Manchmal ist die Realität so abwegig, dass sie einem nur wie eine abgedrehte Story einer Serie vorkommen kann. Und manchmal versuchen Serienschöpfer auf so unglaubliche Dinge zukommen, dass sie unmöglich Realität werden können. Dass einen die Geschichte bei verrückten, kreativen Einfällen tatsächlich einholt, haben wir bei der Animationsserie „The Simpsons“ schon häufiger erlebt. Es gibt aber auch einen ganz aktuellen Fall einer Serie, die man aktuell in der arte Mediathek findet und die mitunter bemerkenswerte Parallelen zur derzeit leider traurigen Realität hat: „Diener des Volkes“ (im Original „Sluga Naroda)“ mit dem amtierenden ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Die Idee der Serie: Der Geschichtslehrer Wassyl Petrowitsch Holoborodko, gespielt eben von Wolodymyr Selenskyj, steigert sich im Unterricht in eine Schimpftirade über die ukrainische Politik hinein und wird dabei von einem seiner Schüler gefilmt, der die Szene ins Internet stellt. Der sonst eher unscheinbare und wenig aufregende Pädagoge wird zum Internetstar, und in der Folge aufgrund seiner recht einfach wirkenden Art zum Politikstar. Korrupte Politiker erkennen in dem angesagten Mann die perfekte Möglichkeit, eine Marionette auf den Präsidenten Stuhl zu hieven, der ihnen den Weg zu mehr Macht ebnen soll. Schon in seinem privaten Alltag wird Wassyl Petrowitsch Holoborodko regelmäßig zum Spielball zwischen Eltern, Schwester und Nichte.
Die Figur des aufmüpfigen Geschichtslehrers hat Wolodymyr Selenskyj selbst erfunden, und es gelingt ihm wirklich extrem gut, den Charakter des Geschichtslehrers Wassyl Petrowitsch Holoborodko zu entwickeln. In vielen Kleinigkeiten seines Handelns, in den Dialogen (soweit man das über die Untertitel nachvollziehen kann) und in dem geschickt gezogenen Geflecht aus Verwicklungen. Manches wirkt vorhersehbar, doch dann biegt die Story ganz unverhofft, aber ebenso willkommen in eine andere Richtung ab. Großartig ist auch die Fallhöhe der Menschen um ihn herum, die ein vollkommen anderes Gesicht zeigen, je nach dem, ob da noch der Geschichtslehrer oder schon der Präsident vor ihnen steht.
Es ist nicht überliefert, was Selenskyjs Ambitionen hinsichtlich der eigenen politischen Entwicklung seiner Person bei der Erschaffung von „Diener des Volkes“ war. Aber: So abwegig, wie der Plot der 51 Folgen (in 3 Staffeln, wovon 23 der ersten Staffel aktuell bei arte zu finden sind) klingt, so nah ist er später an der Realität. Aus dem Schauspieler Wolodymyr Selenskyj, der aus dem Geschichtslehrer Wassyl Petrowitsch Holoborodko einen Präsidenten macht, wird selbst der sechste Präsident der Ukraine. Seine Partei heißt „Sluga Naroda“, also wie die Fernsehserie, gegründet wurde sie von der Serien-Produktionsfirma Kwartal 95, die wiederum mit dem Oligarchen Ihor Kolomoiskij verbunden ist, der schließlich Selenskyjs Wahlkampf massiv unterstützt hat. Selenskyj schlug Julia Timoschenko und den amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko. Oleksij Antypowytsch vom Umfrageinstitut Ratinggroup glaubt, dass vor allem junge Wähler den neuen Präsidenten gewählt haben – und dass ihm die Popularität der Serie sehr geholfen hat.
Am Ende kann man nur gespannt sein, wo sich Fiktion und Realität noch einmal kreuzen. Am Ende von Staffel 1, Holoborodko steht im Kreise seiner Familie am Essenstisch, bekommt der ukrainische Präsident einen Anruf des russischen Präsidenten. „Der russische Präsident? Etwa Putin?“ fragt Holoborodko. Doch der ist nicht am anderen Ende der Leitung: Russland hat einen neuen Präsidenten.
Bilder: arte
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