Wie groß kann der Unterschied bei Menschen sein zwischen dem inneren Selbst und dem äußeren Ich? Autorin Sally Rooney hat das vor rund drei Jahren ganz genau in den Blick genommen und ausführlich beschrieben – in ihrem Roman „Normal People“. Noch vor Erscheinen des Buches hatte sich Element Pictures die Rechte an dem Stoff gesichert und wollten „Normal People“ als Serie realisieren. Die BBC und Hulu kauften die Idee und brachten so die Entwicklung der 12 halbstündigen Folgen ins Rollen.
Sally Rooney hat in „Normale People“ zwei Jugendliche in den Mittelpunkt gestellt, die sich in der Schulzeit zum ersten Mal begegnen und deren Wege sich in der Folge immer wieder kreuzen. Connell Waldron, großartig gespielt von Paul Mescal, ist der gutaussehende, beliebte, sportliche Typ, Marianne Sheridan hingegen, ebenso exzellent in Szene gesetzt von Daisy Edgar-Jones, ist eher unbeliebt, oft zickig und schroff gegenüber ihren Mitmenschen. Beide gehörten zu den schlausten Schüler:innen in der Klasse, sind aber vom sozialen Umfeld her Welten voneinander entfernt. Marianne kommt zudem aus reichem Hause, in dem Connells Mutter als Haushälterin arbeitet. Wenn Connell seine Mutter (gespielt von Sarah Greene, was meiner Meinung nach nicht so richtig gut passt, da die Schauspielerin nur elf Jahre älter ist als Mescal, der ihren Sohn spielt) von der Arbeit abholt, trifft er regelmäßig auf Marianne – die einzigen Momente, in denen sie überhaupt miteinander sprechen. Daraus entwickelt sich aber eine versteckte Freundschaft, aus der mehr entstehen könnte.
Hier deuten sich schon die ersten Differenzierungen in der Gefühlswelt und im Auftreten der Jugendlichen an. So wie sich deren äußere Fassade im sozialen Umfeld und deren innere Haltung in ruhigen Momenten unterscheiden, so unterscheidet sich das Verhalten der beiden zueinander – je nach dem, ob sie nur zu zweit sind oder in der Öffentlichkeit. Dass beides nicht immer gut gehen und allem standhalten kann, zeigt Autorin Sally Rooney in ihrem Roman – und eben in der Serie. Die Autorin konnte auch für das Drehbuch verpflichtet werden – hier wird sie unterstützt von den beiden erfahrenen Drehbuchautor:innen Alice Birch und Mark O’Rowe (wie hilfreich das war, erklärt sie hier). Wir begleiten in der Folge das paar durch ihre Schulzeit an der irischen Atlantikküste im County Sligo, aber auch während des Studiums am Trinity College in Dublin und in den Ferien in Italien.
Dabei gehen die beiden nicht immer ihre Wege gemeinsam. In der Schulzeit möchte Connell die Beziehung lieber geheim halten, in Dublin ist es dann fast umgekehrt: Connell ist zum Außenseiter geworden, Marianne die beliebte Person. Erst zum Ende der Serie finden sie sich gleichberechtigt wieder – der Moment, wenn auch beide offen zu ihrer Beziehung stehen. Durch Missverständnis und Entscheidungen geht die Beziehung immer wieder auseinander, die innere Bindung der beiden führt sie aber auch immer wieder zusammen. Zwischentöne kommen immer wieder mal hinein, wenn Sally Rooney von den meist emotionslosen, unglücklichen Beziehungen in diesen Zwischenphasen berichtet, oder von den familiären Strukturen der beiden: Die enge Familienbindung im Arbeiterhaushalt der Waldrons, die anonyme, kalte Atmosphäre bei den vermögenden Sheridans.
Den drei Autor:innen gelingt es über alle Folgen hinweg, den richtigen Ton und das perfekte Tempo für die Erzählung zu treffen. Sie nehmen sich Zeit, auch einmal Stille in die Folgen zu bringen, geben gerade auch den Dialogen zwischen Connell und Marianne ausreichend Zeit, damit alles wirken kann. Dabei wird es zu keiner Zeit unglaubwürdig, kitschig oder banal, sondern jeder Dialog passt – offensichtlich eine große Herausforderung für Sally Rooney, wie sie im Interview mit Indiewire beschreibt. Dazu kommt natürlich die perfekte Inszenierung durch die beiden Regisseur:innen Lenny Abrahamson und Hettie Macdonald. Beide scheinen die gleiche Idee davon zu haben, wie „Normal People“ in Szene gesetzt werden muss: Passend zu den ruhigen Momenten in den Dialogen gibt es auch bildlich Ruhephasen; wird es in den Gesprächen intimer, sind auch Abrahamson und Macdonald ganz dicht dabei, schaffen ganz besondere Momente. Hinzu kommen die Cinematographinnen Suzie Lavelle und Kate McCullough, die mit Perspektiven spielen, mit Schärfeverläufen, mit Lichtverhältnissen, mit Geschwindigkeit. Dazu kommt noch Stephen Rennicks‘ toller Score, der sich hörbar Anleihen bei Max Richter und Dustin O’Halloran holt – der sich aber auch nicht zu schade ist, Songs der beiden (neben vielen anderen) auch in die Serie zu holen.
Alles ist also perfekt aufeinander abgestimmt, und so entsteht ein absolutes Serien-Highlight aus meiner Sicht und mit ganz besonderen Momenten. Ich mag zum Beispiel Folge vier – sie spielt in der Phase nach dem Verlassen der Schule und zu Beginn der Collegezeit, nach Connells fataler Entscheidung und seinem unbeantworteten Bedauern am Ende. Die Folge ist zehn Minuten länger als die regulären Folgen und teilt sich übergangslos in drei Teile: In den ersten zehn Minuten begleiten wir Connell in seiner neuen Umgebung in Dublin – bis sich Marianne und er wiedertreffen. Von diesem Kontakt erzählen die nächsten zehn Minuten, ehe wir für die letzten zehn Minuten ausschließlich Marianne folgen. Das ist wirklich toll erzählt und zeigt, wie durchdacht jeder einzelne Moment der Serie ist. Das gilt auch für den Moment einige Folgen später, als sich Connell auf einer Party ganz zaghaft zu Marianne bekennt und beide von dem Moment schier überwältigt sind. Noch nicht ganz sicher bin ich, wie ich die letzten Momente der Serie finden soll, wenn die beiden diskutieren, wie es weitergehen soll. Ich hätte mit Connells Frage an Marianne, ob sie mit ihm geht gestoppt, Sally Rooney hat sich aber für eine Beantwortung der Frage entschieden. Warum genau – das muss ich sie dann wohl mal fragen. ;-)
Ansonsten gefällt mir an Serie auch, dass sie nicht mit Ratschlägen oder einer bestimmten Moral daher kommt. Man soll keine Lehren aus der Geschichte ziehen, es gibt nichts zu übertragen auf das eigene Leben. Es geht um das Verhältnis von zwei Menschen, die sich offensichtlich geistig und emotional auf einer Ebene befinden, aber von äußeren Einflüssen und unüberlegten Entscheidungen immer wieder von dieser gemeinsamen Ebene geworfen werden. Es lässt einen auch erkennen, was Menschen hinter einer Fassade verbergen können, oder wie wenig sich hinter einer Fassade verbergen kann.
„Normal People“ ist wie gesagt eine Romanverfilmung, eine Miniserie, bei der ich an keine Fortsetzung glaube. Die ich mir auch nicht wünsche würde, weil es so einfach perfekt ist. Freuen kann man sich aber immerhin auf „Conversations with Friends“, Sally Rooneys Debütroman, den Lenny Abrahamson 2022 für BBC und Hulu inszeniert. Es darf gerne genauso hochwertig werden wie „Normal People“. Wer mehr zu den Inhalten von „Normal People“ lesen möchte, findet dies im Review zur Serie von Fabio.
Bilder: BBC / Hulu
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