Über den Jahreswechsel ist es meine Tradition, ganz in den Sport des Skispringens einzutauchen. Die Vierschanzentournee bietet dabei eine exzellente mediale Unterhaltung. Sie ist quasi die Mini-Serie, die das alte und das neue Jahr miteinander verbindet. Besonders das Neujahrsspringen am 1. Januar sticht dabei hervor. Früher verfolgte ich es leicht verschlafen nach einer langen Neujahrsnacht, heute bin ich ebenfalls müde – allerdings dank überdrehter Kleinkinder, die nicht schlafen wollen. Dennoch bietet das Neujahrsspringen den Sofa-Herzschlag für den 1. Januar.
Skispringen hat einige großartige Alleinstellungsmerkmale. Es ist sehr leicht nachvollziehbar, wer gut ist und wer weniger – schließlich ist die Weite der wichtigste Aspekt bei der Punktevergabe. Dazu springen alle Athleten nacheinander, sodass man nichts verpasst. Mit zwei Durchgängen und insgesamt 80 Sprüngen (50 im ersten Durchgang und 30 im zweiten) sowie der Vor- und Nachberichterstattung sind rund drei Stunden bestens gefüllt. Wenn man das Ganze schon länger verfolgt, kann man versuchen, die Feinheiten in den Flugstilen zu erkennen (ich schaffe das selbst nach Jahrzehnten nur ansatzweise) oder sich in das durchaus komplexe Punktesystem zu vertiefen.
Abseits dessen hat dieser Sport natürlich auch etwas Verrücktes an sich. Vieles spielt sich im Kopf der Springer ab, sodass ein Top-Springer aus dem Vorjahr plötzlich ganz hinten landen kann.
Heute ist der 4. Januar, und während ich diesen Text schreibe, läuft das dritte Springen der Vierschanzentournee. Nach dem ersten Durchgang ist nun endgültig klar, dass auch in diesem Jahr kein deutscher Springer die Trophäe gewinnen wird. Das wäre an sich kein Beinbruch – wenn man nicht bedenkt, dass der letzte Sieg 23 Jahre zurückliegt. Und das in einer Sportart, in der die Deutschen durchaus zur Weltspitze gehören. In diesen 23 Jahren gab es Gesamtsiege im Weltcup, Weltmeistertitel und olympische Goldmedaillen. Trotzdem gelingt es dem deutschen Team nicht, den prestigeträchtigen Titel der Vierschanzentournee zu holen. Das nervt.
In dieser Saison startete Pius Paschke mit fünf Siegen und dem gelben Trikot des Gesamtführenden. Doch zur Tournee ziehen die Österreicher wieder davon. Schade und ärgerlich.
Im Kontext des medialen Ereignisses ist es dabei erstaunlich, dass die Kritik an diesem Misserfolg sich in Grenzen hält. Skispringen wird deutlich entspannter kommentiert als beispielsweise Fußball. Man stelle sich vor, die deutsche Fußballnationalmannschaft hätte seit 20 Jahren kein Halbfinale eines Großereignisses mehr erreicht. Es gäbe endlose Diskussionen über Trainer, Nachwuchs, den Verband – alles würde infrage gestellt werden. Diese Ruhe beim Skispringen ist angenehm, dennoch frage ich mich, ob ein bisschen mehr Reibung nicht manchmal notwendig wäre, um Veränderungen anzustoßen.
Um jetzt aber nicht zu sehr abzuschweifen und den Bogen zurückzufinden: Die Vierschanzentournee bleibt eine fantastische Mini-Serie für die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Aber nach inzwischen 23 Jahren muss auch mal wieder ein Erfolg für die deutsche Mannschaft her. Mit den aktuellen Leistungen bleibt der Blutdruck auf dem Sofa allerdings im unteren Bereich.
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