Ja die deutsche Serie, sie hat einen ausbaufähigen Ruf, um es galant auszudrücken. Auf der einen Seite, so gut wie keine eigenproduzierten Serien von den Privaten und wenn doch, dann von geringer Qualität. Auf der anderen Seite der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der zwar produzieren lässt, aber sich wenig traut.
Zumindest zum zweiten Teil ist ‚Im Angesicht des Verbrechens‘ ein Gegenbeispiel. Die 10-teilige Miniserie von 2010 sticht markant im deutschen Markt heraus. Die Serie passt so ziemlich gar nicht zum schnarchigen, langweiligen Tatort-Image der ARD, die die Serie produziert hat. Für mich persönlich ist es, neben dem ‚Tatortreiniger‘ vom NDR 2011, die einzige sehenswerte ARD-Serie, die mir auf Anhieb einfallen würde. Der jetzt nicht unbedingt so aufregende Titel ‚Im Angesicht des Verbrechens‘ tut der Serie Unrecht. Die 10 Folge sind anders und das in so ziemlich jeder Hinsicht. Die Entstehungsgeschichte, die Komplexität der Handlung, die Charaktertiefe der Figuren, die Erzählweise, die aufwändige Produktion, die vielen Fremdsprachen: Den typischen deutschen Sehgewohnheiten entspricht das Ganze ganz sicher nicht.
Aber worum geht es überhaupt?
Die Geschichte besteht aus vielen Handlungssträngen. Im Kern steht der Berliner Polizist Marek Gorsky, der jüdisch-lettischer Abstammung ist und im Laufe der Geschichte zusammen mit seinem Partner im Geschäftsfeld der Russen-Mafia (Prostitution, Zigarettenschmuggel, Überfälle etc.) ermittelt. Dabei versucht er auch die traumatische Ermordung seines älteren Bruders aufzuklären. Markant daran ist, dass seine eigene Schwester mit einer der zentralen Führungsfiguren des russischen Untergrunds verheiratet ist. Außerdem wird auch die Geschichte zweier junger Frauen aus der Ukraine erzählt, die unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt werden und dann in der Zwangsprostitution landen. Mehr zur Handlung sei an dieser Stelle nicht erzählt, um einen spoilerfreien Genuss der Serie zu ermöglichen.
Was macht die Serie jetzt eigentlich genau so besonders und sehenswert?
Die Serie ist unfassbar gut geschrieben. Sie ist komplex und beinhaltet viele Handlungsstränge und vor allem Charaktere. Dennoch wird allen Strängen und vor allem auch allen Figuren ausreichend Rechnung getragen. Jeder der wirklich vielen Figuren wird Zeit und Raum gelassen sich zu entfalten und sich zu entwickeln. Es ist der ZuschauerIn stets möglich, die Handlungsmotive der Figuren zu erkennen und zu verstehen. Dabei lässt man sich auch an den richtigen Stellen Zeit, eine Geschichte ausführlich zu erzählen. Dennoch wird die Serie zu gut wie nie langweilig.
Ein wichtiger und markanter Teil bei der Zeichnung der Figuren ist die authentische Darstellung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und ihrer Milieus. Dazu gehört auch, dass zahlreiche Dialoge komplett auf Russisch, Jiddisch oder Ukrainisch gehalten sind oder munter zwischen den Sprachen gewechselt wird. Dies verlangt den SchauspielerInnen, die ohnehin alle sehr gut abliefern, nochmal einiges ab.
Authentizität ist ohnehin das große Stichwort bei dieser Serie. Es macht einen großen Teil des Charmes der Serie aus, dass sie so gut wie keinen Moment unrealistisch wirkt.
Premiere auf der Berlinale, gefeiert vom Feuilleton und u.a. mit deutschem Fernsehpreis und Grimme-Preis ausgezeichnet. Man könnte die meinen, die Serie sei eine Erfolgsgeschichte. Es ist aber auch ein Lehrstück über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Mechanismen. Auf der einen Seite steht da die sehr aufwendige Produktion (Achtung Spoilergefahr im Making of), die mit viel zu wenig Geld ausgestattet war. So ging die Produktionsfirma Konkurs und die Serie musste vom WDR notgerettet werden. Auf der anderen Seite steht eine mehr als unglückliche Programmierung bei der Ausstrahlung in der ARD und der Schritt, die letzten Folgen der Serie in die tiefen Nachstunden zu verlegen. Mit einem Projekt, auf das man stolz ist, geht man sicherlich anders um.
Alles in allem sei die Serie vor allem Fans von The Wire und ähnlichen Krimi-Serien besonders ans Herz gelegt, denn auch vor diesen großen Vorbildern muss sich ‚Im Angesicht des Verbrechens‘ nicht verstecken. Aber auch alle anderen Anhänger von Krimi- und Dramaserien sollten der ‚teuersten deutschen Serie aller Zeiten‘ (Zitat Bild.de) unbedingt eine Chance geben. Die 10 Folgen á 50 Minuten vergehen wie im Fluge. Zu Recht wurde die Serie mit Preisen und Lob überhäuft und verhalf u.a. Max Riemelt zum Durchbruch. Daumen hoch, klare Empfehlung!
Foto: ARD
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