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Die Kunst der Künstlichkeit

Review: Westworld S01E01 – The Original

3. Oktober 2016, 19:00 Uhr
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Jeden Morgen wacht Dolores Abernathy auf und zieht ihr blaues Kleid an, fragt ihren auf der Veranda des großen Hauses sitzenden Vater, wie er geschlafen hat, verabschiedet sich und verspricht ihm, vor der Dunkelheit wieder zuhause zu sein. Sie macht ein paar Besorgungen und malt an dem immer gleichen Fleck in der Landschaft wilde Pferde. Tag … für Tag … für Tag. Doch welche grausamen Geschehnisse sich nach ihrer Routine ereignen, vergisst sie wieder, sie werden gelöscht.

Was sich zunächst anhört wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ ist in „Westworld“ ein ausgeklügeltes System eines futuristischen Western-Themenparks des 21. Jahrhunderts, in den Menschen für Geld eintauchen können und in einer Umgebung des 19. Jahrhunderts landen. Hier gibt es Waffenduelle, Sheriffs vor „Wanted“-Plakaten, Saloons und Whiskey. Die einzige moderne Technik steckt hier in den „Hosts“, den Gastgebern, die sich äußerlich nicht von Menschen unterscheiden, aber in Wirklichkeit nicht mehr als Androiden, menschliche Maschinen sind. Diese werden abgestellt, um den zahlenden Menschen Vergnügung zu sein – ganz gleich welcher Form. Manche kommen hier her, um Alkohol zu trinken, Frauen kennenzulernen und ganz besondere Abenteuer zu erleben. Andere wiederum nutzen die Chance der „Straffreiheit“ dieser anderen Welt, um Menschen zu schikanieren, sie zu vergewaltigen, sie umzubringen. Die Menschen nämlich können den Hosts die schrecklichsten Dinge antun, die Hosts jedoch können den Menschen keinerlei Schaden zufügen. Kein Schuss, kein Messerstich, kein Schlag kommt an.

Die Androiden wissen nicht, dass sie künstliche Menschen sind. Sie wissen, dass sie sich von den Neuankömmlingen unterscheiden, aber hinterfragen dies nicht weiter. Für sie wollen auch die Neuen nur an diesem Ort sein, um Freiheit zu genießen. Dass die Androiden allerdings die Marionetten in dieser „Freiheit“ bilden, bleibt für sie unsichtbar. Ein Team aus Wissenschaftlern rund um Schöpfer Dr. Robert Ford steuert und kontrolliert den Park. Jeden Tag wird aufs Neue dafür gesorgt, dass alle neuen, brutalen Ereignisse aus dem System der Roboter gelöscht werden. Sie erinnern sich am nächsten Morgen an nichts mehr und gehen wieder ihrer alltäglichen Routine nach.

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In der ersten Viertelstunde der Folge „The Original“ werden wir Zuschauer in die neue Welt, in Westworld, eingeführt. Doch was wir sehen, stimmt mit dem, was wir aus dem Off hören, nicht so ganz überein. Dolores, der älteste Host des ganzen Parks, wird nach ihren Empfindungen in Bezug auf den Park bzw. ihr Leben befragt. Standard, denn es wird sichergestellt, dass genau die Informationen in ihrem System aktiv sind, die für den reibungslosen Ablauf im Park relevant sind. So erzählt uns Dolores also, wie sehr sie ihr Leben liebt und wie toll sie die Newcomer findet, während wir sehen, wie ihr Vater ermordet, ihr Freund Teddy erschossen und sie selbst vergewaltigt wird. Welch schöne neue Welt!

„Tell us what you think of your world.“ – Wissenschaftler
„Some people choose to see the ugliness of this world. The disarray. I choose to see the beauty.“ – Dolores

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Jeden Tag kommen neue Besucher in den Park, doch plötzlich spielt ein Host verrückt. Seltsame Zuckungen verdeutlichen, dass sich ein Fehler in sein System geschlichen hat. Nur ein glitch, eine kleine Störung, ausgelöst durch das kürzlich ausgeführte Update? Jede minimale Abweichung vom Skript, jeder Aussetzer wird unmittelbar untersucht. Ab und an müssen einzelne Androiden aus dem Park entfernt werden, um dann unbrauchbar in einer Lagerhalle abgestellt zu werden. Rollen werden mit der nächsten Maschine nachbesetzt und der Alltag im Park kann von vorne beginnen. Zu groß ist das Risiko einer Störung oder Gefährdung der Themenpark-Besucher, fatal die Auswirkungen auf’s Geschäft.

Ein Foto, das eine moderne Frau im 21. Jahrhundert zeigt und das von Dolores Vater gefunden wird, eine kleiner „Newcomer“, der Dolores sagt, dass sie nicht real sei, ein skrupelloser Mann in Schwarz, stark gespielt von Ed Harris, der seinen kranken Geist seit 30 Jahren im Park trainiert – all das bringt die Systeme durcheinander. Hinterlassen die Geschehnisse doch unterbewusst Spuren bei den Hosts? Als sich die Störungen häufen, werden die Strippenzieher nervös.

„The hosts are supposed to stay within their loops, stick to their scripts, with minor improvisations. This isn’t a minor improvisation. This is a fucking shitstorm.“

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Schon das Intro zeigt die Präzision und Kunst der Erschaffung der Androiden. Doch ist das wirklich Kunst – oder nur das Ausnutzen menschlicher Macht und Kontrolle? Evan Rachel Wood spielt ihre Rolle als ältester Host und verletzliche, schöne Dolores, deren Name schon nahelegt, dass ihr im „Leben“ viel Schmerz widerfahren wird, wunderbar naiv. Doch spätestens mit der letzten Szene von „The Original“ wissen wir, dass sich hier noch eine große Charakterentwicklung vollziehen wird. Und auch Anthony Hopkins scheint als Schöpfer des Parks, mit seiner so beruhigenden, aber auch leicht umbehaglichen Hannibal-Stimme, perfekt in die Rolle des Dr. Ford zu passen. Unglaublich überzeugt hat mich jedoch Louis Herthum alias Dolores Vater Peter Abernathy. Die Emotionen, die er mit seinem Schauspiel in der Rolle des zweifelnden Androiden, der plötzlich Fragen hat und nicht mehr nach Skript spricht, transportiert hat, haben mich wirklich mitgerissen. Er mag als unbrauchbar in der Lagerhalle abgestellt worden sein, doch das war sicherlich nicht sein letzter Auftritt.

„Don’t you see? Hell is empty and all the devils are here!“ – Peter Abernathy

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Interessant fand ich den Einsatz der Fliege, die uns erst nur Zucken lässt und zum Ende hin verrät, welche Figuren nur künstliche Maschinen sind und welche vielleicht eher eine künstliche Intelligenz darstellen. Abseits vom Inhalt gefielen mir die unheimlich schönen Landschaftsaufnahmen sehr gut, aber auch die Detailverliebtheit, die uns beispielsweise Reflexionen in Brillengläsern und Spiegeln, aber auch Nahaufnahmen von Maschinen und ihrer Schöpfung schenkt. Ich fand es gut, dass wir einige Szenen immer und immer wieder gesehen haben, um die Repetition zu verinnerlichen und besser nachvollziehen zu können, dass der Ablauf im Park einfach der immer gleiche ist. Perfekt untermalt wurden die Szenen von Musik, die schon die Titelsequenz besonders macht.

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Science-Fiction-Western-Serie klingt zunächst einmal komisch und irgendwie zu viel des Guten. Doch die Umsetzung ist spannend. Westworld zeigt uns die menschlichen Abgründe. Der Themenpark ist ein Spielplatz erwachsener Kranker und wir sind die Zuschauer.

„Have you ever questioned the nature of your reality?“

Ob Jonathan Nolan und J. J. Abrams mit Westworld gemäß der auf ihnen lastenden großen Hoffnung ein zweites Game of Thrones für HBO geschaffen haben, bleibt abzuwarten. Der Auftakt jedenfalls ist vielversprechend, lässt aber auch noch Platz nach oben. Aber wo gibt es den nicht?

Nächste Folge

Bilder: HBO

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Montag, 3. Oktober 2016, 19:00 Uhr
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