Seit rund drei Wochen ist „Atypical“ auf Netflix zu sehen und wollte eigentlich seit rund zwei Wochen einen Serientipp dazu abgeben. Aber wie das halt so ist, ist nichts normal und so komme ich zeitbedingt erst jetzt dazu. Aber ich fürchte, dass noch immer viel zu wenige diese kleine Perle der Dramedy-Unterhaltung kennen, zumindest rühren rund 8.000 Ratings auf IMDb jetzt nicht wirklich vom neuen Mainstream-Giganten (übrigens liegt es aktuell bei treffenden 8,4).
Den Trailer hatten wir euch ja bereits Ende Juli gezeigt, hier geht es eher um ein spoilerfreies Review in „Deshalb solltet ihr es schauen“-Manier.
Darum geht es
Sam ist 18 Jahre alt und hat neben diesen ganzen Erwachsenwerd-Problemen und Fragen noch eine besondere Ausgangslage: Er ist Autist. Mit Hilfe seiner Eltern, seiner Schwester, seiner Therapeutin und seinem besten Freund versucht er sein Leben auf normalste Art und Weise zu meistern und schnell wird uns klar gemacht, dass es kein „normal“ gibt und wir alle irgendwo dieser besondere Mensch sind, der vor schier unlösbaren Problemen steht.
„Hey, dude – nobody’s normal.“ (Evan)
Dabei kann sich eigentlich jeder irgendwie wiederfinden. Wenn auch nicht als 18-jähriger Autistenjunge, dann vielleicht als aufstrebende Teenager-Sportlerin, in seiner Rolle unsicherer aber liebevoller Vater oder die an alles denken müssende Mutter. Und nein, das sind im Grunde genommen die Zutaten dieses Dramas mit Herz und Witz, wer auf fliegende Kampfroboter und Explosionen wartet, sollte sich Marvel-Krams anschauen. Hier gibt es dafür Pinguine…
Das ist so toll daran
In Dingen, wie den Pinguinen, den ganzen Antarktisfakten, der Nicht-Anlehnen-Regel im Bus, merkt man, wie durchdacht die Serie ist. Da wird nicht einfach ein Junge mit „Problemen“ vorgeführt oder auf narrativ „ausgenutzt“ für ein paar billige Gags, das wirkt authentisch und echt. Und so weit weg die Situation der Familie und vor allem von Sam selbst sein mag, wirkt alles sehr nah, fast als wäre man Teil der Familie.
Dabei ist mir vor allem ein Vergleich des Öfteren in den Sinn gekommen: Die Darstellung von Soziophobie und fehlendem gesellschaftlichen Kontext in „Atypical“ im Vergleich zu „The Big Bang Theory“. Bei Sheldon Cooper wirkt die Mechnik des überdirekten und unsensiblen Kommentars oft funktional, aufgesetzt, unpassend oder schlicht vorhersehbar und billig. Bei Sam gibt es dieses Momente auch, doch sie werden gezielt und verteilt genutzt, wiederholen sich nie in der gleichen Art und bleiben stets stringent. Wenn man dann mal den Gedanken formt, dass er doch „das und das“ eigentlich gar nicht machen können dürfte, aufgrund der vorher gesehenen „Regeln“ seines Verhaltens, dreht er auch schon um und sagt „das ist nichts für mich!“. Die innere Logik passt und macht sich nie lustig – im Gegenteil, man wächst in das Thema.
Und so lernt man das ein oder andere auf der (viel zu kurzen) unterhaltsamen Reise. Über Autismus, das soziale Gefüge an High Schools und vor allem Familie. Denn das ist eigentlich das größte Glück und Gut, das man haben kann. Und auch da gibt es Risse, Unsicherheiten und Mittelräume zwischen Schwarz und Weiß. Und das ist vollkommen okay so – solange man keine Grenzen überschreitet. Doch genau das passiert, so dass man Figuren nicht mag, sie lieben lernt oder einfach zu schätzen weiß.
„Atypical“ ist keine Serie für Leute, die Comedies mit massenhaft Lachern suchen, oder welche, die packendes Action-Drama suchten. Es ist dafür eine kleine Dramedy mit Themen aus dem Leben, einem originellen Hauptcharakter, vielen, schönen kleinen Momenten (auch zum Lachen!) und einem sehr überzeugendem Schauspiel der beteiligten Darsteller (am ehesten dürfte man aus dem Cast wohl Michael Rapaport und natürlich Jennifer Jason Leigh schon mal gesehen haben). Einziger Nachteil: Die erste Staffel umfasst tatsächlich nur acht Folgen und ist auch handlungstechnisch doch sehr apprupt vorbei. Aber so könnt ihr wenigstens schnell aufholen.
Bilder: Netflix
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