Letztens hatte ich mal wieder eine Diskussion rund um den Ausdruck „ganz nett“. Was heißt das eigentlich? Für die einen geht das Richtung Durchschnitt oder ist tendenziell schon negativ besetzt (Ihr kennt das ‚Nett ist die Schwester von…‘), für mich habe ich das aber als einen positiven Ausdruck etabliert. Also wenn etwas „ganz nett“ ist, dann ist das kein Überflieger-Ding, aber aus meiner Sicht etwas, das sich locker für die Schulnote ‚gut‘ oder – um in der Bewertungsskala hier bei uns zu bleiben, für 4 Kronen qualifiziert.
Wenn ich jetzt also sage, dass die Serie „The Kominsky Method“ auf Netflix „ganz nett“ ist, dann sollte das als definitive Serienempfehlung ankommen, und dazu bewegen, den acht 25-Minuten-Folgen der ersten Staffel definitiv eine Chance zu geben, wenn man beim nächsten Suchlauf in Netflix dem nächsten Zeitvertrieb auf der Spur ist. Warum das so ist, erkläre ich auch noch einmal ausführlicher in diesem Serientipp.
Zunächst einmal das Setting: In „The Kominsky Method“ geht es um den alternden Schauspieler Sandy Kominsky, der nach mäßigem Erfolg in Hollywood eine Schule für angehende Schauspieler*innen eröffnet betreibt und dort versucht, sein Verständnis von darstellender Kunst zu vermitteln. Gespielt wird er von Michael Douglas, dessen größte Erfolge als Schauspieler mittlerweile auch schon Jahre zurückliegen und der selbst über 70 Jahre alt ist. Zweite Hauptfigur ist sein Manager Norman Newlander, der nochmal zehn Jahre älter als Sandy Kominsky ist und gespielt wird von Alan Arkin. Den Bund der Altherren-Riege komplett macht der Serienerfinder, Chuck Lore, mittlerweile stramm auf die 70 zugehend (OK, erwähnt werden muss auch noch, dass selbst die Nebendarsteller-Riege exzellent und mit teilweise extrem erfahrenen Darstellern besetzt ist, zum Beispiel mit Danny De Vito als Arzt von Sandy Kominsky). Chuck Lorre hat uns Sitcom-Klassiker wie „The Big Bang Theory“, „Mom“ und „Two and a Half Men“ gebracht und schlägt jetzt nochmal mit „The Kominsky Method“ einen etwas anderen Weg ein.
Denn die Netflix-Serie ist zwar humoristisch angelegt, aber keineswegs als klassische Sitcom zu verstehen. Sie hat auch viele dramatische Elemente zu bieten, was Michael Douglas an dem Serienstoff auch besonders gereizt hat. Es ist diese extreme Nähe zwischen Momenten zum Lachen auf der einen Seite und den Elementen, bei denen man auf dem besten Wege ist, die eine oder andere Träne zu verdrücken oder zumindest mit den Figuren mitzufühlen. Michael Douglas hat sich auch deswegen für das Serienprojekt entschieden, weil er – auch in dem Alter – noch einmal etwas lernen wollte, nämlich wie man Komödien gut spielt, wie man Timing und Rhythmus gut einsetzt (mehr zu seiner Entscheidung für „The Kominsky Method“ gibt es hier im ZEIT-Interview). In gewisser Weise wird der erfahrene Schauspieler hier noch einmal zum Schüler, derweil er in der Serie als Lehrer auftritt.
Zurück von dieser Meta-Ebene hinein in den Serienstoff. Natürlich passiert hier nichts Abgründiges, nichts wirklich Neues, nichts Nicht-Alltägliches. Aber es ist einfach so ungemein charmant erzählt und gespielt. Chuck Lorre hatte hier nicht nur ein Gespür für einen tollen Serien-Stoff, sondern er versteht es auch, diesen so zu erzählen, dass Drama und Komödie im Gleichgewicht bleiben, und er hat einen Cast, der das über jeden Zweifel erhaben umsetzt. In dieser Beziehung hatte ich meine größten Bedenken, weswegen ich „The Kominsky Method“ auch lange vor mir hergeschoben habe. Ich hatte befürchtet, Michael Douglas würde sich in der Serie so aufspielen, wie man es bei einem Hollywood-Altstar befürchte würde. Aber das Gegenteil ist der Fall: Er spielt es herrlich normal, spielt sich noch nicht einmal als Schauspiel-Lehrer in der Serie vor seinen Schüler*innen auf. Und er ergänzt sich hervorragend mit Alan Arkin, der alles wunderbar unaufgeregt spielt. Ich liebe die sprachlichen Spitzen, die er so ganz nebenbei abfeuert (hier kann ich übrigens sowohl das Original als auch die Synchro empfehlen, die sehr sorgfältig umgesetzt wurde), und ich mag es, wie er mit vollkommen ausdruckslosem Blick komplett ausdrucksstark daher kommt.
An einigen Stellen sind die Figuren auch nicht ganz politisch korrekt unterwegs. Das ist nicht schlimm, weil es zum Setting der Serie passt. Und das erlauben sich Michael Douglas und Co., weil es die neuen Möglichkeiten des seriellen Erzählens über Streamingdienste erlauben, wie Douglas nochmal in dem schon erwähnten Interview beschreibt. Insgesamt also eine definitive Einladung, sich auf „The Kominsky Method“ einzulassen, mit den alten „Haudegen“ zu lachen und zu leiden und sich einfach acht Mal 25 Minuten lang unterhalten zu lassen – man wird es nicht bereuen.
Ich würde die Serie übrigens ebenfalls als „ganz nett“ bezeichnen, aber halt nicht i.S. von 4 Kronen, sondern eher von 3 bis 3,5. :-)
3 bis 3,5 könnte ich in dem Fall z.B. gar nicht verstehen. ;-) 3 hieße ja nur ein bisschen besser als Durchschnitt. Und: Dann müsste man für DC-Serien vermutlich Minusskalen aufmachen. ;-)
Schöner Artikel, vollste Zustimmung.
Mir sind die erwähnten Aspekte 5 Kronen wert und ich warte auf eine Fortsetzung.
Lorres Versuch, ohne Lacher aus der Konserve auszukommen, ist definitiv geglückt.
Ich bin sehr von dieser Serie begeistert, finde sie originell und witzig.
Sehr schade, dass Arkin ausgestiegen ist und man die letzte Staffel nun ohne ihn beschreitet.
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