„Westworld“ hat seit Beginn die Grenzen von Science Fiction aufgebrochen und Bezüge zur heutigen Realität zugelassen. In der aktuellen Folge sprüht der philosophische Ansatz über und erschafft nicht nur etliche Gedankenanstoße beim Publikum. Dabei ist die Folge zugegebenermaßen im Detail anspruchsvoll, weiß aber auch auf der groben Sichtebene für den notwendigen Fortschritt in der Geschichte zu sorgen.
Eine gelungene Einstimmung bereitet uns William, dessen Rede von eingebildeter Kontrolle auch „wunderbar“ auf die reale Welt übertragen werden kann. Der Moment, in dem das Paar hilflos auf seine Rückkehr wartet, fühlt sich wunderbar unwohlig an. Genauso gefällt mir das neue Element der Momente, in dem alle Personen stehen bleiben. Auch wenn das vornehmlich eine Umkehr des aus ersten Staffeln bekannten „Freeze all motor functions!“-Befehles darstellen soll, erinnert es mich in dem Stadt-Setting auch an den ersten Teil der „The Matrix“-Filmreihe. Das passt auch inhaltlich sehr zu dieser Folge.
Meine Lieblingsszene der Folge war eine weitere Machtdemonstration. Blutige Pianistenfinger symbolisieren blinden Gehorsam und Hale beweist wortwörtlich, dass sie als Taktgeberin alle für sich tanzen lässt. Hier fällt auch erneut der Satz, dass wir Menschen die Hosts nach ihrem Ebenbild erschaffen haben, was wunderbar das „Gott spielen“ herunterbricht. Doch das Blatt aka Machtgefüge hat sich gewendet.
„Chair! They are experiencing god, but problem is: god is bored.“ (Hale)
Wir erhalten in dieser und nachfolgenden Hale-Szenen aber auch wichtige Erkenntnisse. Die Hosts haben Gelüste von uns Menschen „geerbt“, die Hale gerne loswerden würde, jedoch selbst betroffen zu sein scheint (was mich wunder, kann sie nicht einfach die Langeweile aus sich selbst vertreiben?). Interessant ist hierbei vor allem, dass sie den Hosts angeblich freies Geleit gegeben hat und sie nicht zwingen möchte, ihr zu folgen, um nicht das menschliche Übel zu kopieren.
Der die zukünftige Serie jedoch am meisten beeinflussende Aspekt ist die Instabilität von Hosts (also echten Robotern, nicht den gesteuerten menschlichen Hosts). Im Zuge eines Programmes, in dem zweijährige Hosts kurz vor dem „Wechsel“ in eine weitere Stufen stehen, bekommen wir „Das Spiel“ zu sehen. Das ist nicht nur eine wunderbare Nacherzählung der ursprünglichen Park-Aktivität (Labyrinth am Boden des Stadt-Hologrammes inklusive) sondern in gewisser Weise auch eine Art Weiterentwicklung der alten App, die Caleb genutzt hatte. Es lässt Hosts Outlier jagen und eliminieren. An dieser Stelle wird auch gekonnt der Bogen zu dem Mann geschlagen, der seit Folge Eins dieser Staffel auf der Straße vom Turm und den Geräuschen geredet hat. Outlier entziehen sich der Gedankenkontrolle und bekommen die wahre Welt zu sehen. Das wäre noch ein einzuberechnender „Ernteverlust“, wie Hale so schön unschön formuliert, der Game Changer ist, dass diese Outlier in gewisser Weise Hosts mit hinterfragenden Gedanken infizieren, was zu 38 Selbstmorden geführt hat. Ich muss gestehen, die Basis dieser Entwicklung ein bisschen zu hinterfragen, ich finde jedoch interessant, dass man einen derart spiegelnden Weg geht, der eine weitere Ebene der Kontrolle und des Aufwachens bietet.
Wo wir bei „Aufwachen“ sind, liegt Christina natürlich nicht weit. Dass diese x-te morgendliche Bett-Sequenz eine andere Tragweite als sonst besitzen sollte, wurde mit dem wunderbar langsam eingespielten Theme klar gemacht. Teddy, der sich wirklich als Teddy erkenntlich gemacht hat, beginnt damit, Dolores aus Christina zu locken.
„In this world… you’re a god.“ (Teddy)
Genau wie bei der Sache mit den menschlichen Zügen von Hosts wollte mir auch nicht ganz ersichtlich werden, weshalb Christina überhaupt trotz ihres Macht-Potenziales derart präsent in der „Spiel-Stadt“ agieren kann? Dass Dolores sich selbst in eine Art Schlafzustand gebracht hat, um zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgeweckt werden zu können, scheint mir nicht mehr der Fall zu sein. Dagegen spricht schon alleine, dass Hale sie als „alte Freundin“ regelmäßig zum Mittagessen trifft. Dort wittert sie Veränderung, was durch den Außer-Loop-Moment des Servicepersonales, den Christina spontan angezettelt hat, nur verstärkt worden sein dürfte.
Außerdem arbeitet Christina unter naher Beobachtung direkt an der Quelle. So nah, dass ihr Chef Sekunden nach erdenken der Westworkd-Parkgeschichte oder des Suchens nach Dolores‘ Namen in der Datenbank mahnend auf der Fußmatte steht. In einer Folge voller Machtdemonstration demonstriert sich Christina hier quasi selbst, dass sie „Matrix“-Neo ist und lässt die letzten aufoktroyierten Scheuklappen fallen.
„Show me the game. Not the city, the game!“ (Christina)
Klitzekleine Kritik: Beim Aufplöppen ihrer Narrative auf der Stadtkarte ist ihr Blickverkehr nicht gänzlich passend zur Position der weißen Kugeln. Zwischendrin kommt Verwunderung hinzu, was den Blick schweifen lässt, aber gerade die ersten Punkte sollten noch „überraschend“ kommen, wie es scheint. An dieser Stelle möchte dennoch betonnen, wie großartig das Spiel mit Reflexionen und Perspektiven in dieser Folge gelungen ist! Da waren viele Sequenzen dabei, die an sich nicht viel Veränderung im Visuellen zu bieten hatten und doch erstaunlich abwechslungreich und interessant präsentiert werden konnten. Das ist keine einfache Kunst. Dazu gehört zum Beispiel auch der mich noch immer sehr reizende Grafik-Stil, mit dem die „Spiel-Inhalte“ visualisiert werden, die Christina sich anschaut.
„This world is just a story… and I’m the storyteller!“ (Christina)
Wenn es auch nur ein kurzes Zwischenspiel war, so haben wir auch die wichtige Verknüpfung zur Bernard-Story sehen können. Ohne diesen persönlich, aber der von Stubbs in bester Kanarienvogel-Manier unterstütze Trupp „letzter freier Menschen“ hat nicht nur eine Outlierin retten können, sondern auch den wunderbaren Moment beschert, in dem nach einer verpatzten Stop-Tanz-Runde alle Stehengebliebenen plötzlich auf sie starren und mit ihren Blicken „Du bist raus!“ sagen.
„Would now be a bad time to say I told you so?“ (Stubbs)
Dieser Virus namens Menschlichkeit hat auch William erwischt, der bereits durch Hales Erzählungen derart Interesse gefühlt hat, dass nicht wir versprochen bei Blickkontakt auf die Outlierin schießt. Nach wenigen Worten mit ihr und einem kleinen Mittagsschlaf besucht Host-William den echten William, der noch immer abrufbereit auf Eis liegt. Diese unscheinbar wirkende Szene hat mir aufgrund zwei Sachen gut gefallen. Zum einen empfand ich die Wiederholung der in der Eingangsszene zu hörenden Worte smart eingesetzt, das demonstriert, wie viel sich in den letzten 50 Minuten getan hat. Aus William dem Aufklärer eines Kontrollgefüges wird jemand, der merkt, dass er seinen selbst gepredigten Worten folgen und selbst das Kontrollgefüge hinterfragen sollte. Zum Zweiten hat Ed Harris mal wieder einen hervorragenden Job abgeliefert (wie viele andere aber auch diese Folge, allen voran natürlich Evan Rachel Wood, die Erinnerungen an ihr erstes Dolores-Aufwachen versprüht hat). Ihr finaler Erklärungsschritt dürfte zeitnah folgen und damit auch der Beginn eines großen Staffelendes.
„Who did this to me?“ – „You did.“ (Christina & Teddy)
„Zhuangzi“ war ein chinesischer Denker, der das gleichnamige „Das Buch der daoistischen Weisheit“ veröffentlicht hat und im 4. Jahrhundert v. Chr. allem Komplexen abgesagt hat, um ein einfaches Leben zu führen. Er wollte Freiheit genießen und gilt als „der wilde Denker, der, der keine vorgegebene Ordnung akzeptiert und alles in Frage stellt“. Zuschauer:innen mit Philosophie-Studium dürften direkt beim Anblick des Episodentitels bemerkt haben, dass es tiefgreifend werden wird diese Woche.
Tatsächlich hat „Westworld“ selten eine derartige philosophische Tiefe wie diese Folge erreicht. Die Relationen zur realen Welt waren mehrmals greifbar und man hat es zudem auch geschafft, ein erklärbares Fundament für bevorstehende Entwicklungen zu legen. Bisweilen ist mir das auf Basis fadenscheiniger Begründungen geschehen, weshalb ich nicht vollends zufrieden damit bin. Auch haben sich Sequenzen auch aufgrund der Komplexität sehr schwer und fordernd angefühlt. Hinzu kommt noch der Faktor, dass es mal wieder eine größtenteils ausrichtende Übergangsfolge war.
Dennoch hat „Westworld“ in gewisser Weise eine eigene Machtdemonstration mit dieser Episode hinlegen können. Die Serie schreibt ihre eigenen Geschichten und kann sie demonstrativ nach eigenen Wünschen gestalten. Dabei war die Folge nicht nur sehr gehaltvoll und relevant für die Geschichte, sondern vor allem auch sehr schön anzuschauen. Diese Mischung gibt es selten zu sehen.
Bilder: HBO
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