Wie es sich wohl nun gehört, tauchen wir auch in der neuen Folge „Westworld“, in „Virtù e Fortuna“ wieder direkt und zunächst ohne Intro in eine neue Welt ein. Und auch diese fühlt sich ganz anders an. Zu einer instrumentalen Cover Version von „Seven Nation Army“ von den White Stripes gelangen wir in das britisch-koloniale, aufgrund von deutlicher Zuteilung der Hosts in indische Bedienstete und der Menschen in westliche, reiche Befehlsgeber, sehr rassistisch geprägte Indien. Eine Frau mit einem ledernen Notizbuch trifft auf einen Mann, der wie sie aufgrund seiner Lust am Jagen Bengalischer Tiger in diesen, für uns Zuschauer neuen Park gekommen ist. Moment Tiger? Da klingelt doch etwas. Vielleicht könnte ein Mysterium in dieser Episode geklärt werden.
Quite real
Die Frau ist dem Mann gegenüber skeptisch und muss erstmal auf recht direkte Weise austesten, ob er Mensch oder Host ist. Er besteht den Test und darf mit ihr auf Jagd. Doch irgendetwas ist komisch. Außer ihnen ist im Lager plötzlich keine Menschenseele (haha, diese Redewendung ist hier mehr als zweideutig) anzutreffen. Und da ist es auch wieder, das sich herrlich unterbewusst einschleichende Gefühl der Gefahr wird größer und größer und schon richtet einer der Bediensteten-Hosts auch schon seine Waffe auf die beiden. Für den Begleiter ist der Auftritt schnell vorbei, für die Expeditionsfrau heißt es nun fliehen. Und während sie den Host überwältigen kann, steht auch schon die nächste Flucht an: vor einem Tiger. Sagen wir so, ihre Jagd ist anders gekommen als gedacht. Sie flieht bis zu einer Brücke, die ziemlich eindeutig das ist, was ihre Zeichnung in ihrem Lederbüchlein vorher gezeigt hat: der Übergang zwischen zwei Themenparks.
Und während eine automatische Ansage den Hinweis gibt, dass sie die Grenze der Erlebniswelt überschreitet, sehen wir auch (noch einmal bestätigt), wie es der Tiger der ersten Episode dieser Staffel in den anderen Park schaffen konnte: Die Sensoren, die die Hosts in ihrer Begrenzung halten, haben ihre Wirkung längst verloren.
It’s a slaughter house in there
Wir sind wieder in der Gegenwart angelangt. Bernard trifft mit Karl und Stubbs am Eingang der Kontrollstation ein, an dem sie weiteres Delos-Sicherheitspersonal in Empfang nimmt. Leider mit den schlechten Nachrichten, dass es darin nicht nur wie in einem Schlachthaus aussieht, sondern auch, dass der wertvolle Host Peter Abernathy nicht zu finden ist – Moment mal, war nicht die Voraussetzung für Hilfe, dass Abernathy erst aus dem Park geschafft wird? Ist wohl anders gekommen. Bernard trifft wieder auf Charlotte Hale, die überrascht ist, dass er überhaupt noch unter ihnen weilt. Er soll sich erinnern, wo Abernathy ist und schwupps, werden wir in der Zeit wieder einige Tage zurückversetzt.
Call me Wyatt
Hale und Bernard der Vergangenheit sind damit beschäftigt, Peter Abernathy zu lokalisieren und finden ihn schließlich zwischen menschlichen Gefangenen. Wird er von den anderen Hosts als Mensch wahrgenommen? Es bleibt nicht groß Zeit, darüber zu grübeln, denn während Hale noch schnell fliehen kann, werden Bernard und Peter Abernathy nach kurzzeitiger Rettungsmission nun von weiteren Hosts schon wieder gefangen genommen – im Auftrag von Dolores. Und die kann es kaum fassen, dass tatsächlich ihr ‚Vater‘ unter den Gefangenen ist – und ich kann es kaum fassen, dass der großartige Louis Herthum wieder da ist!
„He’s my father, my home.“
Das Aufeinandertreffen von Dolores und ihrem Vater ist sehr emotional. Zunächst kann er sie nicht zuordnen, doch bald ist er kurzzeitig zurück in seinem Loop, um Dolores für wenige Sekunden das Gefühl von Heimat zurückzugeben, das sie in dieser Form vermutlich nie wieder erfahren wird. Sie gesteht ihm, dass sie einen Krieg begonnen hat. Und schon ist ihr Paps auch wieder in seinem Glitch gefangen. Wer könnte da besser helfen als Bernard, der ihrem Arnold zwar ähnlich sieht, sie aber noch herausfinden muss, ob dieser darüber hinaus im geringsten etwas mit ihm gemein hat. Es entsteht ein schöner Dialog zwischen Dolores und Bernard, beinahe wie Lehrerin und Schüler, die, deren Bewusstsein groß ist, versucht den verlorenen Jungen an die Hand zu nehmen.
„And the world out there is marked by survival, by a kind that refuses to die. And here we are, a kind that will never know death, and yet we’re fighting to live. There is beauty in what we are. Shouldn’t we, too, try to survive?“
Bernard kümmert sich um den neben sich stehenden Peter, der in einer Grandiosität sein schauspielerisches Können unter Beweis stellt, dass man diese Szene am liebsten gleich fünfmal sehen will. Bernard findet die Ursache, dass Abernathy alle seine je gespielten Rollen auf einmal abzurufen scheint: Auf ihm befindet sich, wie wir schon wissen, ein riesiger Datensatz. Doch was genau stellt Bernard damit an? Überträgt er die Daten auf sich?
Dolores baut unterdessen weiter ihre Armee aus, um die Leute „up from the ground“ besiegen zu können. Mit einer linken Tour, die wieder zeigt, wie kühl und skrupellos sie mittlerweile handelt, kann sie ‚ihre‘ Hosts schützen. Im gleichen Zuge jedoch erkennt sie Teddys Schwächen. Und dann wird auch noch ihr Vater geklaut. Sie hat es auch nicht leicht.
New World
Maeve, Hector und Lee, der ziemlich albern aussieht mit seinem Esel und seiner Kostümierung, schlagen sich weiter durch den Park. Doch Ghost Nation möchte sie nicht passieren lassen – es sei denn, sie lassen Lee zurück. Machen sie natürlich nicht und können in letzter Sekunde wieder durch einen Lift in die Kontrollstation fliehen.
Dieser Erzählstrang ist wirklich schön inszeniert. Die Indianer wirken furchteinflößend, nicht zuletzt wegen der tollen Maske. Die Stimmung ist direkt angespannt und sogar ein bisschen gruselig. Dazu macht die Sprache, die wir nur durch Untertitel verstehen, das Ganze noch unheimlicher, da mysteriöser.
Hinter den Kulissen des Parks angekommen kann Lee nur darüber grübeln, wie die Hosts so gegen ihre Programmierung handeln können und bezieht sich damit vor allem auf die Liebschaft zwischen Hector und Maeve, zwei ursprünglich auf das Alleinsein gescriptete Figuren. Und nachdem die beiden sich irgendwie so etwas wie ihre Liebe gestehen, treffen die drei im Folgenden nicht nur auf Armistice (mit künstlichem Unterarm!), sondern auch auf Felix und Sylvester, bevor sie wieder in den Park schreiten und ja, ganz offensichtlich tatsächlich in der dritten Welt, in der verschneiten Shogun World landen und ein gezücktes Samurai Schwert die Schwarzblende und damit das Ende dieser Episode einleitet.
Ich glaube, „Westworld“ kann gar nicht langweilig werden. In dieser Episode lernen wir gleich zwei neue Parks kennen. Einer davon ist die bereits in Ansätzen angekündigte kühle und düstere Shogun World, ein anderer ein staubiges indisches Reich. Und beide fühlen sich nochmal ganz anders an, als beispielsweise die „reale“ Welt aus vorheriger Episode. Vor allem die Musik unterstützt diesen Eindruck, was mir wirklich gut gefallen hat. Die Tiger-Animation war schon echt okay, aber hat mich dennoch gestört, da bisher alles im Park immer extrem echt wirkte und für mich die Illusion hier etwas beeinträchtigt wurde. Aber ich weiß, das ist Meckern auf hohem Niveau.
Zudem finde ich, dass in dieser Folge die Rückblicke, sowohl die Bernards als auch die von Maeve, die ausgelöst werden, als sie in den Indianern ihre einstigen Peiniger erkennt, sehr schön inszeniert wurden. Vielleicht ist es zu viel interpretiert, aber sie verdeutlichen, dass Erinnerungen Fetzen sind, die in Bruchteilen daher kommen, was den Hosts bisher nie zugestanden wurde, da sie ihre Erinnerungen immer wie einen Film abspielen konnten. Ein Zeichen, dass Bernard und Maeve immer menschlicher werden? Oder nur ein weiteres Zeichen, dass sie sich lediglich an alte Erzählstränge und Rollen erinnern?
Das Highlight dieser Episode ist für mich ganz klar die Rückkehr Peter Abernathys und seine für diesen Neuanfang recht beschauliche on-screen-Zeit. Was für ein Schauspieler! Ich finde seine Leistung, aber auch wieder einmal die von Evan Rachel Wood als Dolores herausragend und damit ist auch fast vergessen, dass wir in dieser Episode nicht einmal dem jungen William oder aber dem Man in Black begegnen. Na gut, fast.
Und verheißt das schöne, in Panflöten-Klänge gehüllt Outro etwa, dass wir bald auch noch tiefer in die Welt von Ghost Nation tauchen werden? Die Lederbuch-Dame auf alle Fälle.
Bilder: HBO
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