und anderes wirres Zeug zu sehen, begleitet von schrillen Tönen und Klängen. Lynch-Fans erkennen Krzysztof Pendereckis Musik wieder, hier „Threnody for the Victims of Hiroshima“. Dann sehen wir den „Convenience Store“ (kennen wir aus dem Twin Peaks-Film) mit vielen Menschen, die Szene wird vor und zurück gespielt, stockt, wird fortgesetzt, überblendet, künstlerisch verfremdet – minutenlang.
Plötzlich befinden wir uns in einem Haus, das offensichtlich dem Riesen gehört. Es ist im Gegensatz zu gerade viel ruhiger, irgendwie kammerspielartig. Auch hier nimmt sich David Lynch wieder enorm viel Zeit, zeigt den Riesen durch die Wohnung gehen, die Treppe raufsteigen und in eine Art Theater zu schreiten (das Theater kennen wir schon aus „Mulholland Drive“). Auf einer Leinwand sieht er die Explosion noch einmal und erkennt, dass die Explosion BOB erschaffen hat. Der Riese präsentiert sich als Gegenpart und erzeugt einen positiven Wirbel, aus dem eine goldene Kugel mit dem Gesicht eines Mädchens hervorgeht – es ist Laura Palmer. Sie wird als Gegenpart zu BOB in die Welt geschickt. Die ganzen Momente haben jetzt etwas Stummfilmartiges: Überzogene Kontraste, und die Schauspielerin, die mit dem Riesen agiert, arbeitet mit überzogenem Make-up und ausdrucksstarker Mimik, und natürlich fällt minutenlang kein Wort.
Zurück in New Mexico begleiten wir einerseits ein junges Paar beim Spaziergang, andererseits sehen wir, wie dunkle Gestalten auf der Welt landen. Wir kennen diese Figuren schon aus verschiedenen Lynch-Werken – aus dem Twin Peaks-Film zum Beispiel, aber auch aus einigen Episoden der alten und neuen Serie, oder aus „Mulholland Drive“. Sie fallen über eine Kleinstadt her (hier ist übrigens als kleines Easteregg jenes Diner zu sehen, das auch in der Serie „Riverdale“ auftaucht) und nutzen das Radio (Lynchs beliebte Elemente Radiowellen und Elektrizität), um reihenweise die Zuhörer durch den immer gleichen Satz dahinzuraffen:
„This is the water and this is the well. Drink full and descend. The horse is the white of the eyes and dark within.“
Nur das Mädchen von vorhin überlebt – und erweist sich offensichtlich als geeigneter Wirt für ein ekelhaftes Wesen, halb Insekt mit Flügeln, halb Frosch. Das klettert in den Mund und verschwindet in dem Körper des Mädchens. Puh, das war’s.
Ganz offensichtlich zeigt David Lynch in dieser Folge die Entstehungsgeschichte des Bösen, wie es BOB verkörpert. Wir erinnern uns an den Hinweis von MIKE in der Originalserie, dass BOB seit rund 40 Jahren ‚unter uns‘ weilt – aus damaliger Perspektive gesehen passt das zeitlich zu den jetzt gezeigten Geschehnissen rund um den Atombombentest von 1945. Der Mensch hat also offensichtlich das Böse erzeugt, es ist menschengemacht. Die Verbindung zu Twin Peaks wird über Laura Palmer hergestellt, die wie gesagt offensichtlich als Gegenpart zu BOB fungiert.
Mit der Folge hat uns David Lynch schwere Kost vorgesetzt. Sie besteht im Prinzip aus drei Teilen: dem Rest der Ursprungshandlung, einem Mitschnitt eines Nine inch Nails-Auftritts und eben dem großen Rest. Hier bringt David Lynch alles ein, was ihn so auszeichnet. Wir erkennen auch hier viele Zitate seines bisherigen Schaffens wieder, es ist eine wilde Welt, wie wir sie aus seinen Kunstwerken, Skulpturen und Filmen kennen. Es ist „Mulholland Drive“ drin, es ist „Eraserhead“ drin, es ist so viel mehr enthalten. Am Anfang habe ich ja gefragt, ob es sich hierbei noch um Fernsehen im herkömmlichen Sinne handelt. Meiner Meinung nach sprengt Lynch hier ganz klar den Rahmen einer üblichen Fernsehserie – mehr als je zuvor. So etwas als Teilepisode einer Serie zu zeigen, hat noch niemand gewagt. Unser Glück ist, dass Showtime David Lynch gewähren lässt, wir bekommen die „Pure heroin vision of David Lynch“ zu sehen, wie es Showtime-Boss David Nevins einmal formuliert hat. Und Hauptdarsteller Kyle MacLachlan sagte einmal bei Jimmy Fallon, dass Twin Peaks zeigen würde, was es so noch nie im Fernsehen gab – auch das stimmt.
Jetzt ist natürlich die Frage, ob Folge 8 nun gut war oder nicht. Kaum eine Episode dürfte stärker polarisieren: Auf der einen Seite die Zuschauer, die wissen wollen, wie es weitergeht, die sich auf einen gemütlichen Fernsehabend freuen – auf der anderen Seite die ultimativen Fans der Serie und des Gesamtwerks von Lynch, für die in dieser Woche Ostern, Geburtstag und Weihnachten zusammen auf einen Tag gefallen sein dürfte.
Da ich zu der letztgenannten Gruppe gehöre, kann ich nur sagen: Diese Folge ist eine künstlerisch unglaublich hochwertige Form einer Beantwortung der Frage nach dem Ursprung von Gut und Böse, nach der Ursprungsgeschichte von BOB. Und sie bietet wirklich so viel für Lynch-Fans, dass es nicht nur beim einmaligen Schauen bleibt – trotz der schweren Kost. Es ist meines Erachtens aber auch ein Paradebeispiel dafür, wie gängige Konventionen des Fernseh- und Serienkonsums über den Haufen geworfen werden; wie sie quasi dem Erdboden gleich gemacht werden und darauf etwas künstlerisch vollkommen Anderes geschaffen wird. Es gibt nichts in der Fernsehgeschichte, was in etwa beschreibt, was diese Episode ausmacht.
Derweil Twin Peaks vor 25 Jahren Maßstäbe setzte in seriellem Erzählen, in dem Durchmischen von verschiedenen Seriengenres, in Inszenierung und Dramaturgie, setzt sich das neue Twin Peaks mit unterschiedlichen Mediengattungen und Kulturen auseinander. Es führt Kunstfilm und klassischen TV-Konsum zusammen, nimmt Reality-Formate mit auf und integriert Musik als gleichberechtigten Akteur. Es wirkt ein wenig so, als hätte sich Lynch den heute real existierenden Serienhype in Ruhe angeschaut, sich die Highlights vorgenommen und überlegt, was Serien auf einem nächsthöheren Level leisten können, für den Moment, in dem selbst hochwertig erzählte Serien wie „House of cards“ oder „Game of Thrones“ zum TV-Standard werden. Seine Antwort ist diese Folge 8 von „Twin Peaks“. Es ist Kunst auf einer neuen Ebene, es zeigt auf, was Serien über das Erzählen einer Geschichte hinaus zu leisten vermögen.
Und so etwas in einer Ferhsehserie zu verarbeiten, erfordert schon Mut und Selbstbewusstsein – sich die künstlerische Freiheit zu nehmen, so etwas zu inszenieren. Und in Sachen Showtime: So etwas produzieren zu lassen und auszustrahlen. Da kann man David Lynch und Davin Nevins nur dankbar sein für diesen großartigen Momente, der – Fernsehgeschichte, sagen wir es ruhig einmal so.
Sehr gutes Review, vielen Dank!
Trackbacks