Wie ist es so, das jüdische Leben in Deutschland? Auf jeden Fall mal kompliziert, aber gleichzeitig auch so normal. Die ARD-Serie „Die Zweiflers“, Anfang Mai 2024 im ARD-Nachtprogramm versteckt, dafür aber noch ein Jahr lang in der ARD Mediathek verfügbar, nimmt uns mit in den Alltag einer jüdischen Familie, und erzählt wunderbar unvoreingenommen, ungeschönt und offen davon, so dass man sich hier und da fragt – darf man das? Kann man das? Autor David Hadda kann, und liefert ein absolutes Serien-Highlight ab. „Die Zweiflers“ kritisiert und ehrt gleichzeitig die Eigenarten, Marotten und Gedanken im Judentum. Sie nimmt sich Zeit, die Bräuche zelebrieren zu lassen, und wir stehen die ganze Zeit direkt dabei, erleben und lernen. Dabei überdreht die Serie an fast keiner Stelle, sondern integriert uns sorgfältig in die jüdische Frankfurter Familie, so dass wir uns schnell mit Samuel und Symcha, Lilka und Jackie sowie all den anderen identifizieren – eine starke Leistung in nur sechs Folgen.
Dass es so stimmig wird, liegt natürlich an der Story von David Hadda (mehr zu ihm und seiner Arbeit an „Die Zweiflers“ gibt es hier im ausführlichen Beitrag von Eva-Maria Magel in der FAZ), aber auch am tollen Cast, an der perfekt eingesetzten Musik von Marko Nyberg und Petja Virikko und der überzeugenden Inszenierung von Anja Marquardt und Clara von Arnim.
„Die Zweiflers“ spielt hauptsächlich in der jüdischen Familie namens Zweifler (klar!) in Frankfurt. Familienpatriarch Symcha Zweifler hat ein solides Firmenimperium aufgebaut und spielt mit dem Gedanken, sein Geschäft an einen Investor zu verkaufen. Über dem Geschäft leben die Zweiflers verschiedener Generationen in verschiedenen Etagen. Jedes Familienmitglied hat eine eigene Geschichte in der Serie zu erzählen, mal größer, mal kleiner. Im Fokus steht sicher Samuel Zweifler, der zwischen Berlin und Frankfurt pendelt und in einem Restaurant die talentierte Köchin Saba Henriques kennenlernt. Aus dem Kennenlernen entwickelt sich mehr – und damit sind wir direkt in einem der Haupthandlungsstränge von „Die Zweiflers“. Die Serie eröffnet im Laufe der sechs Folgen auch diverse Nebenschauplätze, von denen es nicht alle benötigt hätte, die aber helfen, die Figuren der Serie weiter zu charakterisieren. Wir tauchen ein in den Alltag einer jüdischen Familie in Deutschland – was die Serie auch deutlich von anderen Serien zum jüdischen Leben abgrenzt, die vor allem auf die orthodoxe Community blickt; ich habe dazu hier im Block einen ausführlichen Beitrag zusammengestellt.
David Hadda zeigt uns den Alltag einer jüdischen Familie. Natürlich etwas überspitzt und an einigen Stellen durchaus provokant, um gewisse Reize zu setzen, aber über weite Strecken auch wunderbar angenehm authentisch und gelassen. Es ist ein sensibles Thema, und man zuckt hier und da zusammen, zum Beispiel in der Ausstellung mit Leon Zweifler, in der wir nicht nur an dem einen oder anderen Ausstellungsobjekt hängenbleiben, sondern auch an dem Diskurs zwischen dem Kurator und Symcha. Man merkt nicht nur hier: Die Zweiflers nehmen kein Blatt vor den Mund – nicht untereinander, aber auch nicht anderen gegenüber. Über die sechs Folgen entwickelt sich eine vielschichtige, internationale Story. International deswegen, weil „Die Zweiflers“ zwar auf eine einzige Familie schaut, sich diese aber aus Juden ganz unterschiedlicher Herkunft und Orientierung zusammensetzt. Symcha und Lilka sprechen nur auf Jiddisch miteinander, Lilka redet sogar praktisch nur Jiddisch in der Serie – bis auf ihre schnippischen, bissigen Kommentare der polnischen Bediensteten im Haushalt gegenüber.
Jackie Horovitz, der in die Familie eingeheiratet hat, spricht Deutsch mit Akzent, bekommt am Grab seiner Eltern aber auch einen vierminütigen Monolog auf Russisch. Er ist russischer Jude, wie er betont, als er auf seine Trinkfestigkeit angesprochen wird – das Klischee nimmt David Hadda gerne mit, wie auch an einigen anderen Stellen gerne Klischees bedient werden, was aber durchweg gut funktioniert, weil er damit sehr sympathisch spielt. Man muss auch schonmal schlucken, wenn Symcha zum Beispiel über die Macht des Geldes redet, oder wenn Lilka aus dem Nichts Geschichten aus den Konzentrationslagern und über die Shoa erzählt.
Ein nicht unwesentlicher Teil der Story um Samuel findet wiederum auf Englisch statt. Mit seiner Freundin Saba spricht er ausschließlich auf Englisch, mit den anderen mal auf Deutsch, mal auf Jiddisch – es wird sprachlich bunt und zeigt auch auf dieser Ebene nochmal die Vielfalt des alltäglichen Lebens der Zweiflers. Moderne und Tradition treffen hier immer wieder aufeinander, und man glaubt kaum, dass das wirklich zusammenpassen kann – bunte Nachtleben-Bilder wechseln sich ab mit langen, ruhigen Strecken, in denen im Familienkreis jüdische Lieder gesungen werden oder in der Synagoge in der Thora gelesen wird.
Mimi Zweiflers Schwester schwebt aus Amerika ein, sie hat es dorthin verschlagen, weil sie es Zuhause nicht mehr ausgehalten hat. Gerade zum Ende hin entwickelt sich ein starker Dialog zwischen den Schwestern, in dem es um Flucht und Verantwortung, um Schuld und Leid geht. Mimi zeigt ihrer Schwester deutlich, dass sie nichts davon hält, dass die Familie von ihr verlassen wurde. Auf der anderen Seite betont die Schwester, dass sie es nicht ertragen könne, weiter in diesem Schuld- und Opferdiskurs der Eltern zu leben. Es entwickelt sich eine Diskussion der beiden aus der ersten Nachkriegsgeneration der Juden, die auch „die Deutschen“ in ihrer eigenen Rolle und Verantwortung führen, wenn es um die Verbrechen im zweiten Weltkrieg geht. Jetzt wird diese Diskussion hier gespiegelt und so von der anderen Seite gezeigt – ein toller Schachzug. Schließlich betont Mimi nochmal, dass sie nichts davon hält, zu flüchten, gesteht dann aber ein, dass sie doch gerne einmal weggegangen wäre. Und am Ende wird auch Symcha vor die Wahl gestellt, noch einmal zu fliehen. „Die Behörden haben einfach Sorge, dass Du nach Israel fliehen könntest“, sagt Symchas Anwältin, worauf er wütend entgegnet: „Israel – was soll ich denn in Israel?“
Bilder: ARD
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