Eine ungewöhnliche Geschichte hat sich Autor und Regisseur Mȧns Mȧrlind für die ZDF-Miniserie „Shadowplay – Schatten der Mörder“ vorgenommen (hier gibt’s alle Infos zur Serie): In vier Teilen erzählt er die Geschichte von zwei ungleichen Brüdern im Berlin des Jahres 1946. Die Serie behandelt damit nicht nur eine selten beleuchtete Zeit rund um den 2. Weltkrieg, sondern hat auch einen recht ungewöhnlichen Ansatz gewählt – denn Elemente der Story basieren lose auf „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch. Wie es dazu kam, und wie es aus Sicht von Mȧns Mȧrlind funktionieren kann, erklärt er im Interview.
Was war Ihre Inspiration? Woher stammt diese Geschichte?
Mȧns Mȧrlind: Ich wollte schon immer etwas über diese Zeit machen. Ich glaube, dass man viele Kriegsfilme und viele Filme über den Kalten Krieg gesehen hat. Aber die Zeit direkt nach Kriegsende, die wurde noch nicht so oft verfilmt. Es war eine Zeit, die ich für eine ungeheuer interessante halte, weil ich Situationen mag, wenn sie am Tiefpunkt sind, wenn man am dunkelsten Punkt angelangt ist. Es ist sehr interessant, zu sehen, was mit den Menschen passiert, was sie tun, wie sie sich verhalten. Es bringt das Beste und das Schlechteste in den Menschen zum Vorschein. Berlin 1946 war die Verbrechenshauptstadt der Welt: Es gab 200.000 Vergewaltigungen, es gab 3000 Morde, und in Berlin gab es damals sogar Gerüchte über Kannibalismus und so weiter. Ich dachte, dass dies ein interessantes Umfeld ist, um etwas über Menschlichkeit zu erzählen. Ich denke, wenn man etwas erzählen will, das die Menschen auf positive Weise berührt, tut man das am besten im Dunkeln, sonst wird es seicht und schlecht. Wenn die Umgebung aber hart und dunkel ist, dann ist es einfacher, das Licht zu sehen.
Kannten Sie die Geschichte von Max und Moritz?
Mȧns Mȧrlind: Manchmal passiert es beim Schreiben, dass man zwei völlig unterschiedliche Ideen zusammenführt. Ich hatte also diese Idee zu Berlin ’46, und dann fiel mir ein, dass ich 2013 oder 2014 mit meiner Familie in Berlin war. Wir gingen in das Restaurant „Max und Moritz“, und ich sah mir an den Wänden all diese seltsamen Kinder-Cartoon-Dinger an und fragte: „Was ist das?“ Jemand erklärte mir, es sei der erste Comic überhaupt, er stamme aus dem späten 19. Jahrhundert und diese Kinder spielten bösartige Streiche in einem deutschen Dorf. Und ich dachte: „Wow, niemand hat die Geschichte zu einem Film oder einer Fernsehserie gemacht.“ Dann habe ich es irgendwie ausgeblendet, aber im Gedächtnis behalten. Als ich klarer über Berlin ’46 nachdachte, und wie ich die Geschichte erzählen möchte, ohne dass es nur wie eine historische Serie aussieht, wurde mir klar, es ist die Geschichte von Max und Moritz, und die Brüder sind Amerikaner, aber die Mutter ist Deutsche, und das ist die Story, die uns in die Welt von „Schatten der Mörder – Shadowplay“ bringt – das ist die treibende Kraft der Geschichte.
Diese Zeit, direkt nach dem Krieg, 1946, ist ein unterrepräsentierter Teil der Geschichte. Wie aufwändig war die Recherche?
Mȧns Mȧrlind: Ich recherchiere immer extrem viel, aber ich habe noch nie so viel recherchiert wie für dieses Projekt. Einige Figuren stammen direkt aus der Recherche, wie zum Beispiel der Untergrundboss, der „Engelmacher“ genannt wird. Er entstand einfach aus der Tatsache, dass es in Berlin so viele Vergewaltigungen gab, aber keine funktionierenden Krankenhäuser, keine Ärzte. Engelmacher ist also dieser Typ, der den Frauen hilft, weil ihnen sonst niemand hilft. Sie kommen zu ihm, er ist Gynäkologe. Er gibt ihnen Penizillin und nimmt Abtreibungen vor, und dann hat er die Frauen in der Hand. Diese Figur ist also jemand, der sich direkt aus meinen Recherchen abgeleitet hat. Ich hatte keine Ahnung, dass ich ihn erschaffen würde, nachdem ich das alles gelesen hatte. In der Serie kommen keine Vergewaltigungen vor, wir erzählen die Nachwirkungen von all dem.
Sie führen gemeinsam mit Björn Stein Regie. Wie kam es dazu?
Mȧns Mȧrlind: Björn und ich sind Freunde, seitdem wir acht oder neun Jahre alt sind, und wir arbeiten seit 15 Jahren als Team zusammen. Wir haben beide zunächst allein angefangen, dann haben wir ein Projekt bekommen, bei dem wir sagten: „Lass‘ uns das zusammen machen.“ Einer der Gründe war: Weil wir es können, und man sich nicht an die Regel halten muss, dass es nur einen Regisseur geben kann. Ich glaube, das war einer der Gründe zu sagen, lass‘ es uns mit zwei Regisseuren machen. Bei Teams kümmert sich normalerweise einer um die Schauspieler, der andere um die Kamera – aber wir mögen beide beides, also wechseln wir uns täglich ab. Was bedeutet, wenn ich Regie führe, ist Björn mein bester Freund, und er hilft mir einfach und bringt mir Kaffee und gibt mir Ideen und am nächsten Tag ist es andersherum. Wir machen die ganzen Planungen, die Besprechungen, die Regieanweisungen und die Proben etc. zusammen, und wir machen die ganze Nachbearbeitung und die Spezialeffekte und die Musik und so weiter zusammen, aber am Set sind wir jeden zweiten Tag dran.
Was war die größte Herausforderung?
Mȧns Mȧrlind: Die größte Herausforderung, das Einzige, wovor ich Angst hatte, war, wie wir Berlin 1946 porträtieren werden, weil ich es nicht im Studio drehen wollte. Denn das Studio stellt sich immer als Fälschung heraus. Ich wollte eine Geschichte erzählen, bei der ich das Gefühl habe, dass ich nichts tue, über das deutsche Zuschauer und Zuschauerinnen sagen: „So sah es nicht aus, das ist nicht richtig“. Mein Verlangen, mein Anspruch auf Realismus war wirklich hoch, und ich wusste, dass wir das Berlin von damals nicht nachbauen können. Wir fanden all diese echten Ruinen, in denen wir unsere zerstörten Städte schufen, und als ich verstand, dass das alles funktioniert, wurde eigentlich alles sehr einfach. Das war meine größte Angst, der X-Faktor.
Außerdem wollten wir ein sehr warmes, verschwitztes, sommerliches Berlin – vergleichbar mit nichts, was wir bisher gesehen hatten. Bisher wurde die Nachkriegszeit immer kalt und blau und grau dargestellt. Und wir hatten sehr viel Glück mit dem Wetter. Wir hatten ein paar Regentage, aber dann drehten wir stattdessen eine Innenszene. Ich könnte mich darüber beschweren, dass es ein paar bewölkte Szenen gibt, aber von acht Stunden Filmmaterial, ein paar Szenen mit Wolken – das ist okay.
Bilder: Stanislav Honzik / ZDF
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