Netflix-Serien lasse ich mittlerweile immer häufiger nach dem Start erstmal eine Weile liegen. Der Grund: Man weiß ja nie, ob die Serie tatsächlich fortgesetzt wird. Gerade in den letzten Wochen ging der Daumen bei dem Streamingdienst immer häufiger nach der 1. Staffel einer Serie nach unten. Und da habe ich tatsächlich keine Lust, mich auf eine Serie mit einem möglicherweise offenen Ende einzulassen, wenn es keine Fortsetzung geben wird.
Zuletzt war das bei „1899“ der Fall – keine Sport-Doku über den Bundesliga-Club aus Hoffenheim, sondern eine Mystery-Serie aus deutscher Produktion, hochwertig produziert und beim Publikum gut angekommen (7,4 bei IMDb, das Staffel- bzw. Serienfinale mit 8,4 bewertet), aber von Netflix wenige Wochen nach dem Start gecancelt. Der Grund für das Ende: nicht genügend Abrufe (hier haben wir alle Hintergründe zusammengestellt).
Für Fans der Serie „Gänsehaut um Mitternacht“ („The Midnight Club“) ging der Horror wenige Wochen nach dem Staffelfinale der Horror-Serie weiter – sie wurde kurzerhand abgesetzt. Produzent Mike Flanagan wird jetzt noch eine weitere Netflix-Serie produzieren und dann zu Amazon wechseln. Warum ereilte die Serie so ein Horror-Szenario? Nicht genügend Abrufe, heißt es bei Netflix.
Abgesetzt: Die Liste der Netflix-Serien, die nach Staffel 1 gecancelt werden, wird immer schneller länger
Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen, abwechselnd mit Begründungen wie eben ‚zu wenig Abrufe‘ oder ‚zu teure Produktion‘: „Die Bande aus der Baker Street“, „Cursed – Die Auserwählte“, „Cowboy Bepop“, „Daybreak“, „Nightflyers“, „Archive 81“ oder „Blockbuster“. Weitere Serien überlebten die unsichere Corona-Zeit nicht: „The Society“ zum Beispiel, oder das großartige „I am not Okay with this“; dann noch „Fate: The Winx Saga“ – abgesetzt nach Staffel 2.
Das ist natürlich ein legitimer, wenn auch für viele Serienfans unbefriedigender Grund: Klar muss Netflix darauf achten, dass die Abrufe kommen, schließlich spiegelt sich darin naheliegenderweise das Interesse an einer Serie wider. Und Interesse bedeutet Abos, normalerweise, und damit Umsatz. Auf der anderen Seite ist das Angebot inzwischen so groß, dass man mit dem Schauen gar nicht mehr nach kommt. Die Watchlist wird immer länger, Netflix schaut aber auf die Klickzahlen der ersten 28 Tage. Mit Glück konnte sich „The Sandman“ da eine zweite Staffel sichern, was auch lange auf der Kippe stand.
Gänzlich fehlt bei dieser Betrachtungsweise natürlich der Blick auf die Qualität. Es gibt so manche Nischenprodukte, die sicher nicht die großen Abrufzahlen generieren, die aber marken- und imagebildend sein können. Die eine bestimmte Basis an Kund:innen kultivieren können. Das hat Netflix immer weniger im Portfolio. Der Streamingdienst setzt auf massentaugliche Ware. Apple TV+ macht es da besser: Die Zahl der neuen Serien ist überschaubar, die Qualität dagegen am obersten Level bei den meisten Produktionen. Das prägt sich bei den Zuschauer:innen ein – Apple TV+ steht für qualitativ hochwertige Serien.
Dabei wird das Profil von Netflix immer unklarer: Die Entscheidungen wirken überstürzt, unstrukturiert, panisch. Vor zwei Jahren versuchte man, einen Gaming-Bereich aufzubauen – davon hört man nicht mehr viel. Dann fokussiert man sich jetzt mehr auf den Sport-Dokutainment-Bereich, versucht hier Fuß zu fassen. Mit Blick auf das Angebot bei anderen Streamingdiensten glaube ich auch da nicht an eine erfolgreiche Zukunft. Zumal die Konkurrenz größer und immer besser wird. Disney+, Amazon Prime Video, Paramount+ & Co. haben ihre Aushängeschilder und Serien-Universen wie „Yellowstone“, „Star Trek“ oder „Marvel“ – Netflix sucht hier noch nach einem Ansatz.
Und ich glaube: Mit der Canceling-Strategie vergrault Netflix mittelfristig Serienfans, allein schon aus dem eingangs genannten Grund: Ich lasse lieber die Finger von einer Serie, von der ich nicht weiß, ob ihre Geschichte überhaupt zu Ende erzählt wird.
Hm, das ist dann natürlich quasi eine selbsterfüllende Prophezeiung. Vielleicht machen das ja viele so, dass sie erst abwarten. Und deswegen gibt es geringere Abrufzahlen, und dadurch ggf. das Aus.
Eine Lösung hab ich aber auch nicht dafür parat, außer, sich der möglichen Gefahr bewusst zu sein und das Risiko dennoch einzugehen. Sonst ist das eine Spirale, die sich aufgrund der Vorsichtigkeit der Nutzer immer weiterdreht.
Ja, das stimmt auf jeden Fall. Aber selbst wenn ich wollte, käme ich bei dem großen Angebot gar nicht mehr hinterher, neue Titel zeitnah zu schauen. Würde z.B. gerne schonmal in „Copenhagen Cowboy“ reinschauen, komme aber einfach nicht dazu, mir das mal in Ruhe vorzunehmen.
Ja, noch vor zwei bis drei Jahren war Amazon eigentlich der offizielle Absetzungskönig. Die Serien, die es auf mehr als eine Staffel bei denen schafften, konnte man an einer Hand abzählen. Dann fing Netflix aber an, mehr auf Masse zu setzen, gleichzeitig aber auch die Werbung herunterzufahren.
Zu der Zeit, in der ein „Netflix Original“ noch ein echtes Ereignis war, konnte man natürlich noch höhere Abrufzahlen erzielen. Heute scheinen selbst die wenigen Menschen, die nur Netflix abonniert haben, keinen Überblick mehr zu haben, was da jetzt gerade neu läuft. Mal im Ernst, „Wednesday“ war z.T. nur deshalb so erfolgreich, weil Netflix es tatsächlich stark beworben hatte! Ich vermute „Die wilden 90er“ werden auch ganz gut laufen, einfach nur weil ich dank der Promotionmaschinerie weiß, dass es nächste Woche startet, ohne dass ich vorher überhaupt googeln musste, ob es existiert!
Bin mal gespannt, ob und wann Netflix lernt sowohl einerseits wieder auf „Weniger ist mehr“ zu setzen, als auch dem Zuschauer genug Zeit zu lassen, erstmal Serie A zu beenden, bevor sie sich Serie B anschauen.
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