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Kommentar: Warum die deutsche Dauerserie stirbt

Sackgasse Lindenstraße

15. März 2018, 19:09 Uhr
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33 Jahre sind eine lange Zeit. Für eine Beziehung zum Beispiel. Oder eine Freundschaft. 33 Jahre sind es auch, die ich jetzt insgesamt die „Lindenstraße“ verfolge. In denen ich jeden Sonntag für eine halbe Stunde meiner Realität entfliehe und in die Lindenstraße umziehe. Zu den Beimers und den Zenkers, zu den Sperlings und den Buchstabs. Doch zuletzt habe ich mich in der Nachbarschaft nicht mehr so wirklich wohl gefühlt. Ich begann zu fremdeln, hatte immer seltener Lust, mich in der Lindenstraße aufzuhalten. Und jetzt ist Schluss: Das war’s für mich mit der „Lindenstraße“.

Ich habe lange überlegt, woran es wohl liegt, dass die Serie mich nicht mehr packt. Ich glaube, es gibt nicht den einen Grund. Es spielen mehrere Faktoren eine Rolle, warum der Termin am Sonntag Abend immer seltener ein Pflichttermin für mich geworden ist. Und mit dem Wort Pflicht fängt die erste Problematik auch schon an.

Das Zeitproblem, oder: Qualitäten einer Serie

Wenn man so eine Dauerserie wie die Lindenstraße verfolgt, möchte man auch den Anschluss behalten. Man ist so drin, dass man aber auch gespannt darauf ist, wie es Klaus und Iffi geht, was Momo gerade macht, oder woran sich Mutter Beimer gerade wieder stört. Pflichttermin war hier über Jahre positiv besetzt. Doch das hat sich zuletzt umgekehrt. „Ich muss ja noch Lindenstraße schauen“, war eher der Tenor. Reinschauen, um auf dem Laufenden zu bleiben, und nicht, um mitzuleben, mitzulieben, mitzuleiden. Doch selbst die halbe Stunde war irgendwann nicht mehr drin. Dann doch lieber noch bei „4 Blocks“ reinschauen, ober eine Folge „Pastewka“ mitnehmen. Ist irgendwie interessanter, lustiger, spannender – besser.

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Das Qualitätsproblem, oder: Die Zeit einer Serie geht zu Ende

Und das Qualitätsniveau ist bei vielen Serien einfach auch so viel höher geworden. Kino war gestern, heute spielt sich Qualität in Serie ab. Da ist die Lindenstraße leider nicht ganz mitgekommen. Klar, man hat an der Aufnahmetechnik gearbeitet, hatte toll inszenierte und toll erzählte Folgen dabei (Die Kombination Iain Dilthey Regie und Michael Meisheit Drehbuch – ein Traum) – aber dann war eben auch viel Leerlauf dabei. Viele Themen hatte man einfach schonmal gesehen (auch in der Serie!), anderes war zu abwegig, zu irrelevant. Dann die Knappheit an Figuren: Was jede einzelne Person in der Lindenstraße an Schwierigkeiten und Schicksalen erleben muss, war zwar immer schon happig, aber mittlerweile konzentriert sich das einfach auf so wenige Personen, dass das oft nur noch unglaubwürdig wirkt – und/oder belanglos. Es fühlt sich auch so an, als hätte jeder mit jedem schonmal einen kolossalen Konflikt durchlebt, eine innige Liebesbeziehung gepflegt oder ein gemeinsames Geheimnis aufgebaut.

Auch sind die markanten Figuren auf der Strecke geblieben. Was waren das damals für Charakterköpfe, die in der Lindenstraße mitwirkten. Amélie von der Marwitz zum Beispiel, oder Ahmet Dagdelen, oder unser geliebter Penner Harry. Tolle Charaktere, tolle Schauspieler. Das ist alles eine Klasse schlechter geworden in der letzten Zeit. Und ich kann die Lindenstraße-Fans verstehen, die nicht mehr auf den Sonntag warten, um die neuen Folgen zu sehen, sondern die sich bei ONE durch die Klassiker-Wiederholungen arbeiten. Auch ich bleibe beim (seltenen) Durchschalten dort schonmal hängen, weil hier einfach mit viel Empathie gespielt und erzählt wird. Das geht der heutigen Lindenstraße ab. Eine Budgetfrage?

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Der Umgang mit der Serie, oder: Wenn ein Sender eigentlich keine Lust mehr hat

Vermutlich auch. Ich behaupte: Natürlich hat die ARD als beauftragender Sender eine nicht unwesentliche Mitschuld an der Entwicklung. Klar war es toll, dass man solche Konzepte wie die Live-Folge unterstützt hat. Es ist aber auch unverkennbar, dass die Lindenstraße für die ARD zu einer Art ungeliebtem Kind verkommen ist. Hier fällt eine Folge aus, dort wird nur im Internet ausgestrahlt, dann gibt’s auf einmal eine Sommerpause. Die Lindenstraße hat auch immer von ihrer Kontinuität gelebt, von der Stringenz – die wurde in den letzten Jahren enorm torpediert und beschädigt. Das Prinzip des Seriellen wurde ausgeblendet – einfach unverständlich. Auch mit der Marke „Lindenstraße“ selbst hat man’s nicht mehr so. Still und heimlich wurde der Webauftritt der Lindenstraße unter das Dach von DasErste.de geschoben. Auch hier: Ja, die Lindenstraße gibt’s noch, aber sie ist dann auch nur ein Teil von vielem, nicht mehr das Besondere.

Ich glaube, hier wird viel falsch gemacht. Man hat nicht (rechtzeitig) erkannt, dass das Medium Serie DAS angesagte Medium unserer Zeit ist, und das man aus dem Aushängeschild „Lindenstraße“ in diesem Kontext etwas Besonderes, etwas Großes hätte machen können. Stattdessen wurden die Verantwortlichen eher von diesem Trend überrollt. Die Zuschauer wollen Serien sehen, ja, sie wollen das Leben erzählt bekommen, richtig. Aber sie bekommen es heute an vielen Stellen so hochwertig erzählt, dass diese halbe Stunde Durchschnitt am Sonntag Abend nicht mehr das ist, was vor die Mattscheibe lockt. Die „Lindenstraße“ hängt fest zwischen den Welten, sie erklärt uns nicht mehr die Welt von heute. 33 Jahre sind eine lange Zeit. Doch die Zeit, sie ist abgelaufen für die Lindenstraße, fürchte ich. Obwohl, nein, fürchte ich eigentlich nicht. Sicher ist es sogar besser so.

Update: Am 16. November 2018 hat die ARD beschlossen, die „Lindenstraße“ im März 2020 einzustellen.

Beitrag von:
Donnerstag, 15. März 2018, 19:09 Uhr
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4 Kommentare

  • Huhu,

    dein Kommentar spricht mir sehr aus der Seele.

    Neben allem was du ansprachst, finde ich auch, dass die Personen teilweise unrealistisch sind.
    Sunny ist da das beste Beispiel.
    Sie wird nicht als Transgender dargestellt, sondern eher als Travestie-Künstler.
    Es beginnt mit der unmöglichen Namenswahl „Sunny“. So voll in die Vorurteilskerbe geschlagen, das ist schon böswillig.
    Und dann diese Klamotten.
    Und diese billige Perücke.
    Ist denn der Schauspieler nicht gewillt, sich die Haare langwachsen zu lassen?
    Das ganze hat für mich den Eindruck, als hätte Sunny einfach nur eine fixe Idee und gar nicht wirklich vor, eine Frau zu werden.

    Wirklich schlimm.
    Als hätten sich die Autoren mit dem Thema überhaupt nicht befasst.

    Naja, ich bin auch raus.
    Ich hab schon seit bestimmt 8 Wochen nicht mehr mehr geguckt.
    Davor auch nur noch sporadisch.
    Und wenn ich die Kommentare in diversen Gruppen lese, hab ich scheinbar auch nichts verpasst.

    Wirklich schade, denn ich hab seit Ausstrahlung der ersten Folge jede verdammte Folge gesehen.
    Als ich ein paar Monate in Australien war, hab ich mir jede Folge aufnehmen lassen.
    Das war damals nicht so leicht, alles schön auf VHS 😆

    Und heute… Ach man, ich bin echt traurig über diese Entwicklung.

    Liebe Grüße
    Nina

  • Tja, etwas schmerzhaft aber auch nachvollziehbar. Die Themen sind schon lange nicht mehr aktuell oder nachvollziehbar. Zum Teil sogar ziemlich abstrus. Etwa die angebliche Flüchtlingsproblematik. Sie verkommt zu Illegalen, nicht Flüchtlingen, aus dem Libanon und mündet in Bigamie. Völlig unsinnig und blöde. Auch „Sunny“ ist weit entfernt von gesellschaftlicher Realität und was das stalken von Timo sollte? Es wird halt immer langweiliger wiederholt sich, wie der Konflikt von Momo. Habe die Lindenstraße seit der 1. Folge gesehen. Natürlich bin ich etwas traurig, andererseits ist die Serie seit 2 Jahren immer schlechter geworden. Wenn es so weiter geht, ist man wahrscheinlich froh, wenn es dann 2020 vorbei ist.

  • Andy

    Mich wundert das Ende der Sendung nicht.
    Immer wieder das gleiche.
    Dann wird jetzt auch noch mit Nastya die nächste alte Kamelle aus der Mottenkiste geholt.
    Wer soll das einschalten?

  • Anonym

    Du hast recht mit allem.Sehr aufschlussreiche und ehrliche Betrachtung.

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