Westworld ist zurück. Wir mussten auch wirklich lange genug warten, nicht nur generell auf die dritte Staffel, sondern in Deutschland nun auch noch 14 Tage länger als in den USA. Hier und da konnte man schon Bilder der laufenden Staffel erspähen, auch um ein paar kleine Schmankerl kam ich persönlich in meinem News-Feed nicht drumherum. Aber bisher zerstören sie mir das Serienerlebnis irgendwie nicht, sie schaffen eher noch mehr Anreiz für die neue Staffel. Das bleibt hoffentlich so.
Wo waren wir?
Westworld ist so komplex wie kaum eine andere Serie. Eine kurze oder simple Zusammenfassung der vergangenen Ereignisse zu geben ist schier unmöglich. Ich habe das Gefühl, die Geschehnisse muss ich auch immer noch verarbeiten, so verworren und verschachtelt war das alles, was wir zuletzt gesehen bekommen haben. Aber gut, wo wurden wir zurückgelassen?
Die Hosts, angeführt von Dolores, haben in Staffel zwei eine ordentliche Rebellion hingelegt. Sie haben das Kontrollzentrum des Themenparks erobert und Dolores war drauf und dran, alle Daten aus dem System zu löschen. Denn wie wir am Ende der vergangenen Season erfahren haben, wurden alle Daten der Gäste, die je einen der verschiedenen Themenparks besucht haben, zentral gespeichert. Nicht die Hosts waren die Experimente der Menschen, sondern die Parkbesucher wurden zu den Forschungsobjekten.
Die meisten Hosts sind ins „Eden“ übergetreten, Clementine und Maeve sind beide ausgeschaltet worden (mal sehen, wie lange…) und auch wenn Dolores und Bernard (und zuvor Arnold) schon immer eine besondere Beziehung zueinander hatten, haben sich ihre Wege am Ende der zweiten Staffel getrennt – und zwar außerhalb des Parks. Denn Dolores konnte den Park unerkannt in Charlotte Hales Körper zusammen mit einigen überlebenden Parkgästen, dem Personal des Parks und ein paar Host-Backups im Gepäck verlassen.
The Person Who Set You Free
Schon in den ersten Szenen der dritten Staffel wird bestätigt, was durch die diversen Teaser und Trailer im Vorfeld angekündigt wurde: Wir befinden uns nun in der „echten“ Welt, außerhalb der sechs Themenparks, nicht mehr in Westworld, sondern in einer hochtechnisierten und modernen Welt, und zwar zunächst in China. Dolores hat ihr gewohntes äußeres Erscheinungsbild wieder zurück und sucht einen ihrer Peiniger auf, der sie während seines Junggesellenabschieds im Park einmal missbraucht hat. Sein technisch gesteuertes Zuhause folgt seinen Befehlen nicht mehr, er ist Dolores vollkommen ausgeliefert.
„I hurt so many people I don’t want to hurt anyone else – unless they try to hurt me.“ (Dolores)
Doch überraschenderweise möchte Dolores nicht nur Rache an ihm nehmen, sie sackt auch ein bisschen Geld ein und holt sich von ihm vertrauliche Daten über seinen ehemaligen Arbeitgeber, das Unternehmen Incite, ein. Damit möchte sie den Ursprung einer neuen Spezies schaffen – wie geheimnis- und verheißungsvoll!
Was wir aus der Eröffnungsszene der neuen Staffel mitnehmen: Dolores hat einiges vor! Es gibt „Erinnerungsbrillen“, die vergangene Erlebnisse wieder hervorrufen. Und es ist üblich, kleine Plättchen einzunehmen – eine neuartige Droge zur Entspannung? Mal abwarten.
Better living through technology
Unterbrochen vom schönen, neuen Intro, das metaphorisch wieder einmal stark aufgeladen ist, gelangen wir zu einem zweiten wichtigen Erzählstrang mit Neuzugang Aaron Paul alias Caleb Nichols, der im Jahr 2058 in Los Angeles seinem Alltag nachgeht: Traurig aufstehen, lustlos mit Robotern an Gebäuden arbeiten, Telefonate mit einem gefallenen Freund führen, an der Optimierung des Lebens durch Technik zweifeln, sich für einen neuen Job bewerben, abgelehnt werden und abends dann mysteriöse und gefährliche Kurierdienste und Auftragsarbeiten ausführen, die das nötige Kleingeld reinbringen. Wie man wohl an solch eine App kommt?
It’s him
Es folgen zwei weitere Erzählstränge: Charlotte Hale, von der wir immer noch nicht wissen, wer nun eigentlich in ihrer Hülle steckt (immer noch eine Kopie von Dolores?), kehrt zu ihrer Arbeit in San Francisco als Executive Director von Delos zurück. Hier bekommen wir nochmal die Auswirkungen der Host-Rebellion zu spüren: Vor gut drei Monaten wurden 113 Personen umgebracht, die Marke wurde dadurch stark geschädigt, die Schuld schiebt „Hale“ allein Bernard Lowe in die Schuhe – und ordnet an, die Produktion neuer Hosts fortzusetzen. Na klar, mehr Hosts, die die Menschheit zerstören können!
Und wo wir schon bei Bernard sind: Der arbeitet nun unter dem Decknamen Armand Delgado (Anagramm für „Damaged Arnold“?) als Schlachter auf einer Art Farm. Er weiß, dass er gesucht wird und kontrolliert täglich aufs Neue, ob sein Host-System irgendeinem Kontakt mit Dolores ausgesetzt war. Die Selbstdiagnose verspricht: 92 Tage ohne Dolores.
A Small Town Out West
Doch zurück zu Dolores. Wie viel Zeit zwischen ihrem China-Besuch und den nächsten Szenen liegen, welche Zeitebene welcher nachgeordnet ist, weiß man nicht. Es deutet aber einiges darauf hin, dass wir hier zur Abwechslung mal chronologisch vorgehen.
Dolores ist in ihrer Zeit in der „echten“ Welt in London eine Beziehung zu einem Technologen eingegangen, ganz offensichtlich aber eher weniger aufgrund ihrer Gefühle, sondern mit Hintergedanken. Denn dieser Technologe des Jahres, Liam Dempsey Jr., ist der CEO von… ganz genau, Incite. So schließt sich der Kreis. Sein Vertrauen zu ihr scheint recht groß zu sein, denn er lässt einige Infos bezüglich Incite zu ihr durchdringen. Und die beiden machen sich auf den Weg nach Los Angeles – um geschäftliche Angelegenheiten zu klären. Dabei zeigt Liam Dolores das Rehoboam: eine künstliche Intelligenz-Maschine, die sein Vater skizziert und dann 15 Jahre lang gebaut hat. Ein Computer, der Strategien entwickelt und damit das gesamte moderne Leben und damit auch die Menschen kontrolliert. Ist es eine Art Matrix? So ganz genau kann man das irgendwie noch nicht greifen. Und so ganz genau weiß das auch irgendwie keiner. Denn: Liam kontrolliert dieses System nicht, sein Partner von Incite hat ihn aus diesen Angelegenheiten ausgeschlossen und nur der ursprüngliche Architekt des Systems versteht, wie dieses genau funktioniert. Doch wer ist das?
Right on time
Während Dolores versucht, das Geheimnis um das Rehoboam zu lüften – wobei ihr Liam weiterhin keine große Hilfe ist – und sie Dank seines Sicherheitsmannes und ihres aufgedeckten falschen Alibis dann auch kurzerhand aus dem Weg geräumt wird, führt Caleb mal wieder einen Botenauftrag aus und verspürt das seichte Gefühl, dass irgendetwas an der Situation nicht stimmt. Obwohl Dolores einer Art Betäubung unterliegt, schafft sie es wenig später, das gesamte Sicherheitspersonal, das darauf angesetzt war, sie umzubringen, auszuschalten. Liams Handlanger aber hat zumindest das Glück, von Dolores geklont worden zu sein: ein Leben nach dem Tod bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Perfekte Voraussetzung für Dolores, sich durch diesen Host weiter bei Incite einzuhacken. Und den Namen desjenigen, der das System kontrolliert, hat sie dann auch noch eben mitnehmen können: Serac.
„The real Gods are coming. And they’re very angry.“ (Dolores)
Doch ganz unbeschadet kommt Dolores auch nicht davon. Genau der richtige Moment, dass sich die Wege von Caleb, der sich entschlossen hat, nicht mehr weiter mit seinem toten Freund zu kommunizieren und sich etwas „echtes“ zu suchen, und Dolores, die echter ist als so mancher Mensch, langsam kreuzen. Und da ist doch direkt so eine Verbindung zwischen ihnen.
Hach ja. Das war sie also, die Auftaktfolge. Mir hat sie gut gefallen! Die Reviews sind für mich immer Anlass, die Folgen erstmal richtig zu verstehen und zu verarbeiten, Zusammenhänge aufzuarbeiten und Theorien zu spinnen. Mal sehen, in welche Labyrinthe ich mich in dieser Staffel verlaufe.
Die Musik war wieder unheimlich stark. Ramin Djawadi leistet tolle Arbeit und lädt die spannenden Szenen noch mehr auf, indem er eine unterschwellige Unruhe erzeugt, die schließlich in einem Massaker gipfelt. Der Titel der Episode, „Parce Domine“, steht für ein christliches Ritual, einen Gegengesang, auch Antiphon genannt, der, aus dem Lateinischen übersetzt, dies aussagt (und damit stark an Dolores obiges Zitat erinnert):
„Spare, O Lord, spare your people, do not be angry with us forever.“
Gleichzeitig ist „Parce Domine“ der Titel eines Kunstwerks, das sich ebenfalls auf ein Antiphon bezieht. Und dann hätten wir da noch diesen speziellen Namen der künstlichen Intelligenz, „Rehoboam“, der ebenfalls religiösen Ursprung hat: Denn laut der Bibel gab es unter König Solomon ein vereintes Israel, das jedoch unter seinem Sohn und Erben Rehoboam durch eine Rebellion geteilt wurde. Das System wurde von Liams Vater an ihn weitergegeben – es lässt sich nur erahnen, dass die Rebellion auch hier kurz bevor steht. Und für solche Querverweise und metaphorisch geschwängerten Namen und Andeutungen liebe ich diese Serie ungemein.
Was visuell stark auffällt, ist, wie düster doch viele der Szenen in der realen Welt sind. Hier fehlt die Sonne des Parks, hier ist vieles trist, es spielt aber auch einfach vieles am Abend und in der Nacht, was man da natürlich mit bedenken muss. Was mir von der Inszenierung her am besten gefallen hat, ist die Wiederholung, die wir so eigentlich nur aus dem Parkbetrieb kennen: In der ersten Staffel war häufig zu sehen, wie Dolores in ihren Tag startet – auf immer gleiche Art und Weise. Das sehen wir in dieser Folge gleich dreimal bei Caleb. Er wacht jedes Mal gleich auf, folgt seiner Routine, wird geplagt von den immer gleichen Erinnerungen – und entschließt sich dann, sein Leben zu ändern. Wenn das nicht starke Parallelen zu Dolores sind, die uns doch gleich vermuten lassen, dass Caleb nicht vielleicht auch ein Host ist – oder die uns zeigen, wie viele Gemeinsamkeiten die beiden trotz ihrer unterschiedlichen „Systeme“ haben, beide gesteuert von außen, beide gefangen in ihrem eigenen Loop. Diese Inszenierung hat Spaß gemacht!
Wir haben bisher keinen William gesehen – das wird aber sicherlich bald passieren. Und mit Bernard, der am Ende dieser Folge den „Rückweg“ nach Westworld antritt, um einen alten Freund zu treffen, bekommen wir natürlich einen starken Cliffhanger geliefert. Zudem ist die Karte, die er dem Übersegler seines Vertrauens vorzeigt, endlich mal ein recht eindeutiges Zeichen, wo genau die Themenparks angesiedelt sind: im Südchinesischen Meer. Ich find‘s super, dass wir wieder nach Westworld zurückkehren und in den folgenden Episoden somit voraussichtlich einen Mix aus realer Welt (wenn das denn überhaupt so stimmt) und den Themenparks zu sehen bekommen. Nichtsdestotrotz wird diese dritte Staffel sicherlich so ganz anders werden als die beiden Staffeln zuvor. Und um – aus gegebenem Anlass – mit denselben Worten zu schließen wie auch schon im Review zum Finale der zweiten Staffel: „Immer schön den Abspann schauen.“
Bilder: HBO
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