Woah. Da erste Staffel der HBO-Serienadaption der „Watchmen“ ist vorüber und was war das bitte für ein Ritt? Nach Fabios Pilotfolgen-Review möchte ich euch in diesem Staffelreview eine möglichst spoilerarme Sicht der Dinge geben. Aber um es vorwegzunehmen: Wer auch nur ansatzweise etwas mit guten Drama-Serien, komplexen Narrativen und ausgefallenen Dingen zu tun hat, sollte sich „Watchmen“ unbedingt anschauen!
Zur Einordnung: Die „Watchmen“-Serie hat wenig bis nichts mit dem 2009er Film von Zack Snyder zu tun. Bis auf natürlich die gleiche Grundlage. Doch hat der Kinostreifen damals noch mehr oder minder die Comic-Erzählung der 1980er Graphic Novel von DC erzählt, wählt Damon Lindelof eher einen losen Ansatz, der auf der Comic-Grundlage aufbaut. Ja, richtig, nach „LOST“ und „The Leftovers“ hat Lindelof mal wieder ein spektakuläres TV-Highlight geschaffen, das hohe Erwartungen mit sich brachte und diese zum Großteil erfüllt haben dürfte. Und dafür muss man netterweise nicht mal die Comics oder die Film-Adaption kennen, um die Serie wertschätzen zu können. Ich für meinen Teil fand den Film damals recht enttäuschend, bin aber gerade sehr froh, der Serie eine Chance gegeben zu haben.
Bei der ersten Folge war ich noch unentschlossen. Wir Zuschauer werden in ein undurchsichtiges Setting geschmissen und nach der Fernsehstunde bleiben vor allem tolle cinematische Aufnahmen und Effekte hängen. Aber gerade diese Unordnung, dieses „Mittendrin“-Gefühl wird die große Stärke der Serie. Denn fortan bekommen wir die große Kunst der Entschachtelung zu sehen.
Liebe für Charaktere
Die erste Episode, bei der ich mich geärgert hatte, keine Einzelreviews zu schreiben und die „Watchmen“ für mich auf ein Top-Niveau gezogen hat, war die fünfte („Little Fear of Lightning“). Alleine für den „What is happening?!?!“-Moment hat sich die Serie bis dahin gelohnt, denn genau diesen vermehrt von einer Figur ausgesprochenen Spruch hat man als Zuschauer mindestens laut gedacht, wenn nicht ähnlich laut dem Fernseher entgegen geschrien. Erkenntnis zum damaligen Zeitpunkt: Drei Millionen Tote in New York City und eine ziemlich geniale Kamerafahrt.
Die Folge hat abseits dessen aber vor allem eines intensiviert, das wir zuvor bereits in einigen Momenten zu sehen bekamen: Liebe für Charaktere. Damit meine ich nicht, dass es so viele ausgefallene Figuren gibt, die mal einfach nur comichaft überzeichnet der Unterhaltung dienen und mal mysteriös vielschichtig erscheinen. Klar gibt es da den rumrutschenden „Lube-Man“ oder andere Wirrheiten. Ich meine, dass man sich für die eigentlichen Hauptfiguren Zeit nimmt. Nicht nur, um ein bisschen Origina-Story oder Backrground zu liefern, sondern, um ihre Geschichte gebührend zu erzählen. Denn erst durch die vielen Lebensläufe wird die Serien-Story zu einer. Alles ist verwoben. Und trotz des dystopisch anmutenden Polizeistaates voller Vigilantes bleibt es menschlich.
„You bugged my cactus?!“ – „Don‘t take it personally. I‘m FBI, we bug shit.“ (Looking Glass & Laurie)
Das wird vor mir erstmals so richtig bei Folge 5 und der detaillierten Widmung „Mirror-Mans“ klar. Ab da bekommen wir aber eigentlich nur noch Highlight-Folgen zu sehen, die intensiver in die Figuren eintauchen. Vor allem in der folgenden Exkurs-Episode voll schwarz-weißer Erinnerungen.
Liebe für Storytelling
Episode Sechs zeigt ziemlich perfekt auf, wie großartig das Storytelling in „Watchmen“ ist. Fühlt man sich als Zuschauer zunächst ob der fehlenden Einleitung etwas vor den Kopf gestoßen, wird die undurchsichtige Sachlage von Folge zu Folge klarer. Kleine, zunächst unwichtig erscheinende Aspekte vorheriger Episoden werden wieder aufgenommen und zu elementaren Bestandteilen gemacht. Sei es als Anker, der Stränge zusammenhält, verknüpft oder gar komplette Verdrehungen von Sichtweisen. Gerade die von mir angesprochene hohe Kunst der Entschachtelung wird hier außergewöhnlich gut betrieben.
Gerade durch den Status, dass wir Zuschauer noch nicht alle Details kennen, erhalten wir etliche What-the-Fuck?!-Momente. Seien es Tintenfische, vom Himmel fallende Autos oder Elefanten. Unsere Neugier wird Folge für Folge angestachelt.
„It‘s extremely difficult to be a white male in America right now.“
Aber nicht nur, was die eigentliche Handlung angeht. Auch das Spiel zwischen Gut und Böse wird nicht plakativ, sondern dynamisch gehalten. Als Zuschauer hat man vor allem in den ersten Folgen immer wieder mit Zweifeln zu kämpfen. Wer ist denn nun gut und wer böse? Für wen darf ich überhaupt sein? Die Positionierungen entblättern sich nach und nach und in immer schneller werdenden Tempo, was der Dramatik der Staffel enorm gut tut.
Liebe für Details
Dabei verliert man aber nicht die Liebe für Details. Mein Highlight war Woche für Woche eh schon immer, nach der neuen Title Card Ausschau zu halten. Denn jede Episode wurde der Titel in gelben Lettern möglichst nativ in eine Szene eingebunden. Die Namen der Folgen sind auch selbst auf einer deutlich höheren Ebene aktiv, als einfach nur stumpf einen Inhalt wiederzugeben. Mein Highlight war hier Episode 4, in der Lindelof seinen Kritikern ein deutliches „If You Don’t Like My Story, Write Your Own“ als Titel entgegen wirft. Neben den Titeln wurde auch der Serienname „WATCH(M)EN“ selbst Woche für Woche auf unterschiedliche aber jeweils zur Folge passenden Art und Weise dargestellt.
Aber auch fernab umgebender Dinge strotzt die Serie selbst vor Selbstreferenzen und kleinen visuellen Gimmicks. Das entgegengesetzte Augen-Make-Up einer heutigen Superheldin im Vergleich zu einem früheren. Allgemein die vielen Parallel zum Beispiel zu der Serie in der Serie mit dem Titel „Hero Show“ oder auch die visuellen Übergänge in der schwarz-weißen Erinnerungsfolge, wenn zwischen den Figuren gewechselt wird. Ich will an diesen Stellen mal nicht zu viel verraten.
Für mich auch ein Produktionsdetail, das ein Zeichen hoher Qualität ist, ist das Casting von Jungdarstellenden. Vereinzelt werden Figuren in unterschiedlichen Generationen gezeigt und da hat das Casting größtenteils verdammt gut gesessen. Allgemein kann man das Casting aber auch loben, denn das Schauspiel ist verdammt gut. Vor allem Regina King als Angela Abar und Jeremy Irons als Adrian Veidt haben mir sehr gefallen. Zu Letzerem sei angemerkt, dass ihr bei den Folgen immer mal darauf achten solltet, ob es nicht vielleicht eine Post-Credit-Szene zu sehen gibt.
Ach ja, und dann wäre da noch das vor allem in der zweiten Hälfte verstärkte Spiel mit der Farbe Blau…
Liebe für Spektakel
Ich nehme glaube ich nicht zu viel vorweg, dass Dr. Manhattan nicht die ganze Zeit der Staffel auf dem Mars herumturnt. Dieser kleine Gag-Bezug zum Ende des Films ist nett, aber wir bekommen auch vergangene Taten des mächtigen Superheldens erzählt. Bei seinem Bar-Gespräch in einer Folge bekommen wir wieder das großartige Storytelling-Potenzial der Serie zu spüren. Wie hier gekonnt und beinahe stufenlos zwischen den Zeit-Ebenen gesprungen und so passend in der momentanen Narrations-Situation ein größerer Gesamtzusammenhang für sowohl eine bestimmte Figur als auch uns Zuschauern geschaffen wird, ist großes Fernsehen.
„I‘m hungry.“ (Dr. Manhattan)
Ab hier startet das große Finale, das die komplette Ausrichtung der Staffel als Kontext setzt. Alle (wichtigen) Figuren finden zusammen und es wird klar, wer gut, wer böse und wer vor allem erfolgreich sein wird.
„It‘s a rerun. You had a genius idea twenty years ago, but you‘re still doing the same thing. But smaller.“ (#2346)
Neben einer etwas seltsam anmutenden Szene, die mich an das „Aufladen“ eines Super-Saiyajin in „Dragon Ball“ erinnert hat, hat mich hier vor allem gewundert, wie viele Leute dann doch noch überlebt haben. Das war beim großen Showdown dann doch eine der vereinzelten erzählerischen Schwächen, da hier inkonsequent vorgegangen worden war. Oder aber, es wird einfach der falschen Berechnung einer Figur unterworfen, was mir aber ähnlich wenig Sinn ergeben würde.
„Am I dead?!“ – „No. But the night is young.“ (Laurie & Adrian)
Wie dem auch sei, wir bekommen ein gebührendes Finale zu sehen, das neben einem gigantischen Abschluss auch die Beantwortung einer zentralen Frage gekonnt offen lässt. Und die Diskussionen unter den Fans dürften parallel zum Abspann eingesetzt haben, wie es denn wohl weiter gehen könnte.
Wer über die besten Neustarts des TV-Jahres nachdenkt, kommt um „Watchmen“ nicht drum herum. Nicht, weil sie von Anfang bis Ende neue Maßstäbe gesetzt hätte, aber wer sich durch die etwas überfordernden ersten Episoden „kämpft“ (das klingt negativer, als es gemeint ist), wird aber mal so richtig belohnt. Die große Stärke der verschachtelten Erzählung erwirkt ihren Reiz halt erst, sobald man ein paar Schichten abgelegt hat.
Mir hat diese Staffel „Watchmen“ jedenfalls deutlich mehr Spaß gemacht als „The Leftovers“, das mir vor allem in den ersten Staffeln viel zu runterziehend war. „Watchmen“ ist zwar auch keine Gute-Laune-Serie, weiß aber mit genug Interessantem drumherum aufzuwarten und hat zudem auch erzähltechnisch ordentlich einen drauf gesetzt. Dazu erhalten wir viele richtig tolle Aufnahmen, gut geschriebene Dialoge und nicht zuletzt auch einen starken gesellschaftspolitischen Bezug. Vor allem das Thema Rassismus wird in vielen Fassetten erzählt, was ja leider noch und wieder heutzutage auch in der realen Welt seinen Platz hat.
Alles in allem bleibt mir eine klare Empfehlen auszusprechen. Wie gesagt, man muss die Comics oder den Film vorab nicht gesehen haben, um „Watchmen“ wertschätzen zu können. Bestimmt gibt es hier und da Bezüge, aber die braucht es nicht für das Gesamtverständnis. Wer Serien wie bspw. „Westworld“ mag, an die mich die Erzählweise und Atmosphäre immer mal wieder erinnert hat, dürfte auch hier seinen Spaß haben. Die Staffel wirkt bisweilen kunstvoll inszeniert und ist in vielerlei Hinsicht ein origineller Gegensatz zum TV-Drama-Allerlei, dass es viel zu sehen gibt. Und nächstes Halloween dürfte der Maskenverkauf deutlich anders gefärbt sein als dieses Jahr. Vor allem blauer…
Wer jetzt interessiert ist, „Watchmen“ zu gucken, kann das über Sky machen oder sich die Folgen bspw. auch über Amazon (Partnerlink) kaufen. Abschließend sei noch auf den Trailer zur HBO-Serie hingewiesen. Viel Spaß!
Bilder: HBO
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