Alles gute Gründe mal in die Serie reinzuschauen. Was ich noch gar nicht so in den Mittelpunkt gestellt hatte, war die wahnsinnige Realitätsnähe der Serie. Das ZDF hat dies zum Anlass genommen einmal mit einer echten Hebamme über die Serie und die dort im Mittelpunkt stehende Tätigkeit einer Geburtshelferin zu sprechen.
Mit freundlicher Genehmigung des ZDF dürfen wir hier das Interview einstellen. Viel Spaß beim lesen.
Wie realistisch ist die Serie „Call the Midwife“? Stellen die Autoren die Arbeit der Geburtshelferinnen wirklichkeitsnah dar? ZDFneo-Redakteur Till Frommann sprach mit Julia Rustler über die Dramaserie. Die 25-Jährige arbeitet seit vier Jahren als Hebamme.
Die Serie „Call the Midwife“ spielt in London. Gibt es Unterschiede zwischen britischen und deutschen Hebammen?
Es gibt einen deutlichen Unterschied, auch heutzutage noch: Die Vor- und Nachsorge ist in Großbritannien in Hebammenhand, das ist es hier in Deutschland nicht mehr. Meistens wird die Vorsorge in Deutschland von Ärzten durchgeführt, was dazu führt, dass Frauen oft überhaupt nicht mehr daran denken, dass es auch Hebammen gibt.
In der Serie sehen wir Hebammen in den 1950er Jahren bei der Arbeit zu. Ist durch den medizinischen Fortschritt alles besser geworden, was die Hebammenarbeit anbelangt?
Das würde ich so nicht sagen. Früher waren auch in Deutschland Hausgeburten, wie wir sie in der Serie sehen, etwas ganz Normales. Man war nun einmal schwanger und musste dieses Kind bekommen. Da hat man kein Aufheben darum gemacht. Heutzutage gibt es kaum noch Hausgeburten, zumindest nicht in Deutschland. Dass es weniger Hausgeburtshebammen gibt, liegt zum einen an der Versicherungsproblematik. Zum anderen liegt es daran, dass die Frauen denken, dass sie durch Technik und durch Ärzte mehr Sicherheit und gesündere Kinder bekommen. Ob das so ist, sei dahingestellt, aber ich weiß nicht, ob Technik immer vor allem schützen kann.
Tut sie das nicht?
Okay, einerseits bin ich froh über die Technik, die uns zur Verfügung steht – in manchen Situationen würden Kinder ohne sie nicht überleben. Mit der Technik kam andererseits aber auch die Angst: Per Ultraschall werden die Babys oft als zu groß oder als zu klein eingestuft. Aber was ist zu groß? Was zu klein? Was solche Aussagen mit den Müttern machen! Sie werden verunsichert, sie bekommen Angst – und werden damit allein gelassen. Nicht selten geht dann die Fantasie mit den Müttern durch und sie fragen sich, ob das Kind geistig oder körperlich behindert sein könnte. Sie denken an den Tod. Und sie kommen aus diesem Negativdenken überhaupt nicht mehr heraus und gehen daraufhin noch häufiger zum Arzt und machen weitere Tests. Eine Hebamme würde die Messwerte realistisch einschätzen, dem Paar die Bedeutung dieser Werte erklären und versuchen die Angst zu nehmen. Ich versuche dann, sie aus dieser Unsicherheit und aus dieser Angst herauszuholen.
Wie realistisch wird die Arbeit der Hebammen Ihrer Einschätzung nach in der Serie dargestellt?
Absolut realistisch! Das ist die Serie, die meine Arbeit so extrem realitätsnah darstellt, wie ich es vorher noch nie gesehen habe, wenn es nicht gerade ein Dokumentarfilm gewesen ist. Man schaut sich als Hebamme „Call the Midwife“ an und denkt sich, dass einem die gezeigten Symptome mehr als bekannt vorkommen. Auch die Geburten werden realistisch dargestellt, die Mütter hören sich während der Geburt tatsächlich genauso an. Manchmal vergesse ich, dass das überhaupt nicht die Realität ist, was ich mir dort anschaue. Es ist alles so echt: wie die Vorsorgen durchgeführt werden und auf was die Hebammen hinweisen. Zum Beispiel bekam die Schwangere in der ersten Folge Wassereinlagen und die Hebammen vermuteten, dass sie eine Schwangerschaftsvergiftung haben könnte. Was sie dann getan haben, ist genau das, was man auch in der Realität tut: Man testet den Urin, man testet den Blutdruck und so weiter. In einer anderen Folge kommt es dann tatsächlich zu einer Schwangerschaftsvergiftung, und die Frau bekommt einen Krampfanfall im Auto. Auch die Geburten werden sehr realistisch dargestellt, vor allen Dingen die Geburtsposition – das ist etwas, was man in Filmen und Serien selten erlebt. In den Mainstream-Fernsehserien liegen die Frauen bei der Geburt meistens in einer Art gynäkologischem Stuhl und drücken dann mal.
Und – plopp! – ist das Baby draußen?
Genau. Blasensprung. Frau schreit. Kind kommt. So sieht man das da. Dabei entbinden die meisten Frauen überhaupt nicht mehr auf dem Rücken – in „Call the Midwife“ wird fast nur auf der Seite geboren. Auch die Zangengeburt der Zwillinge, die gezeigt wird! Genauso kann es ablaufen. Und es wird auch nichts zu einer Tragödie gemacht, was keine Tragödie ist. Die Serie zeigt ganz genau, wie die Arbeit von Hebammen aussieht – zum Beispiel auch die körperliche Belastung, wenn man die ganze Nacht gearbeitet hat. Ich hoffe sehr, dass durch „Call the Midwife“ wieder mehr Frauen davon überzeugt werden, dass Schwangerschaft und Geburt etwas Normales sind und dass man auch als Hebamme etwas kann. Ich möchte Ärzte überhaupt nicht schlecht machen. Letztendlich sind jedoch Hebammen die Experten für Schwangerschaften, Geburten und Wochenbettbetreuung. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass das in Deutschland in Vergessenheit geraten ist.
Haben Sie eine Lieblingsszene bei „Call the Midwife“?
(in der Antwort ist ein gemeiner Spoiler enthalten, ich habe ihn mal entschärft; Tobias)
Bei einer Szene habe ich weinen müssen: Dort wurde gezeigt, wie die Geburt des Kindes von XXXXXXX verlief. Ich bin der festen Überzeugung gewesen, dass sie sterben würde und mit ihr das Kind. XXXXX dachte, dass ihre Fruchtblase gesprungen sei – statt Fruchtwasser war da jedoch überall Blut. Ich vermutete, dass es eine vorzeitige Plazentalösung gewesen ist. Das ist mir sehr nahe gegangen. Von den anderen Patienten, die sie gezeigt haben, fand ich die Spanierin in der ersten Folge am spannendsten, weil sie ihr Frühchen nicht hergeben wollte und sagte, dass sie selbst das Krankenhaus für ihr Baby sei – und kein Plastikbrutkasten in einer Kinderklinik besser als die Fürsorge einer Mutter sein kann. Sie sagte, dass sie dafür sorgen würde, dass es dem Kind gut geht. Und es wurde gut. Das war eine wirklich schöne Geschichte.
In der ersten Folge wird aufgezählt, was eine Hebamme in Großbritannien der 1950er Jahre dabei haben sollte – unter anderem ein Darmrohr aus Glas und ein weiteres, falls das erste brechen sollte. Das ist nicht mehr ganz der aktuelle Stand, oder?
Sicher hat man vielleicht auch kleine Einläufe dabei, aber ganz sicher kein Darmrohr aus Glas – das nicht mehr! Und auch nicht jede Frau bekommt einen Einlauf zur Geburt, nur die, die wollen [lacht]. Was man dabei hat, kommt auch auf die Aufgabe an, die man erledigen muss. Als Hausgeburtshebamme hat man zum Beispiel wesentlich mehr dabei, als wenn man nur Vorsorgen und Nachsorgen durchführt. Bei Hausgeburten ist es tatsächlich so, dass man mit mehreren Koffern kommt, mit Notfallmedikamenten, mit einer Sauerstoffflasche und vielem mehr.
Meinen Sie, dass „Call the Midwife“ realistisch zeigt, dass eine Geburt auch etwas Schönes sein kann?
Das zeigt die Serie am schönsten: dass eine Geburt etwas Normales ist. Schon am Anfang der Serie gibt es einen großartigen Satz: „Der Dienst der Hebammen findet am Ursprung des Lebens statt. Jedes Kind wird in Liebe oder Lust empfangen, unter Schmerzen geboren, gefolgt von Freude oder Tragödie und Kummer. Und jede Geburt wird von einer Hebamme begleitet. Sie ist hautnah dabei, sie sieht alles.“ Zu diesem Satz kann man als Hebamme schon Tränen verdrücken! Damit ist mein Beruf sehr schön zusammengefasst.
Ein schönes Interview wie ich finde und es würde mich freuen, wenn ihr alle mal in die ersten Folgen der Serie reinschauen werdet. Wer „Downton Abbey“ mag, wird „Call the Midwife“ lieben. Und umgekehrt. Denkt an meine Worte!
Fotos:BBC one
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