Die vierte Folge der zweiten Staffel von The Knick besticht weniger durch ein entscheidendes Vorankommen in der Handlung als vielmehr durch ungewöhnliche Optik und eine Menge an Auseinandersetzungen mit gesellschaftskritischen und medizinischen Fragen. Regisseur Steven Soderbergh hat für diese Folge einige bemerkenswerte Einstellungen gewählt, die eine andere Betrachtungsweise auf das Geschehen zulassen.
In mehreren Sets hat Soderbergh den Zuschauer zu einem entfernten Beobachter gemacht. In einer Szene folgt die Kamera einer Frau, die eine Wohnung betritt, in der sich mehrere Frauen versammelt haben. Die Kamera bleibt dicht an der Frau und begleitet sie beim Gang zwischen den anderen Frauen hindurch. Wenn sich die von Schwester Herriet behandelten Frauen in der Wohnung von Tom Cleary dann informieren lassen, was sie tun können/müssen, um Harriet aus dem Gefängnis zu holen, dann ist der Zuschauer als Beobachter in einer Ecke des Raumes postioniert und hat so den gesamten Überblick über das Zimmer. Soderbergh lässt danach die Kamera wieder durch den Raum kreisen, immer näher an die Frauen heran, bis man als Zuschauer Teil der Runde ist.
Anderes Beispiel: Thackery und Edwards versuchen, Abigail zu heilen. Sie ist – nach damaligem Stand der Medizin – unheilbar an Syphilis erkrankt, doch Thackery möchte an ihr eine neue Methode probieren. Nachdem Edwards und er an einem Schwein Experimente durchgeführt haben, wagen sie den Schritt bei Abigail. Während der Behandlung ist man als Zuschauer wieder ganz oben in einer Ecke des Raumes platziert und hat den gesamten Überblick. Im Laufe der Behandlung rückt man Abigail immer näher, bis man nur noch ihr Gesicht sieht in dem Moment, da sie geheilt ist. Als sich Thack erleichtert zu ihr legt, hängen wir perspektiventechnisch wieder an der Decke.
Drittes Beispiel: Allgemeinmediziner Dr. Mays versucht mehr schlecht als recht, einen Patienten zu operieren. Derweil er im Lehrbuch blättert und mühsam mit den Instrumenten zurechtzukommen versucht, plaudert er mit der Krankenschwester, die mit im OP ist. Wir sind wieder oben, oberhalb des OP-Tisches platziert und sind Dr. Mays erst nahe, als auch dessen Ende naht. Er entzündet sich und stirbt.
Ein letztes Beispiel: Tom Cleary hat es geschafft, Schwester Herriet aus dem Gefängnis zu bekommen. Die von ihm bearbeiteten Frauen haben ihre Einflüsse geltend gemacht und so den Richter zum Freispruch bewegt. Wir sind hier erst ganz dicht an den beiden, und je näher sie dem Krankenwagen kommen, um das Gefängnis zu verlassen, umso weiter entfernt sich die Kamera vom Geschehen. Sie fährt schließlich einige Meter mit, um dann zu verharren und eine Totale der Gesamtszenerie zu zeigen.
Mir hat sehr gut gefallen, wie Soderbergh in dieser Folge mit Nähe und Distanz, mit Perspektive und Sichtweise spielt. Als Zuschauer pendelt man ständig zwischen überblicksartig platziertem Beobachter und direktem Teilhaber des Geschehens.
Was mir in der Folge auch gefallen hat, waren die detaillierten Auseinandersetzungen mit dem damaligen Stand der Medizin-Technik. Dr. Mays, eigentlich Allgemeinmediziner und nur durch Beziehungen ins Knick gelangt, muss nach Lehrbuch operieren, doch nicht einmal das geht glatt – er stirbt. Edwards und Thackery machen Tierversuche und wenden die Behandlung dann bei ihrer Patientin an. Beide diskutieren noch einmal intensiv, was Medizin darf und was die lebensgefährliche Behandlung im Misserfolgsfall für Auswirkungen haben könnte. Thackerys Pioniergeist ist jedoch stärker als Edwards‘ Bedenkengebilde. Dann Bertie, dessen Mutter scheinbar unheilbar an Krebs erkrankt ist, womit sich sein Vater schon abgefunden hat, was Bertie aber nicht wahrhaben will. Er beschließt, zu forschen, um den Krebs zu besiegen. Und schließlich Dr. Gallinger, der nach einem Überfall eines italienischen Jungen auf seine Frau aus Wut mit einem Kollegen diskutiert, ob die Einwanderer nicht zu kastrieren seien.
Auch andere gesellschaftliche Themen werden intensiv behandelt. Da ist die Rassentrennung – Edwards und seine Frau Opal treffen sich in einem Quartier, in dem sie unter ihresgleichen sind – in Harlem. Am Dinner-Tisch der Robertsons fragt Opal ganz unverblümt, warum denn Algernons Eltern nicht mit am Tisch sitzen, sondern in der Küche ein Stockwerk tiefer essen müssten. Und Barrow versucht, in elitärere Kreise aufzusteigen, was ihm seine Herkunft allerdings scheinbar unmöglich macht. Er benötigt einen Fürsprecher – der ist ihm durch den Tod von Dr. Mays allerdings gerade abhanden gekommen.
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