Herzlich Willkommen zum Gender-, äh, Serienblog! Nachdem ich mich in den vergangen Monaten damit beschäftigt habe, dass es Serien noch immer an Diversität mangelt und mir selbst die Frage gestellt habe, wie realistisch Serien eigentlich sein dürfen und sollten, um zu unterhalten, jedoch nicht zu sehr in Klischees und Illusionen zu erzählen, möchte ich mich heute einer Serienkategorie widmen, der ich sonst eher weniger Beachtung schenke: Kinderserien.
Anlass dieses Textes war ein sehr spannender Vortrag von Dr. Maya Götz im Rahmen des Filmfest Hamburg Ende vergangenen Jahres. In diesem stellte sie Auszüge aus der aktuellen Forschung des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) vor. Hier ging es vor allem um Geschlechtergerechtigkeit im (Kinder-)Fernsehen. Im Vortrag griff sie zwar vieles auf, das mir bereits bekannt war. Doch meine subjektiven Wahrnehmungen und Gedanken noch einmal von einer medienwissenschaftlichen Redakteurin mit zahlreichen aktuellen Beispielen belegt zu bekommen, war dann doch offen gestanden ganz schön niederschmetternd. Irgendwo schlummerte wohl doch die Hoffnung, dass die eigene Wahrnehmung vielleicht übertrieben und alles doch gar nicht so schlimm sei. Nicht, dass mir nicht vorher bewusst war, dass Frauen noch immer deutlich weniger (bedeutsame) Rollen vor und hinter der Kamera bekommen als Männer, dass sie weniger Sprechzeit haben als Männer, selbst, wenn sie in Hauptrollen zu sehen sind, und dass zum Teil absurde Körperbilder gezeichnet und Klischees bedient werden… Mir war nicht bewusst, dass das Körperbild, das Mädchen (und auch Jungen) in Kinderserien vermittelt wird, nicht nur ein oft sexualisiertes, sondern auch ein zum Teil vollkommen unrealistisches ist. Aber gut, wie sollte es auch anders sein?
Die unerreichbare Sanduhr
Ich erhebe bei weitem keinen Anspruch darauf, die Forschung des IZI hier vollumfänglich vorzustellen, sondern möchte nur Auszüge wiedergeben, die bei mir noch lange nachklangen und die mich noch immer beschäftigen: Im Kinderprogramm gibt es ca. dreimal so viele Männer- und Jungenfiguren wie Mädchen- und Frauenfiguren, in 77% der Animationsserien nehmen Jungen die Hauptrolle ein, selbst wenn es darum geht, dass Tiere, Pflanze oder Gegenstände anthropomorphisiert werden (Prommer, Linke und Stüwe). Ja, wenn man ältere Forschungen betrachtet und diese mit aktuellen Ergebnissen vergleicht, so ist das im Kinderfernsehen dargestellte Geschlechterverhältnis sogar als rückschrittlich zu bezeichnen. Dass die Verteilung in Kinderserien derart unausgewogen ist, ist schon erstaunlich.
Betrachtet man im Weiteren das Körperbild der Figuren, das in den Serien gezeichnet wird, wird’s gleich noch unangenehmer: Es wurden 327 animierte Hauptfiguren nach ihren Körperformen untersucht. Dabei wurde das Verhältnis von Taille zu Hüfte (Waist-to-Hip-Ratio) und das Verhältnis von Taille zur Schulter (Waist-to-Shoulder-Ratio) gemessen. Heraus kam: 50% der weiblichen Hauptfiguren wurden mit einem so unterdurchschnittlichen Verhältnis von Taille zu Hüfte ausgestattet, dass sie anatomisch gar nicht lebensfähig wären (Linke, Stüwe, Eisenbeis). Bestes Beispiel dafür ist Marina aus der Super-RTL-Serie „Zig & Sharko“, die hier und auch im Titelbild zu sehen ist:
Aber es geht noch besser: Lang etablierte und bekannte Figuren wie beispielsweise Biene Maja wurden über die Jahre hinweg transformiert und sogar wieder verschlankt. Runde Formen sind in der Untersuchung verschiedener Kinderserien gar nicht erst aufgetaucht. Und realistische Kinderkörper wurden in gerade mal 20% der untersuchten Serien gefunden (Linke, Stüwe, Eisenbeis).
Das starke V
Jetzt ist natürlich spannend zu sehen, wie es mit den männlichen Figuren in Kinderserien aussieht. Zu 49% wurden die männlichen Figuren mit gerader Körperform und damit als realistisches Abbild eines männlichen Kindes gezeichnet. Was jedoch auffällt ist, dass neben der geraden Körperform auch sehr schlanke sowie übergewichtige Figuren zu finden waren. Diese, gesellschaftlich betrachtet, weniger optimierten Jungenkörper trugen zu einer grundlegenden Vielfalt der männlichen Körperformen bei. Die sexualisierte Darstellung hält aber auch bei den männlichen Figuren Einzug, nämlich in der starken Schulterausprägung, die zu einer übermäßigen V-Form der Körper führt. In nur 6% der Fälle überstieg dies aber die anatomischen menschlichen Möglichkeiten (Linke, Stüwe, Eisenbeis).
Die Illusion
Schon krass. Nicht nur, dass durch die Untersuchung zahlreicher Kinderserien wieder einmal festgehalten werden kann, dass es deutlich weniger weibliche Figuren im Kinder-TV-Programm gibt, sondern dass diese auch im Vergleich zu männlichen Figuren deutlich einseitiger, unrealistischer gezeichnet und stärker sexualisiert werden. 50% der dargestellten weiblichen Körperformen sind mit keinem natürlichen Mittel dieser Welt zu erreichen. Jetzt könnte man sagen: Gut, hier wurden ja Animationsserien untersucht, in denen häufig auch Tiere und Phantasiewesen auftreten. Ein realistisches Körperbild ist hier gar nicht gewollt. Dann fällt aber doch stark auf, dass die Darstellung der weiblichen und männlichen Wesen so ungleich ist. Zufall? Wohl eher nicht.
Da man ja auch mal schnell als übervorsichtige, panische Eltern oder überkritischer Betrachter abgestempelt wird, wenn es um die kritische Einschätzung der Angebote für Kinder geht, ist eine Betrachtung der Situation aus Kinderperspektive auch mal interessant. So häufig hört man doch (von Erwachsenen): Diese stereotypen Darstellungen braucht es, damit Kinder die Geschichte auch verstehen. Doch bei der Befragung einer Vielzahl verschiedener Mädchen und Jungen dazu, was sie am Fernsehen stört, stellte sich heraus, dass sowohl Mädchen als auch Jungen es als störend empfinden, dass Mädchen immer so dünn und schwach dargestellt werden (Holler, Kraller, Toepler, Lux, Tumba). Die aktive Wahrnehmung der kleinen Zuschauer von geringer Vielfalt und festgefahrenen Bildern braucht also nicht länger infrage gestellt werden.
„Ich finde doof, dass die Mädchen meistens keine Helden sind.“ (Pauline, 9 Jahre, in einem Brief an Fernsehmacher)
Das Bild, das Kinderserien von unserer Welt und Gesellschaft zeichnen, ist ja fast schlimmer, als das, das Erwachsenen geboten wird, die diese Bilder zumindest in einem größeren Kontext reflektieren und einordnen können (sollten). Wie kann die nächste Generation mit einem gerechten Menschen- und Geschlechterbild aufwachsen, wenn so viele ihrer Unterhaltungsprogramme dies nicht vermitteln und so viele ihrer Helden und Vorbilder wieder nur Klischees entsprechen, die es eigentlich mittlerweile doch wirklich zu brechen gelten sollte?
Wie sinnvoll ist es, dass die Kinder dieser Zeit mit einem Körperbild aufwachsen, das sie niemals erreichen können – es sei denn, sie brechen sich dafür ein bis drei Rippen? Führt das nicht unmittelbar dazu, dass gerade Mädchen sich und ihren Körper schon früh als nicht normal und nicht gut genug empfinden? Ist es nicht unsere Pflicht, das zu verhindern und können wir das etwa nur noch, wenn wir Kindern das Fernsehen verbieten? Was sagt ihr, gerade als Eltern, Tanten, Onkel, Großeltern, dazu und wie geht ihr mit dem Angebot um? Und wie gehen eure Kinder damit um? Ich freu mich auf eure Kommentare – und bin gespannt auf eure Erfahrungen und Meinungen!
Quelle & Literaturempfehlung: „TelevIZIon. Geschlechtergerechtigkeit im (Kinder-)Fernsehen. Internationales Zentrum für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI). 30/2017/2“
Als Vater zweier Töchter empfinde ich die Rollen- und Körperbilder vieler Kindersendungen auch als zumindest zweifelhaft. Andererseits gibt es heute dank Netflix und Co. eine riesige Auswahl an Sendungen und zumindest bis zu einem gewissen Alter kann man Kinder hier sanft zu den durchaus existenten positiven Beispielen lenken.
Darüber hinaus sind gerade Animationsserien aber auch einfach größtenteils Fiktion und Kinder wissen das normalerweise auch. Über Themen wie Körperbilder muss man meiner Meinung nach vor allem im realen Leben sprechen und entsprechendes Vorbild sein. Da ist es dann auch nicht mit einem Mal getan, sondern ein Prozess.
Oder man könnte den Kindern auch einfach das Prinzip des stilisierten Charakterdesigns beibringen, da die meisten Cartoonfiguren eher auf interessantes Design, anstelle von irgendeiner Form von Realismus getrimmt sind.
Das erinnert mich z.B. an die kürzliche Mini-Kontroverse über den 00er Cartoonklassiker „Daria“, dem plötzlich vorgeworfen wurde Magersucht zu propagieren, weil die Protagonistin Beine hatte, die eher Strohhalmen, als realistischen Gliedmaßen ähneln. Aber das ist halt der Zeichenstil dieser Serie. Jeder Charakter lief dort so herum!
Wobei ich dieses Thema allerdings auch nicht komplett abtun möchte. Gerade als Hardcore „Scooby Doo“ Fan, ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass Velma (Die mit der Brille) in letzter Zeit von Serie zu Serie immer dünner wird, was für mich schon ein bisschen wie „Niemand will Pummelchen sehen“-Bodyshaming wirkt.
Allerdings auch hier: In der (im Moment) aktuellsten Serie „Be Cool, Scooby Doo“ ist sie zwar so klein und dünn wie nie zuvor, aber alle Charaktere sind übertrieben stilisiert und unrealistisch (vor allem im Vergleich zur Ur-Serie) gezeichnet, das es mir schwerfällt, das ernstzunehmen.
Gleichzeitig muss ich aber auch aus eigener Erinnerung sagen: Kinder sind viel schlauer, als man meinen sollte. Zumindest waren sie das zu meiner Jugend. Ich erinnere mich daran, mich eher über z.B. Jessica Rabbits Wespentaille oder He-Mans übertriebenen Muskelwuchs lustig gemacht und es als „Zeichentrick ist nicht echt“ wahrgenommen zu haben, anstatt zu denken: „Wow, so müssen normale Menschen auch aussehen!“
Wenn man es genau nimmt, sind da die Stars in den Realkinderserien gefährlicher. Wenn man mal den Disney Channel oder Nick einschaltet, während da wieder irgendeine Kiddiesitcom läuft, sieht man da oft 12-13 Jährige, die wohl eher nach dem Aussehen, als nach Talent gecastet wurden, was schon an sich ziemlich creepy ist. Aber da kann man halt nicht sagen: „Hey, ist doch nur ein Cartoon“, weil diese Minimodels halt „echt“ sind.
Hi!
Sehr spannend! Ich würde mich aber meinem Vorredner anschließen, dass die Realfilmversionen da mehr aufgreifen sollten und dass man gerade bei stark stilisierten Trickserein Kindern das schon gut vermitteln kann, dass das „nicht echt“ ist. Ansonsten ist mir bei meinem Sohn (6) aufgefallen, dass er ein Programm, das stark auf Mädchen ausgelegt ist (in diesem Fall Mia&me) kategorisch ablehnt und sich was andes zum spielen sucht, obwohl die anwesenden Mädchen das gucken wollten, während er das bei Sachen, die für mein Empfinden eher für Kinder im Allgemeinen gemacht sind, bisher nicht getan hat und sich eher auf Neues einlässt und etwas mitschaut. Das würde die angesprochene Theorie stützen, dass Kinder Einseitigkeit durchaus als störend wahrnehmen (ich vermute mal besonders dann, wenn sie es anders vorgelebt bekommen bzw. sie sich selbst auch anders erleben dürfen?)
LG Alex
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