Auch diese Woche begeben wir uns mit der neuesten Folge „Westworld“ wieder auf eine emotionale Berg- und Talfahrt. Und nachdem wir letzte Woche so viel über Akecheta und Ghost Nation erfahren durften, tauchen wir dieses Mal tief in das oder wohl besser gesagt die Leben des Man in Black, von William ein.
Tiny fleck of darkness
Ein stark nuschelnder William bringt uns per Voice-Over zurück zu dem Moment, als seine Ehefrau Juliette Selbstmord begangen hat. Ausschnitthaft, unterbrochen von längeren Schwarzblenden, werden uns kurze Einblicke in die Tragödie gegeben: Wasser, das von der Decke tropft, ein die Treppen hoch rennender William, eine übergelaufene Badewanne mit einer reglosen Hand und die Frage, wie es so weit kommen konnte.
Es wird noch ein bisschen weiter zurückgespult: Eine Feier für William zeigt uns zunächst seine „erwachsene“ Familie in der realen Welt: Juliette, das erste Mal hier verkörpert von einer tollen Sela Ward, ist offensichtlich Alkoholikerin und scheint den Rausch anzustreben, um eben dieser Realität mit William zu entfliehen. William ist selbst in der realen Welt und so viele Jahre nach seinen ersten Abenteuern im Park mit seinen Gedanken bei Dolores.
„Even if there is an infinity of worlds, you conquered far more than one.“
Like a virus
Zurück im Park während der Rebellion versucht Emily den aus den Fängen von Ghost Nation befreiten William zu verarzten. Sie hat ein Rettungsteam gerufen, das sie aus dem Park herausholen und William ins Krankenhaus bringen soll. Und dann will sie ihn für sein „Projekt“, die Daten der Gäste zu speichern und daraus digitale Kopien herzustellen, hinter Gittern bringen. Was zunächst als eine von beiden Seiten reuevolle Konversation beginnt, die uns immer wieder an den tragischen Abend zurückbringt, an dem Juliette sich das Leben nahm, ändert sich recht schnell in ein misstrauisches Gegenüber, bei dem die Hand an die Waffe wandert.
Denn nicht nur steht William trotz seiner zahlreichen Verletzungen auf, er hat auch noch genug Energie seine im Park immer wieder einsetzende Unterhaltung mit Robert Ford fortzusetzen und ist bereit, sein Spiel weiterzuspielen. Daher ist es für William naheliegend, dass Ford auch hier allgegenwärtig ist und ihm in der Gestalt seiner Tochter eine weitere Aufgabe geschickt hat, die zum Erreichen seines Ziels notwendig ist. Emily ist fassungslos, dass ihr eigener Vater nicht mehr in der Lage zu sein scheint, zu erkennen, dass sie seine wahrhaftige Tochter und ein echter Mensch ist.
„I’m not a host pretending to be a human, dad.
I’m your daughter pretending to give a shit.“
Ihre Worte sind hart, aber vollkommen wahr. Während sie erst noch auf Vater-Tochter-Verbindung-Art und Weise versucht hat, an ihn heranzukommen und scheinbar kläglich gescheitert ist, versucht sie jetzt nur noch herauszufinden, was der Auslöser für die Tat ihrer Mutter war.
„You haven’t lost yourself to pretending. You are in your very essence a lie.“
Als das Delos-Personal schließlich erscheint, erkennen die bewaffneten Leute William ganz klar als den Chef. Doch der ist nach wie vor überzeugt, dass das hier alles ein Spiel ist und erschießt nicht nur das Delos-Aufgebot, sondern auch seine vermeintlich duplizierte Tochter. Hat er seinen Tiefpunkt erreicht? Wir wissen nicht zu 100 Prozent, dass diese Emily hier ein Mensch war, doch alles, vor allem Williams Profile-Card, weist darauf hin, dass William sich mit seinem Misstrauen ihr gegenüber geirrt hat. Doch wir wissen ja, wozu Annahmen in dieser Welt führen können.
Eben diese Profile Card führt uns nun wirklich zu den Geschehnissen in der Nacht von Juliettes Selbstmord. Emily und William bringen Juliette aufgrund ihrer Trunkenheit von der Party nach hause. Ihre Vorwürfe gegen William mehren sich, er scheint fast schon daran gewöhnt zu sein und es so hinzunehmen, dass sie ihn beschuldigt, ihre ganze Familie, Logan, James und nun sie zu zerstören. Sein Blick erinnert zwischendurch immer wieder an die Güte des jungen William – wohl wissend, dass Juliette mit ihren Anschuldigungen recht hat? Als er sie ins Bett bringt, konfrontiert sie ihren Mann ein letztes Mal und fragt ihn, ob er eigentlich real ist, ob er überhaupt noch wisse, wer er ist. Kein Kommentar. Er denkt, sie schläft ein und nutzt die Gelegenheit, seine Profile Card in einem Buch zu verstecken. Diese wurde ihm auf der Party zuvor von einem mahnenden Ford ausgehändigt, der William bezüglich seiner illegalen Daten-Machenschaften ins Gewissen reden wollte, doch von ihm zurechtgewiesen wurde, sich aus seinem Projekt herauszuhalten. Denn es schien eine wohl ausgesprochene Regel zu geben: Delos hält sich aus den Stories raus, Ford aus dem „Datenprojekt“ im Valley Beyond. Und an dieser Stelle hat Ford den Gedanken gefasst, William ein letztes Spiel spielen zu lassen.
Wall
Sich durch ihren Schlaf in Sicherheit wiegend spricht William ein letztes Mal ehrlich zu Juliette: Sie sei die einzige, die durch seine Mauer blicken könnte und verstanden hat, dass er sich weder ihr, dieser Familie, noch dieser Welt zugehörig fühlte.
„I don’t belong to you, or this world. I belong to another world. I always have.“
Als er sie allein lässt, um mit Emily über Juliettes erneuten, unumgänglichen Entzug zu sprechen, holt sie die Karte aus dem Versteck und lässt die Daten auslesen. Ihr wird in Sekundenschnelle ein Abriss von Williams Jahren im Park gegeben.
What about the Madame?
An anderer Stelle versucht Charlotte Hale Maeves Fähigkeiten auf Clementine zu übertragen. Durch das Steuern anderer Hosts soll sie es schaffen, dass diese verbliebenen Maschinen sich gegenseitig ausschalten. Der erste Testdurchlauf glückt und für Hale und ihren Gehilfen gibt es keinen Grund mehr, Maeve nicht zu entsorgen. Doch Bernard beobachtet des Szenario. Da er immer noch von Fords Bewusstsein gesteuert wird, genügt es, dass er sich in Maeves Nähe begibt und sie sich mit ihm „verknüpft“, sodass Ford auch auf sie „überspringen“ kann. Ein recht langer Monolog Fords folgt, in dem er Maeve sogar offenbart, dass sie immer sein Liebling war.
„Sometimes I thought the only way to endure this world was to laugh at it, so I imbued my hosts with a worldview that reflected my own. Of all the hosts I made, you, Maeve, were my favorite. It isn’t easy to contemplate letting your children die. You were as close as I got to having one. Still I underestimated you. You stayed here in this world to save your child. So have I. I tried to chart a path for you to force you escape, but I was wrong. I should have just opened the door. You’ve come so far and so much of your story is still left to tell. It’s a shame to let them end it here. Don’t let them.“
Klingt zunächst nach Abschied? Mit dem Kuss auf die Stirn wirkt es noch mehr so. Doch es scheint viel eher eine Befähigung zu sein, denn plötzlich kann sie auf ihr „Kern-Level“ zugreifen, was sie – vermutlich – noch stärker machen wird. Maeves Zeit ist noch nicht vorbei.
Out of my head
Bernard macht sich unterdessen wieder einmal mit Elsie auf in den Park. Denn sie wissen nun, was es mit dem „Valley Beyond“ auf sich hat: Während im „CR4DL“ alle Daten der Hosts gespeichert sind, enthält das „Forge“, auf Deutsch „die Schmiede“, alle Daten der Gäste bzw. all ihre „Erkenntnis“. Nicht nur von James Delos – und wie es scheint von William – wurden Duplikate, Klone, digitale Kopien erzeugt. Das Forge ist dafür da, von jedem Gast, der den Park betritt, ein identisches Abbild zu speichern. Bernard will vor allen anderen im Forge eintreffen. Doch Ford wütet nach wie vor in seinem Kopf herum und versucht ihn dazu zu treiben, Elsie auszuschalten. Kurzerhand schlitzt Bernard sich den Arm auf, verbindet sich mit seinem System und löscht den „fehlerhaften“-Ford-Code. Elsie lässt er trotzdem wieder zurück.
On our own
Dolores und Teddy stoßen auf ihrem Weg ins Valley Beyond mit ihrer (mittlerweile komplett unbekannten) Crew auf Ghost Nation (ohne Akecheta). Diese machen ihr deutlich, dass es dort keinen Platz für sie, den Todbringer gibt. Das will Dolores natürlich nicht hören und startet einen Kampf mit ihnen, den nur sie und Teddy und der von Teddy heimlich verschonte Wanahton überleben. Interessant ist, dass Teddys ursprüngliche Programmierung hier durchzukommen scheint. Mit größter Willenskraft kann er sich seiner puren Zerstörungsprogrammierung und damit auch Dolores widersetzen.
Doch die Situation bringt ihn zum Nachdenken. Dolores ist sein Cornerstone und sein einziges Ziel im „Leben“ ist es, sie zu beschützen. Doch um jeden Preis? Auch, wenn sie ihn für ihre Zwecke ändert? An einem abgelegenen Ort nah an ihrem Ziel entwickelt sich ein emotional geladenes Gespräch zwischen Teddy und Dolores und es beschleicht den Zuschauer das Gefühl, dass einer der beiden Hosts dies nicht überleben wird. Doch bevor man sich überhaupt fragen kann, ob Teddy Dolores tatsächlich erschießen wird, wird schon klar, dass er den Ausweg aus dieser Situation in seinem eigenen Ableben findet. Dolores ist nun vollkommen auf sich allein gestellt.
Der erzählerische Aufbau dieser Episode gefällt mir. Auch wenn die lückenhafte Geschichte, die sich langsam aufbaut und uns das fehlende Teil ganz am Ende serviert, keine wirklich neue Art des Erzählens ist, steigert dies die Spannung ungemein und lässt die Frage nach dem Grund für Juliettes Selbstmord wieder und wieder aufkommen. Meine erste Reaktion auf die Enthüllung der Daten von Williams Profile Card, gepaart mit dem ständigen Griff zu seinem Unterarm, war, dass er selbst ein Host ist – die „002“ in seinem Profil für den nach James Delos zweiten, nach eindeutigem menschlichen Vorbild geschaffenen Host dieser Art stehend? Doch wenn das so ist, was ist dann mit dem echten William passiert? Hat es den überhaupt je gegeben? Gibt es vielleicht sogar den Host William und den Mensch William und werden wir hier wieder Folge für Folge hinter’s Licht geführt? Pures Gedanken- und Theorienchaos. Ja, mir kam sogar ein weiterer merkwürdiger Gedanke, mit dem ich mich sicher ein paar Tage beschäftigen und die Möglichkeiten der logischen Auflösung durchspielen werde: Ist William vielleicht Ford? Macht das irgendeinen Sinn? Und ist Ford eigentlich nun gut oder schlecht? Gut nur noch zu Hosts, denen er das Bewusstsein damals immer abgesprochen hat?
Schön finde ich auf jeden Fall, dass wir am Ende der Episode wieder zu dem Moment zurückkehren, der uns am Anfang gezeigt wurde: Ein Man in Black kurz vor dem Selbstmord. Ein William, der sich Fragen stellt, die keiner beantworten kann.
„What is a person but a collection of choices? Where do these choices come from? Do I have a choice? Were any of these choices mine to begin with?“
Der deutsche Titel dieser Episode, der dieses Mal wirklich gut gewählt wurde, lautet „Virus“ und ist auf viele Aspekte dieser Folge zu beziehen. William, der für seine Familie wie ein Virus ist, der alles zerstört. Clementine, die durch Maeves Programmierung alle Hosts wie eine Art Virus infizieren und sie sich gegenseitig umbringen lassen kann. Dolores, die auf ihr gesamtes Umfeld, sei es Mensch, sei es Host, wie ein Virus wirkt. Ford, der sich wie ein Virus in die Programmierung der Hosts fressen kann. Eine passend gewählte Metapher für das, was hier in Westworld „and beyond“ vor sich geht.
Was mir an der Episode weniger gefallen hat, ist die Offenbarung, dass die Hüte der Westworld-Besucher eine wahrlich andere Bedeutung und Aufgabe hatten, als wir dies bisher angenommen haben. Scheinbar werden diese als „Hirnscanner“ eingesetzt, um bis in den Kern der Parkgäste vorzudringen. An sich eine nette Idee, aber irgendwie doch auch ziemlich flach. Aber vielleicht muss ja auch nicht alles an dieser Serie die gleiche hochgradige Komplexität besitzen. Womit wir direkt bei einem Detail wären, das mir wiederum überaus gut gefallen hat, nämlich der Tatsache, dass William seine Profile Card in dem Buch „Slaughterhouse-Five“ versteckt, einem Buch mit einer Erzählung, die in der Zeit springt, und einem Protagonisten mit Namen Billy, der am Ende in einer Art Alien Zoo gefangen ist. Kommt mir irgendwie bekannt vor.
„Vanishing Point“ ist für mich eine tolle, hoch emotionale Folge mit starken Dialogen (und Monologen), die genau dorthin treffen, wo sie hintreffen sollen; mit tollen Darstellern, die ihre Verletzlichkeit offenbaren, mit schönen gestalterischen Elementen wie dem Einsatz von Überbelichtung und mit vielen Abschieden. Es wird nur noch eine Episode dieser Staffel folgen, in der, wie es aussieht, alles im Valley Beyond zusammenlaufen wird. Wir sollten uns vielleicht auch besser noch auf ein paar weitere Offenbarungen einstellen. Und uns schon mal Zeit zum Grübeln blocken.
Bilder: HBO
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