Dass die WM in Katar ein ganz großer Griff ins Klo ist, sollte auch der letzte auf diesem Planeten begriffen haben. Die Liste an Aspekten, die eigentlich ein derartiges Turnier hätte verbieten müssen, ist lang, sehr lang: Keine Fußballkultur, Verlegung auf den Winter, Ausbeutung von tausenden Gastarbeitern bis in Tod, Unterdrückung von Minderheiten und so weiter. Aber darüber rege ich mich (traurigerweise) schon gar nicht mehr auf. Für mich war nämlich schon lange klar, dass ich nicht mit Glühwein die deutsche Nationalmannschaft anfeuern werde. Aber über die WM selbst möchte ich gar nicht sprechen:
Mir geht es um das Verhalten des ehemals geliebten Kind Deutschlands: Die Nationalmannschaft des Deutschen Fußball Bundes. Der DFB positioniert sich gerne als großes familienfreundliches Goleo-Knuddelmonster. Früher in den 90ern waren die deutschen Fußballspieler ganz groß bei der Aktion „Keine Macht den Drogen“ dabei; aus heutiger Sicht mit den ganzen Biersponsorings etwas unglaubwürdig, aber ok, die Botschaft war ja nicht verkehrt. Dann regte man sich immer brav über die böse Fifa auf, bis herauskam, dass man eigentlich auch selbst mitgespielt hat und die WM 2006 nur mit viel Unterstützung außerhalb der offiziellen Kanäle bekommen hat. Aber hey, die Mannschaft war erfolgreich und die paar Kavaliersdelikte, da sollen sich die anderen erstmal selbst anschauen! So funktionierte das System DFB, Nationalmannschaft und jubelnde Menschenmassen sehr lange auch sehr gut. Wenn man sich aufregte, dann doch nur darüber, dass Löw an einem Spieler festhielt oder einen anderen nicht mitnahm. Selbst bei der WM in Russland gingen die Diskussionen nur um die Leistung und das fragwürde Austragungsland.
Doch jetzt scheint es damit vorbei zu sein, warum nur? Warum lieben die Deutschen ihre Mannschaft nicht mehr? Thomas Gottschalk begeisterte mit „Wetten, dass.. ?“ mehr als 10 Millionen Menschen, das Spiel Deutschland Japan lag unter 10 Millionen. Thomas Gottschalk ist beliebter als Flick, Neuer, Müller oder Gündogan. Wer hätte das gedacht. Bisher kamen die Spiele von Deutschland auf mindestens 20 Millionen Zuschauer, selbst zu ungünstigen Anstoßzeiten. Laut ARD wurde die 10 Millionen Marke zuletzt vor 30 Jahren unterschritten. Vielleicht schalten morgen mehr Leute ein, aber der Verlust an Aufmerksamkeit ist beeindruckend und ein Erdrutsch der verlorenen Liebe.
Und die Erklärung könnte nicht deutlicher auf der Hand liegen. Ich gehöre übrigens auch dazu, ich habe mir das deutsche Spiel nicht angeschaut und bei den anderen Spielen komme ich vielleicht auf 10 Minuten, weil ich beim Zappen dann doch mal kurz hängen geblieben bin. Der DFB und „Die Mannschaft“ sind seit dieser WM ein Inbegriff für Doppelmoral und für all das, was der Kapitalismus aus unseren geliebten Dingen kaputt gemacht hat. Dieses ungute Gefühl, dass all die propagierten Werte reine PR sind und es eigentlich nur um die Vermarktung und das Geld geht, umschlich die meisten schon lange.
Wenn sich dann der DFB mit der halbherzigsten Geste überhaupt, eine „One Live Binde“, nicht durchsetzt, was kann man der Nationalmannschaft dann überhaupt noch glauben? Eine Binde, dessen Farben – um den maximalen Biedermann herauszustellen – nicht einmal dem Regebogen entsprechen. Und dann diese Farce mit angedrohten Maßnahmen der Fifa. Hinter der Binde standen die großen Verbände Europas und die sind nicht in der Lage, zu ihren Werten zu stehen? Und selbst wenn der DFB alleine gewesen wäre, mit dem Rückzieher ist alles, was davor so groß propagiert wurde – man erinnere sich an das tolle „Human Rights“ Foto – ins Lächerliche gezogen. Wenn man für Werte nur dann einsteht, wenn man sich mit Geld herauskaufen kann, dann sind es keine Werte.
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat eine klare Botschaft in Richtung WM-Gastgeber Katar gesendet. Wie gestern schon die norwegische Mannschaft, zeigte die DFB-Elf einen "Human Rights"-Schriftzug vor Beginn ihres WM-Qualifikationsspiels gegen Island.#GERISL #DFBTeam pic.twitter.com/qk5nbAxM7Y
— Sportschau (@sportschau) March 25, 2021
Hätte sich Manuel Neuer doch entschieden, die Binde zu tragen, wäre es zwar nur ein Tropfen gewesen, aber es hätte gezeigt, dass noch ein Funke Gutes in der Mannschaft steckt. Es wäre der Moment gewesen, an dem Darth Vader den Imperator in die Tiefe wirft. Denn auch dieser Moment kann die ganzen Taten des Imperiums nicht aufwiegen und macht bei den Ereignissen keinen Unterschied; der Todesstern wäre ohnehin zerstört worden. Aber es zeigt, dass am Ende das Gute siegen kann. Einfach ausgedrückt, es ist die Hoffnung, die uns als Menschen trägt. Und diese Hoffnung zu erzeugen mit dem Tragen der lächerlichsten Binde auf diesem Planeten, selbst wenn danach die Show weiter gegangen wäre, hat der DFB verpasst.
🗨️ "Wir erleben einen beispiellosen Vorgang in der WM-Geschichte. […] Wir wollen nicht, dass der Konflikt, den wir mit der FIFA haben, auf dem Rücken der Spieler ausgetragen wird."
Das Statement von @DFB-Präsident Bernd Neuendorf zur Kapitänsbinde im Video ⬇️#GER #WM2022 pic.twitter.com/HfzGTPrrQn
— DFB-Team (@DFB_Team) November 21, 2022
Noch schlimmer waren die Äußerungen vom DFB, von Experten wie Kramer oder Stars wie Müller und Co. nach dem Motto, man darf das nicht auf dem Rücken der Spieler austragen. Sie hätten ihr ganzes Leben darauf hingearbeitet…. Bla Bla Bla. An dieser Stelle muss man die sehr einfache Frage stellen: Für wen spielt unsere Mannschaft eigentlich? Ich dachte, die Nationalmannschaft spielt für die Nation und nicht für einen Sponsor oder ein privatwirtschaftliches Unternehmen? Wäre es die Champions League oder etwas Vergleichbares, dann wäre die Lage anders. Dort spielen reine Wirtschaftsunternehmen gegeneinander und die können meinetwegen machen, was sie wollen. Aber hier tritt ein GEMEINNÜTZIGER (sorry, aber hier darf ich mal die Hochstelltaste gedrückt halten) Verein auf. Ein gemeinnütziger Verein, der sich einfach mal komplett gegen seine Mitglieder stellt und gegen das Land, für das er eigentlich eintreten will.
Ich habe seit dem Endspiel der WM 1990 jedes deutsche WM- und EM-Spiel geschaut. Mit der Vorgeschichte war für mich jetzt der Punkt erreicht, bei Deutschland – Japan nicht einzuschalten. Das tut weh und es ärgert mich maßlos, dass man mich und viele andere in diese Situation gebracht hat. Ob diese Liebe wieder hergestellt werden kann? Aktuell weiß ich das nicht. Selbst wenn der DFB noch eine starke Geste im Spiel gegen Spanien zeigen würde, damit ändert sich nichts. Das Team ist ohnehin fast ausgeschieden, was bedeutet, dass es erneut nichts riskieren würde.
Das Einzige, was mich an diesem Wochenende tröstet, ist dass ich Skispringen schauen kann. Das ist noch ein ehrlicher Sport. Jeder hüpft für sich, dann regt man sich über den Wind auf oder dass die Skier nicht richtig gewachst wurden. Keiner kann wirklich nachvollziehen, ob das Flugsystem schief war, der Tisch nicht getroffen wurde; die Interviews der Athleten sind deshalb austauschbar, aber damit auch liebenswürdig. Das ist noch die heile Welt, ich kann es jedem Fußballverprellten nur empfehlen.
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